© Screenshot Wikinomics

Massenkooperation

"Wikinomics": Die Welt als Wiki

futurezone: In "Wikinomics" beschreiben Sie gemeinsam mit Don Tapscott, wie neue Technologien gemeinschaftliche Produktionsweisen ermöglichen und wie Unternehmen diese auf Offenheit und Zusammenarbeit basierenden Modelle dazu nützen können, um Innovationen zu fördern. Nun schreiben Sie über "Macrowikinomics". Worum geht es dabei?
Anthony D. Williams: Don Tapscott und ich haben einige Studien durchgeführt, in der wir Veränderungen in der Wirtschaft und der Innovation durch das Internet untersuchten. Je tiefer wir in die Thematik eingedrungen sind, desto klarer wurde, dass der innovatiste Einsatz neuer Technologien nicht in großen Unternehmen stattfindet, sondern in Online-Communities wie etwa der Wikipedia oder in der Entwicklung von Open-Source-Software. Dort wurden neue Formen der Zusammenarbeit sichtbar. In "Wikinomics" haben wir aufgezeigt, wie Unternehmen diese Möglichkeiten nutzen können, um Innovationen zu fördern und mit ihren Kunden, Lieferanten und Partnern auf eine neue Art und Weise in Kontakt zu treten. Wir glauben aber, dass die Gelegenheiten, die sich Unternehmen durch die Massenkooperation bieten, auch Institutionen etwa in der Verwaltung, im Gesundheitssektor, in der Wissenschaft, in der Bildung und den Medien zur Verfügung stehen. All diese Beriche werden durch die digitale Revolution verändert. In "Macrowikinomics" zeigen wir, wie sie diese Chancen ebenso nutzen können.

Was können Medienunternehmen von "Wikinomics" lernen?
Durch Offenheit ergeben sich viele Möglichkeiten. Es können neue Formen der Kooperation mit Kunden und anderen Teilen ihres Ökosystems entstehen, die auch das Interesse neuer Kundenschichten wecken und letztlich zu neuen Geschäftsmodelle und Einnahmequellen führen können.

Gibt es dafür Beispiele?
Der britische "Guardian" ist ein gutes Beispiel, weil er die Gelegenheiten der digitalen Revolution offensiv aufgreift. Beim "Guardian" wird der Online-Aspekt in den Vordergrund gerückt. Er ist zuallererst eine digitale Publikation und erst danach eine Zeitung. Der "Guardian" geht auch sehr offen mit seinen Inhalten um und hat eine offene Plattform geschaffen, über die Leute die Inhalte des Mediums wiederverwenden, Anwendungen darauf aufbauen und für ihre eigenen Zwecke nutzen können. So wurden neue Leserschichten erreicht. Letztlich wird der "Guardian" auch davon profitieren, dass seine Inhalte über das Netz verstreut sind, etwa durch die Entwicklung seines eigenen Werbenetzwerkes. Der "Guardian" ist auch eine der wenigen Publikationen, die mit Datenjournalismus experimentiert. Er wird so zum Kurator von Daten und lädt seine Leser ein, interessante Fakten und Geschichten zu finden.  

In "Macrowikinomics" präsentieren Sie auch die Huffington Post als ein Beispiel für ein Medienunternehmen der Zukunft.
Die Huffington Post ist ein interessanter Fall. Sie ist ein großartiger Kanal für Blogger. Aber Sie ist eine Meinungsplattform und hat mit Journalismus nicht viel zu tun. Sie bezahlt auch keine Journalisten. Und das ist letztlich ein Problem. Es ist noch viel Arbeit notwendig, um herauszufinden, welche Modelle sich letztendlich als nachhaltig erweisen werden und wie sich investigativer Journalismus in Zeiten rückläufiger Anzeigenerlöse und rückläufiger Einnahmen aus Abonnements finanzieren lässt. Wir haben darauf auch noch keine Antwort gefunden.

Innovationen in der Medienwelt, wie etwa Blogs, YouTube oder Twitter, sind in den vergangenen Jahren außerhalb der traditionellen Medienunternehmen entstanden. Warum fehlt es den großen Konzernen an Innovationskraft?
Nehmen Sie zum Beispiel Zeitungen. Sie haben mit sinkenden Erlösen im Anzeigen- und Abonnementen-Geschäft zu kämpfen und sie haben hohe Kosten für Druck, Vertrieb und Personal. In den vergangenen Jahren mussten sie den Übergang ins Netz bewältigen, wo das Anzeigengeschäft nach anderen Regeln funktioniert. Das macht es für sie schwierig mit Start-ups und einer neuen Generation von Medien zu konkurrieren, die flexibler agieren können, weil sie nicht durch hohe Kosten belastet sind.

Einige Medienunternehmen, wie etwa die britische "Times" und in eingeschränkter Form auch die "New York Times" setzen auf Bezahlschranken für ihre Online-Angebote. Können solche Lösungen erfolgreich sein?
Ich hoffe es zu einem gewissen Grad. Ich habe großes Verständnis dafür, dass Medienunternehmen für die Inhalte, die sie erstellen, auch bezahlt werden wollen. Es ist aber eine Herausforderung. Ich bin mir nicht sicher, wie sich solche Bezahlschranken auf lange Sicht auswirken werden. Inhalte, die im Internet nicht frei zugänglich sind, werden in der Regel ignoriert. Wenn aber diese Unternehmen im Umgang mit den Bezahlschranken klug sind und die Kosten niedrig halten, wer weiß ...

Viele Medienunternehmen setzen auch Hoffnungen in kostenpflichtige Applikationen für das iPad oder Tablets. Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten?
Ich sehe ein wenig mehr Bereitschaft für Inhalte auf mobilen Geräten zu bezahlen, wenn sie speziell für diese Geräte aufbereitet wurden und den Leuten zusätzliche Möglichkeiten und Ressourcen bieten. Für die Medienunternehmen wird es auch wichtig sein, Partnerschaften mit den Entwicklern von Anwendungen und den Geräteherstellern zu schließen. Das ist der Schlüssel, um solche Anwendungen für Nutzer attraktiv zu machen. Dann haben solche Plattformen das Potenzial eine relevante Einnahmequelle zu werden.

In Ihren Büchern raten Sie zu mehr Offenheit und Zusammenarbeit. Sie haben dazu auch eine Papier für das Lisbon Council der EU verfasst, indem sie darauf hinweisen, dass strenge Gesetze zum Schutz geistigen Eigentums Innovationen behindern können. Die derzeitigen Pläne der EU deuten aber eher auf eine Verschärfung der Urheberrechtsgesetze hin.
Das liegt einerseits daran, dass Konzerne und Lobbys nicht an einer Lockerung der Gesetze interessiert sind. Sie wollen ihre traditionellen Geschäftsmodelle schützen. Andererseits denken auch die Gesetzgeber noch an Modelle aus dem 20. Jahrhundert, die auf dem Schutz geistigen Eigentums basieren, wenn sie von Innovation reden.  Offenheit ist aber in vielen Bereichen viel besser dazu geeignet, Innovationen zu fördern. Wir wissen auch, dass geistiges Eigentum von Konzernen dazu missbraucht wird, um den Status Quo aufrechtzuerhalten und Innovationen zu behindern. Es gibt aber sehr viele Fälle, in denen Unternehmen umdenken. Ein Beispiel dafür ist das Human Genome Project. Viele Pharmakonzerne haben ihre Forschungen zugänglich gemacht. Davon hat die ganze Industrie profitiert. Das heißt nicht, dass sie nicht miteinander konkurrieren. Wenn es um wissenschaftliche Grundlagen geht, macht es keinen Sinn über Patente oder geistiges Eigentum zu streiten.

In "Macrowikinomics" schreiben sie auch über die veränderte Rolle von Regierungen und der Verwaltung. Wie könnten Regierungen der Zukunft aussehen? Welche Möglichkeiten sehen Sie?
Im öffentlichen Sektor gibt es eine Fülle an Innovationsmöglichkeiten. Ein zentraler Punkt ist es, die Mitwirkung der Bürger an demokratischen Prozessen zu fördern. Digitale Technologien bieten dabei sehr viele Chancen, die von der Kommunikation mit Abgeordneten bis hin zur Organisation der Bürger selbst reichen. Daneben müssen auch die Dienstleistungen der Verwaltung weiterentwickelt und auch die Anregungen der Bürger berücksichtigt werden. Viele Unternehmen machen das seit Jahren, indem sie ihre Kunden bei der Gestaltung und Konzeption von Dienstleistungen miteinbeziehen. Auch die Zusammenarbeit innerhalb der Verwaltung muss verbessert werden.

Welche Rolle spielt dabei die Freigabe von Verwaltungsdaten, wie sie etwa in den USA, Großbritannien aber auch in zahlreichen weiteren Ländern zunehmend stattfindet?
Die Öffnung von Regierungsdaten spielt in all diese Bereiche hinein. Sie helfen demokratische Prozesse transparenter und offener zu machen, bringen innovative Services hervor und helfen auch der Verwaltung selbst sich über Abteilungsgrenzen hinweg auszutauschen.

In "MacroWikinomics" thematisieren Sie auch die jüngste Finanzkrise und bringen Vorschläge, wie solche Krisen künftig vermieden werden können. Wie sehen die aus?
Wir brauchen mehr Informationen über diese Finanzprodukte und objektive und neutrale Rating-Agenturen. In "MacroWikinomics" zeigen wir Wege auf, wie solche Krisen durch mehr Transparenz vermieden werden können. Wenn Informationen und Daten zu diesen Produkten öffentlich zugänglich sind, können weltweit Experten und Spezialisten diese Daten untersuchen und ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen.

Derzeit sieht es nicht so aus, als hätte die Finanzindustrie oder die Regulierungsbehörden aus der jüngsten Finanzkrise gelernt.
Die Finanzindustrie ist nicht an Offenheit und Zusammenarbeit interessiert, weil sie viel Geld damit verdient, wertlose Investments an ahnungslose Investoren zu verkaufen. Ich bin deshalb auch fest davon überzeugt, dass wir in Zukunft weitere Krisen sehen werden.

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Anthony D. Williams lebt in Toronto (Kanada) und berät Unternehmen und Institutionen. Gemeinsam mit Don Tapscott, hat er die Bestseller "Wikinomics  - Die Revolution im Netz" (2006) und "Macrowikinomics" (2010) verfasst. Am 14. Juli hält Williams beim Digital-Marketing-Kongress Werbeplanung.at Summit in der Wiener Hofburg die Eröffnungs-Keynote.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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