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Cyborg Neil Harbisson: "Technik ist ein Teil von mir"

Neil Harbisson ist der erste Mensch, der von einer Regierung als Cyborg - ein Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine - anerkannt wurde. In seinem Kopf trägt er ein kybernetisches Implantant - einen Chip, der mit einer Antenne verbunden ist, auf der sich ein elektronisches Auge befindet. Der farbenblinde 31-Jährige, der die Welt davor nur in Grautönen wahrnehmen konnte, kann mit dem Eyeborg Farben zwar nicht sehen, aber er kann sie hören. Der Eyeborg wandelt Farben in Töne um und sendet sie an den Chip, dessen Schwingungen an die Knochen übertragen und so für den irisch-britischen Künstler wahrnehmbar werden.

Heute hat Harbisson, der seine Experimente mit dem Eyeborg vor mehr als zehn Jahren begann, Lieblingsfarben. "Ich kleide mich so, dass es gut klingt", sagt der 31-jährige. Zum Interview trägt er eine Krawatte mit gelben, orangen, grünen, lila und rosa Streifen. Eine Farbkombination, die einem Beatles-Song nachvollzogen ist. Gemeinsam mit der Choreographin Moon Ribas gründete Harbisson 2010 die Cyborg Foundation, die Menschen dazu verhelfen will, Cyborgs zu werden. Ende Oktober waren Harbisson und Ribas beim Pioneers Festival in Wien zu Gast. Die futurezone hat mit ihnen über Cyborgs, Sinnesweiterung, Google Glass und Überwachung gesprochen.

futurezone: Was bedeutet es für Sie ein Cyborg zu sein?
Neil Harbisson: Ein Cyborg zu sein, ist das Gefühl, dass Technik ein Teil meines Organismus ist. Es ist kein externes Element, sondern ein Teil von mir. Ich habe mich zum ersten Mal als Cyborg gefühlt, als ich begonnen habe, in Farben zu träumen. Mein Gehirn erzeugte den Sound von Farben in meinen Träumen. Das war auch das erste Mal, dass ich diese Verbindung meines Organismus mit der Technik spürte.

Wie lange haben Sie gebraucht, bis Sie sich an den Eyeborg gewöhnt hatten?
Harbisson: Es hat ungefähr fünf Wochen gedauert, bis ich keine Kopfschmerzen mehr hatte. Am Anfang hat mein Körper die Technik abgestoßen. Aber nach fünf Wochen habe ich mich mehr oder weniger daran gewöhnt. Nach fünf Monaten habe ich den Eyeborg als Teil meines Körpers betrachtet. Ich habe begonnen Farben zu fühlen, sie zu träumen und ich hatte plötzlich Lieblingsfarben.

Wie reagieren eigentlich Leute auf die Antenne auf Ihrem Kopf?
Harbisson: Die Gesellschaft ist nicht wirklich daran gewöhnt, Leute zu sehen, denen eine Antenne aus dem Kopf ragt. Ich bin mit allen möglichen Reaktionen konfrontiert. Die Leuten zeigen auf mich, sie lachen auch über mich. Mir wird auch oft der Zutritt zu Geschäften oder Kinos verwehrt. Die Leute glauben wohl, dass ich filme oder spioniere. Auch auf Flughäfen werde ich häufig zu meiner Antenne befragt. Es ist aber besser geworden. Auch weil ich meinen Pass herzeige.

Die Antenne ist auch auf Ihrem Passbild zu sehen. Sie sind gewissermaßen der erste staatlich anerkannte Cyborg. War es schwierig, die Behörden davon zu überzeugen, dass der Eyeborg ein Teil von Ihnen ist?
Harbisson: Ich musste viele Briefe an die zuständigen Behörden schreiben. Es gibt ein Gesetz, das es untersagt, elektronisches Equipment auf dem Passbild zu tragen. Der Eyeborg wurde auf dem Passfoto nicht akzeptiert. Aber ich habe nicht locker gelassen und habe den Behörden erklärt, dass das elektronische Equipment Teil meines Körpers ist. Sie haben auch einen Brief von meinem Arzt verlangt, den er der Behörde auch geschickt hat. Es waren also sehr viele Briefe, die sie bekommen haben. Schließlich haben sie mir erlaubt, mit Antenne auf dem Passbild zu erscheinen.

Moon Ribas, Sie haben gemeinsam mit Neil Harbisson die Cyborg-Foundation gegründet, die Menschen dabei helfen will, Cyborgs zu werden. Warum sollte jemand ein Cyborg werden wollen?
Moon Ribas: Um seine Sinne und seine Wahrnehmung zu erweitern. Es ist ganz normal, dass der Körper wächst, oder dass das Wissen zunimmt. Aber was die Sinneswahrnehmung betrifft, gibt es kein Wachstum. Wir wollen dieses Feld erforschen, um die Welt, in der wir leben, besser zu verstehen.

Welche Möglichkeiten der Sinneserweiterung sehen Sie?
Harbisson: Alles ist möglich und das ist sehr aufregend. Sie können schon ganz einfache Technologien verwenden, um Ihre Sinneswahrnehmung zu erweitern. Wenn Sie etwa einen kleinen Infrarot-Sensor auf der Rückseite ihres Kopfes befestigen, dann können Sie fühlen, was hinter Ihnen passiert. Das ermöglicht eine völlig neue Erfahrung des Raumes.

Die Cyborg-Foundation tritt für Rechte von Cyborgs ein. Wo sehen Sie diese Rechte bedroht?
Ribas: Es geht uns um die soziale Integration von Cyborgs. Cyborgs haben zu gewissen Orten keinen Zutritt, weil sie elektronische Teile integriert haben. Das wird zunehmen. Wir können die Elektronik aber nicht einfach abnehmen. Wir tragen sie nicht wie Brillen oder Gürtel. Die Technik ist ein Teil von uns, ein Teil unseres Körpers. Wir verteidigen also die Rechte von Leuten, die Technologie sind.

Wearables wie Smart Watches und Datenbrillen, etwa Google Glass, wird ein großes Potenzial zugeschrieben. Sehen Sie darin eine Übergangsstufe zum Cyborg?
Harbisson: Ja. Derzeit verwenden wir Technologie vorwiegend mit unseren Händen. Jetzt beginnen wir sie zu tragen. In einigen Jahren wird das ganz normal sein. Cyborgs tragen aber die Technologie nicht nur mit sich, sie sind Technologie. Ich trage mein elektronisches Auge nicht mit mir herum, ich habe ein elektronisches Auge. Das ist ein großer Unterschied.

Chips, Antennen oder andere Geräte können angegriffen und manipuliert werden. Gibt Ihnen das nicht zu denken?
Harbisson: Alles was heute schon möglich ist, ist auch möglich, wenn Technologie ein Teil unseres Körpers ist. Man kann mit Technik gute und schlechte Sachen machen. Ob Sie nun ein Cyborg sind oder nicht, daran wird sich nichts ändern.

Die Enthüllungen über die Internet-Überwachung der Geheimdienste haben sie nicht nachdenklich gestimmt?
Harbisson: Ich bin über meine Privatsphäre nicht besorgt. Die Generation, die mit Facebook aufgewachsen ist, hat eine andere Vorstellung von Privatsphäre. Das ist ein großer sozialer Wandel. Wir müssen uns wohl langsam daran gewöhnen, dass alles öffentlich ist und es keine Privatsphäre mehr gibt. Es gibt keine Geheimnisse mehr, vielleicht nicht einmal in unseren Köpfen.

Wann werden wir alle Cyborgs sein?
Harbisson: Das wird nie der Fall sein. Wir werden nicht als Cyborgs geboren. Aber ich denke, dass es in den 2040er Jahren völlig normal sein wird, Leute zu treffen, die elektronische Teile in ihren Körper integriert haben.
Ribas: Heute gibt es noch diese Angst vor Technologie. Cyborgs haben sich davon befreit und wollen experimentieren.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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