ChatGPT-Browser Atlas ausprobiert: Die Zukunft des Internets?
Beim Thema Künstliche Intelligenz wird gerade mit martialischen Begriffen herumgeworfen: KI sei derzeit ein Schlachtfeld, auf dem sich zahlreiche Unternehmen und Anbieter bekriegen, um die Vorherrschaft zu erreichen. Ausgetragen wird diese Auseinandersetzung unter anderem auch im Browser-Krieg 2.0.
Während Google mit Chrome aus dem 1. Browser-Krieg als eindeutiger Sieger hervorgegangen ist, ist der Platzhirsch nun von gleich mehreren KI-Browsern unter Beschuss, beispielsweise dem Arc-Browser von "The Browser Company" oder dem Comet-Browser von Perplexity.
Am Dienstagabend hat nun auch OpenAI einen eigenen KI-Browser namens Atlas an den Start geschickt, der auf ChatGPT aufbaut. Er ist vorerst nur für MacOS verfügbar, Windows, Android und iOS sollen demnächst folgen. Ich habe den ChatGPT-Browser gleich ausprobiert, was mich mit gemischten Gefühlen zurückgelassen hat.
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ChatGPT als Browser
Atlas ist im Grunde ein ChatGPT-Fenster, das zu einem ausgewachsenen Browser mutiert ist. Durch Sucheingaben in der Adresszeile wird keine Online-Suche wie Google oder Bing aufgerufen. Stattdessen öffnet sich einfach ein ChatGPT-Chat. Gibt man eine konkrete URL ein, wird die jeweilige Website aufgerufen.
Anders als bei den üblichen Browsern ist ChatGPT als Seitenleiste im rechten Teil des Fensters immer und überall verfügbar. Befindet man sich auf dem Artikel einer News-Seite, kann man in diesem Bereich kontextbezogene Fragen an die KI richten, beispielsweise "fasse mir den Artikel zusammen" oder "erkläre mir das in einfachen Worten".
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Zusammenfassen, Vergleichen, Formulieren bleiben auch im Atlas-Browser die Stärken von ChatGPT.
© Florian Christof
Auf den Kontext kommt es an
Das ist insofern praktisch, weil man für eine etwaige Zusammenfassung den Artikel-Link oder gar den Text nicht extra in den ChatGPT-Tab kopieren muss. Ich hatte zum Beispiel den Bericht über das neue Samsung-Headset geöffnet und ChatGPT nach einem Vergleich mit der Apple Vision Pro gefragt. Ein entsprechender Vergleich der Spezifikationen wurde prompt geliefert.
Seine Stärke kann Atlas etwa auch dann ausspielen, wenn man nach einer Unterkunft für einen Wochenendtrip sucht. Hat man die Hotel-Seite auf Booking.com geöffnet, kann man ChatGPT in der Seitenleiste kontextbezogene Fragen stellen. Auf die Frage nach "Gibt es in der Umgebung schöne Wanderrouten" erkennt die KI den Ort der Unterkunft und liefert entsprechende Vorschläge.
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Besonders praktisch ist, dass der Atlas-Browser den Kontext automatisch erkennen kann.
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Kein gutes Gedächtnis
Außerdem stellt OpenAI das intelligente Gedächtnis des Atlas-Browsers in den Mittelpunkt. So kann man ChatGPT beispielsweise folgende Frage stellen: "Ich habe am vergangenen Wochenende nach einem Rezept gesucht. Was war das nochmal?". Aus dem Verlauf heraus soll die KI dann den Kontext erkennen und mir das entsprechende Rezept liefern.
Beim kurzen Ausprobieren hat das nur bedingt gut funktioniert. An das Palatschinken-Rezept, nach dem ich am Sonntag gesucht habe, konnte sich ChatGPT nicht mehr erinnern, obwohl ich ihn beim Einrichten mit meinem Chrome-Verlauf gefüttert habe. Die Gerstensuppe, für die ich mich vor ein paar Minuten interessiert habe, wurde erst nach mehrmaligem Nachfragen wiederentdeckt.
Diese Funktion klingt brauchbar und kann bestimmt eine praktische Angelegenheit sein. Als revolutionäre Erleichterung kommt sie mir jetzt aber nicht vor. Hätte ich nach dem Rezept einfach im Chrome-Browser-Verlauf gesucht, hätte ich es wohl schneller gefunden. Das Hin- und Herschreiben mit ChatGPT hätte ich mir auch erspart.
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Die Sache mit dem intelligenten Gedächtnis ist noch ein bisschen umständlich.
© Florian Christof
Der Agent erledigt die Einkäufe
Im Agenten-Modus kann ChatGPT ganze Aufgaben erledigen. Im Ankündigungsvideo ist beispielsweise zu sehen, dass man der KI mitteilt, sie soll die üblichen Sachen für einen Ausflug zum Strand bei einem bestimmten Online-Shop zusammensuchen. Daraufhin wird der Agent losgeschickt und legt die jeweiligen Produkte in den Warenkorb.
Die KI-Agenten sollen überhaupt ganze Einkäufe abschließen und Reisen buchen können. Damit das möglich wird, ist aber ein kostenpflichtiges ChatGPT-Abo notwendig. Da ich kein solches Abo habe, konnte ich die Funktion auch nicht ausprobieren.
Fazit
Beim Atlas-Browser wird einerseits einfach die Google-Suche durch ChatGPT ersetzt. Das erlaubt das Suchen und Fragen in einer natürlicheren Sprache. Anstatt eine Auflistung von Links zu erhalten, tritt man in die übliche Konversation mit der KI. Vergleichbares kennt man von Google mit dem KI-Überblick beziehungsweise dem eigenen KI-Modus.
Andererseits geht Atlas aber noch einen großen Schritt weiter und kann den jeweiligen Kontext berücksichtigen. Das ist insofern extrem praktisch, da man sich dadurch Umwege, umständliches Erklären oder lästiges Kopieren von Texten und URLs erspart. Die natürliche Konversation in diesem Zusammenhang kann ebenso überzeugen.
Ein Browser ist aber viel mehr als das Tor zum Internet. Dort sind in der Regel sämtliche Passwörter gespeichert sowie Adressen, Namen, Zahlungsinformationen und andere Autofill-Inhalte hinterlegt. Außerdem ist es praktisch, wenn die Browser-Inhalte über mehrere Geräte hinweg synchronisiert werden, was mit Atlas derzeit noch nicht möglich ist.
Dass ich den Chrome-Browser hinter mir lasse und zu Atlas wechsle, bezweifle ich noch stark. Chrome ist für mich eine gewohnte Umgebung, von der ich mich nicht so einfach trennen kann und mag. Wenn mir Atlas aber noch ein paar Argumente liefert, kann ich mir einen Wechsel noch einmal überlegen.
Zunächst möchte mir unbedingt noch die Gemini-Integration in den Chrome-Browser abwarten. Diese ist ja in Europa noch nicht verfügbar. Zudem möchte ich noch abwarten, wie sich die mobilen Ausgaben des Atlas-Browsers schlagen. Solange die Android- und iOS-Version nicht zum Download bereitstehen, bleibe ich bestimmt beim Chrome-Browser.
Alles in allem könnte OpenAI mit Atlas die Zukunft des Internet-Browsing zeigen, das mehr auf Konversationen aufbaut als auf das Anklicken von Links. Webseiten-Betreiber werden sich darüber nicht freuen, weil die Anzahl der Besucher dadurch abnimmt. Woher dann künftig die Inhalte kommen sollen, auf die sich die KI bezieht, bleibt fraglich.