© Jeff Chiu, ap

Fake News

"Wir verstehen soziale Medien immer noch nicht wirklich"

"In den sozialen Medien ist die Geschwindigkeit, mit der sich Information verbreitet, sehr hoch", sagt Iyad Rahwan. Die menschliche Fähigkeit Informationen zu beurteilen, könne damit nicht mithalten. Der im syrischen Aleppo geborene Informatiker und Sozialwissenschaftler Iyad Rahwan beschäftigt sich am MIT Media Lab in Boston mit den gesellschaftlichen Auswirkungen von Technik. Wie soziale Medien zur Zusammenarbeit genutzt werden können zählt ebenso zu seinen Forschungsgegenständen wie Verhaltensregeln für selbstfahrende Autos, die er mit der Website Moral Machine untersucht.

Die futurezone hat Rahwan Ende Jänner bei der Münchner Innovationskonferenz Digital Life Design (DLD) getroffen und mit ihm über die Auswirkungen von Fake News gesprochen.

futurezone: Welche Rolle haben soziale Netzwerke und Fake News bei den US-Wahlen gespielt?
Iyad Rahwan: In den USA wird derzeit sehr viel über soziale Medien und die Auswirkungen von Fake News auf die Politik diskutiert. Soziale Medien sind ein Vehikel, mit dem Falschmeldungen transportiert werden. Ich denke aber, dass wir soziale Medien und die Frage, welche Auswirkungen sie auf Gesellschaft haben, noch immer nicht wirklich verstehen. Die Wissenschaft hinkt hinterher.

Warum?
Tools wie Facebook und Twitter zu schaffen ist eine Sache, zu verstehen, wie diese Werkzeuge mit menschlichen kognitiven und sozialen Prozessen zusammenspielen, ist eine andere. Wir müssen erforschen, wie soziale Prozesse fehlschlagen, wenn es unterschiedliche Geschwindigkeiten zwischen technischen Entwicklungen und der menschlichen Fähigkeit, darauf zu reagieren, gibt.

Wir haben zu wenig Zeit, um Fake News zu überprüfen?
Ja, menschliche soziale Interaktion und Normen sind für ein bestimmtes Umfeld optimiert. In den sozialen Medien ist die Geschwindigkeit, in der sich Informationen verbreiten, sehr hoch. Das gibt uns weniger Zeit, um die Informationen zu beurteilen. Wir erkennen jetzt, dass es zu Problemen kommt, wenn neue Werkzeuge eine Fähigkeit, nämlich die Geschwindigkeit in der Informationen in Umlauf gebracht werden können, erhöhen, ohne die komplementäre Fähigkeit, Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, ebenfalls zu verbessern.

Was kann man dagegen tun?
Wir brauchen neue Werkzeuge, die es uns erlauben, Informationen in Echtzeit zu verifizieren und effizient zu filtern. Die sehe ich noch nicht.

In einigen Ländern wird darüber nachgedacht, soziale Medien wie Facebook zu regulieren. Eine Gefahr für die Redefreiheit?
Streng regulierte soziale Medien können zu vielen Problemen führen, eines davon wären nicht informierte Bürger. In der Demokratie braucht man Informationen um zu wählen. Die Redefreiheit ist die Grundlage moderner Gesellschaften, umgekehrt ist auch die Sicherheit ein Thema. Hassreden bringen Minderheiten und den sozialen Zusammenhalt in Gefahr.

Es braucht Beschränkungen?
Anfang des 20. Jahrhunderts hat ein hoher US-Richter einen sehr schönen Satz über die Grenzen der Redefreiheit gesagt. Er meinte, man dürfe in einem überfüllten Theater nicht Feuer schreien, es sei denn, es ist tatsächlich ein Feuer ausgebrochen. Andernfalls könnte Panik entstehen und Leute zu Schaden kommen. Wir müssen Grenzen setzen, die gewährleisten, dass niemand in Gefahr gerät. Die Frage ist, wo sie gesetzt werden. Wo liegt der Unterschied zwischen einem lustigen Video und einem Gerücht, das ernsthafte Folgen für die Gesellschaft haben kann, weil es Hass hervorruft? Es ist eine Frage der Balance.

Wie kann eine solche Balance gefunden werden?
Es gibt keine einfache oder universell gültige Antwort auf diese Frage, besonders dann nicht, wenn wir es mit einer Technologie zu tun haben, die sich schnell verändert. Egal wo wir die Grenze ziehen, es wird immer Leute geben, die Schwachstellen im System ausnuzten. Aber Gesellschaften kalibrieren und rekalibrieren ständig akzeptable Verhaltensweisen, das wird auch bei sozialen Medien nicht anders sein. Ich glaube an die verhandelbare Moral.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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