"Wir steuern auf das Ende unserer Gesellschaft zu"
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Jeder spricht vom Klimawandel, jeder weiß, dass etwas getan werden muss. Doch das „Wie“ dieses Umschwungs, das bleibt oft noch ungewiss. Klimaziele werden aufgestellt, an ihrer Umsetzung hapert es aber. Bei der Systemicum-Konferenz wurde dieses „Wie“ am Donnerstag erfragt. Dabei waren sich alle Beteiligten der Expertenrunde einig: Die Gesellschaft muss sich ganzheitlich wandeln.
„Wir sind bisher vor allem mit kosmetischen Schritten vorangekommen, zum Beispiel durch den Verzicht auf Plastiksackerl“, sagt die Klimaaktivistin Katharina Rogenhofer. Sobald es um tiefere Eingriffe, etwa in die Finanzen, ginge, würde sich gegen Veränderung gewehrt. Während ihrer Zeit bei „Fridays for Future“ sei sie oft als naiv bezeichnet worden und zu Beginn der Bewegung habe man versucht, die Jugendlichen als „Schulschwänzer“ zu diskreditieren. Jetzt spüre auch die Gesellschaft, dass Veränderung notwendig sei: „Das Schlimme ist, dass es so weit kommen musste, dass das gespürt wird. Wir müssen jetzt da hinschauen, wo Bremser sitzen.“
Diese Bremser sieht ATTAC-Mitbegründerin Alexandra Strickner unter anderem in der Wirtschaft. „Die Wirtschaftskrise und Klimakrise haben mit der Ausbeutung von Ressourcen zu tun“, sagt Strickner. Lokale Wirtschaftskreisläufe würden daher benötigt. Das sieht auch Rogenhofer, die für eine Zukunft kämpft, in der Menschen gesund miteinander leben können, ohne sich dafür selbst zu geißeln. Das könne nur gemeinsam erreicht werden, sagt auch Politikwissenschaftlerin Martina Handler. „Für die Bewältigung komplexer Vorgänge braucht es die gesamte Gesellschaft.“ Dabei spiele vor allem die Zivilbevölkerung eine Rolle.
Wissenschaftsaktivismus
Wie die Soziologin Ruth Simsa betont, wurden auch in der Vergangenheit Themen wie Frauenwahlrecht von der Bevölkerung hart erkämpft. Was damals für verrückt gehalten wurde, sei heute nicht mehr wegzudenken. Das sei auf Klimabegehren übertragbar.
Dazu soll auch die Wissenschaft ihren Beitrag leisten, fordert die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb. Forschung müsse breiter in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Gleichzeitig begrüßt sie, dass Aktivismus sich verstärkt auf die Wissenschaft stütze. Die Zukunft sieht sie trotzdem pessimistisch: „Wir steuern auf das Ende unserer Gesellschaft zu. Da geht es nicht mehr nur um wissenschaftliche Fragen, sondern um Weltanschauungen. Dass die Hoffnung auf der Jugend liegt, ist eine Bankrotterklärung für unsere Generation.“ Sie fordert daher alle auf, das eigene Handeln immer wieder selbst infrage zu stellen.
„Digitalisierung muss als Werkzeug dienen und nicht zum Selbstzweck“
Helga Kromp-Kolb ist Meteorologin und Klimaforscherin, unter anderem an der Universität für Bodenkultur Wien. Im Interview mit der futurezone erklärt sie, warum sie verstärkte Digitalisierung kritisch sieht.
futurezone: Ist die derzeitige Digitalisierung ein wichtiger Schritt für ein nachhaltigeres Leben?
Kromp-Kolb: Sie muss im Rahmen der Nachhaltigkeitsentwicklung passieren. Sie wird ein Teil der Lösung sein, aber als Werkzeug um anderes zu erreichen und nicht zum Selbstzweck. Im Moment sind die Gesellschaft und die Politik in erster Linie von Technologie getrieben. Sie fragt, was geht und nicht, wozu man es braucht. Das ist eine verkehrte Welt. Entwicklungen wie Drohnen oder selbstfahrende Autos gehen dahin, wo man den Absatzmarkt erwartet. Das hat viel mit Bequemlichkeit und Prestige zu tun und wenig mit Bedarf.
Was halten Sie vom derzeitigen Boom der E-Mobilität?
Wir brauchen eine von erneuerbaren Energien gespeiste E-Mobilität, aber nicht als Übersetzung der jetzigen Mobilitätskonzepte. Die Wege müssen fußläufiger werden, viel mit dem Fahrrad erreichbar sein und wir brauchen guten öffentlichen Verkehr. Was damit noch nicht abgedeckt ist, dafür brauchen wir Individualfahrzeuge. Die soll man nicht besitzen, sondern die soll man sich ausleihen. Wir brauchen ein anderes Mobilitätsverständnis.
Gibt es Entwicklungen bei Technologien, die sie gerade mit Freude beobachten?
Es geht vor allem wieder um Vereinfachung und darum, sich nicht von Technologie abhängig zu machen. Ja, natürlich werden wir Solar- und Windenergie brauchen und auch bei Speichertechnologie für erneuerbare Energien wird es in absehbarer Zeit Durchbrüche geben. Das ist alles wichtig und gut. Aber im Grunde geht es darum, wieder zu einer einfachen Form zurückzufinden. So etwas wie die Blockchain sind von Technologie getriebene Entwicklungen, die wissenschaftlich faszinierend sind, aber die eigentlich für die reale Lösung unserer Probleme keinen echten Beitrag leisten.
Viele setzen Nachhaltigkeit mit hohen Kosten gleich und sagen, sie können sich das nicht leisten.
Natürlich ist es teurer, wenn ich nicht Massenware kaufe, sondern handgefertigte, sorgfältig produzierte Qualitätsware. Allerdings braucht man weniger davon. Leider sagt der Preis heutzutage nichts über die Qualität aus. Das erfordert staatliche Maßnahmen, z.B. eine Garantiezeit für Gebrauchsgegenstände oder dass Firmen eine Recyclingquote vorweisen müssen. Transparente Projekte wie das Fairphone (ein nachhaltig produziertes Handy, Anm.) gehen in die richtige Richtung, aber es braucht die Unterstützung der Legislative. Die unsichtbare Hand des Marktes hat uns hierin getrieben. Wir können nicht erwarten, dass derselbe Markt jetzt in eine andere Richtung steuert.
Was muss jetzt passieren, damit wir die Klimaziele erreichen?
Die Antwort ist ganz einfach: Die Treibhausgase müssen reduziert werden, und zwar dramatisch. Dafür muss jeder Einzelne seine Entscheidungen in Hinblick auf Nachhaltigkeit überdenken und der Staat muss sehr rasch Verbote und Gebote einsetzen, steuerliche Maßnahmen und Anreize schaffen. Aber natürlich gehört auch Bildung dazu. Hier passiert viel zu wenig. Es sind immer noch Schulbücher in Verwendung, die ein Loblied auf Kohle und Öl enthalten, aber praktisch nichts über den Klimawandel. Das ist fast unvorstellbar.
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