"Initial Coin Offerings" bringen Geldregen für Start-ups
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Für Jungunternehmen im Blockchain-Bereich sind es goldene Zeiten. Nie schien die Beschaffung von Kapital einfacher als mit einem sogenannten „ICO“ (Initial Coin Offering) - der Ausgabe eigener digitaler „Münzen“ gegen Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether. Nun sind Aufsichtsbehörden etwa aus der Schweiz, China und den USA auf die Vorgänge aufmerksam geworden.
Finanzierungen von Projekten über den Verkauf eigener digitaler „Coins“ oder „Tokens“ gab es zwar auch schon in den letzten Jahren, sie haben aber im laufenden Jahr enorm an Fahrt aufgenommen.
Vor allem in den letzten Monaten war ein exponentieller Anstieg zu beobachten: Von Mai bis September wurden laut dem von der Online-Publikation „Coindesk“ nachgeführten „ICO-Tracker“ „Token-Verkäufe“ im Wert von fast 2 Mrd. Dollar (1,67 Mrd. Euro) durchgeführt. Ein Teil dieses Geldes floss auch in die Schweiz.
Marktkapitalisierung
Der Plattform CoinMarketCap zufolge summierte sich die Marktkapitalisierung aller rund 900 Cyber-Währungen zuletzt auf 136 Mrd. Dollar, vor wenigen Wochen waren es noch über 170 Milliarden.
Eine der Ursachen des jüngsten „Booms“ sind wohl auch die starken Preissteigerungen von Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether im laufenden Jahr. „Durch die hohen Bewertungen der Kryptowährungen ist derzeit viel Geld vorhanden“, meint Andreas Glarner, Anwalt bei der auf den Blockchain-Bereich spezialisierten Anwaltskanzlei MME.
Gleicher Ansicht ist Thomas Ankenbrand, Fintech-Spezialist bei der Hochschule Luzern (HSLU): „Möglicherweise wollen nun einige Leute ihr Glück erneut versuchen, nachdem sie mit Bitcoin und Ether viel Geld verdient haben.“
Unkompliziert
Gleichzeitig ist auch das Generieren eigener digitaler Münzen dank der „Smart Contract“-Möglichkeiten der Ethereum-Blockchain - auf der die meisten der „Coins“ aufbauen - zu einer ziemlich unkomplizierten Sache geworden. Einfache Anleitungen dazu finden sich bereits auf Youtube.
Die immer zahlreicheren und schnelleren „Token“-Verkäufe der Sommermonate belasteten zeitweise auch die Ethereum-Infrastruktur stark. Eines der rasantesten ICO dürfte etwa das Internet Browser-Projekt Brave erlebt haben, das innerhalb von 30 Sekunden „BAT“-Tokens im Wert von 35 Mio. Dollar verkaufte.
Zu den größten ICO zählt mit über 150 Mio. Dollar das Bancor-Projekt, das mit seinen „Smart Tokens“ eine Art Reservewährung für andere Kryptowährungen stellen will. Noch mehr Geld sammelte im Juli Tezos ein mit gut 230 Mio. Dollar für ein Projekt einer „sich selbst korrigierenden Blockchain“. Bancor und Tezos haben beide in Zug Stiftungen errichtet, die für die Verwaltung der zugeflossenen Millionen zuständig sind.
Risiken
Klar ist, dass Investitionen in die neuen „Coins“ mit beträchtlichen finanziellen Risiken verbunden sind, befinden sich verschiedene Projekte doch erst im Projektstadium. „Wie bei allen Finanzierungen in so frühen Phasen ist wahrscheinlich, dass nicht alle Projekte gelingen werden“, meint auch HSLU-Dozent Ankenbrand.
Zu vermuten ist zudem, dass das schnelle Geld auch wenig seriöse Teilnehmer in den Blockchain-Bereich gelockt hat. Nicht alle sind wohl so einfach zu erkennen wie die Herausgeber des „Ponzi Coin“ oder des „Useless Coin“.
Für Aufmerksamkeit hat die ICO-Welle mittlerweile auch bei den Finanzmarktbehörden gesorgt. „Die Finma begleitet die Entwicklungen in diesem Bereich eng“, versichert etwa Finma-Sprecher Vinzenz Mathys auf Anfrage.
Erst kürzlich sah sich die Finanzmarktaufsicht dabei zum Handeln gezwungen: Am Dienstag gab sie bekannt, den Anbieter einer Scheinkryptowährung - E-Coins - aus dem Verkehr zu ziehen. Der Verein Quid pro Quo habe damit Publikumseinlagen in Millionenhöhe entgegengenommen, ohne über die dafür nötige Bankbewilligung zu verfügen.
China
Die chinesischen Aufsichtsbehörden sehen gleich alle ICOs im Zusammenhang mit kriminellen Machenschaften und haben diese Anfang September kurzerhand verboten. Der Entscheid sorgte dafür, dass unter anderem auch der Kurs von Bitcoin ins Straucheln kam.
Auf breite Beachtung ist auch ein Entscheid der US-amerikanischen SEC von Ende Juli gestoßen. Dabei hat die US-Finanzmarktaufsicht klargestellt, dass es sich bei den „Coins“ und „Tokens“ nicht grundsätzlich um Finanzinstrumente handelt, die damit ihrer Aufsicht unterstellt wären: Vielmehr müsse dies von Fall zu Fall geklärt werden.
Eine Herangehensweise, die man auch bei seiner Kanzlei teile, meint MME-Anwalt Glarner. „Tokens sind in der Regel nicht als Aktien ausgestaltet; sie repräsentieren weder einen Anteil am Unternehmen, noch geben sie ein Anrecht auf einen Teil des Unternehmenserfolgs.“
Analyse
Oft gebe ein Token vielmehr ein Anrecht auf die Nutzung eines spezifischen Blockchain-Projekts. Deshalb gelte es, eine Analyse zu machen, inwiefern ein Token Wertpapier-Eigenschaften habe. „Ist man sich unsicher, muss man natürlich in Kontakt mit den Behörden treten.“
ICOs könnten in verschiedenen Ausprägungen lanciert werden, heißt es auch bei der Finma: „In Bezug auf die Anwendbarkeit der Finanzmarktgesetze ist entscheidend, ob die angebotenen Coins als Finanzinstrumente qualifizieren.“ Initianten von ICOs obliege es, selbst allenfalls notwendige Bewilligungen einzuholen. Die Gesellschaften Tezos und Bancor hätten keine Bewilligung der Finma, so der Sprecher auf eine entsprechende Frage.
Jenseits des derzeitigen Booms kann Fintech-Experte Ankenbrand dem ICO-Modell einiges abgewinnen. Oft werde ja über die Schwierigkeiten bei der Finanzierung von Start-up-Unternehmen geklagt. „Es handelt sich hier um eine neue Möglichkeit, Projekte zu finanzieren.“ Eine „Digitalisierung von Finanzierungen“ stelle durchaus eine zukunftsträchtige Variante dar, auch wenn sich in Zukunft andere Strukturen herausbilden dürften.
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