Digital Life

„Im Internet gibt es nur Platz für eine kleine, homogene Gruppe“

Digitale Festivals sind derzeit die einzige Möglichkeit, Menschen zumindest virtuell zusammen zu bringen. Doch in digitalen Räumen wird immer wieder der Deckmantel der Anonymität genutzt, um andere zu beleidigen oder belästigen. Dafür erstellen Festivals häufig einen Code of Conduct (engl. Verhaltenscodex), in dem sie Regeln für das Verhalten festlegen.

Die Rechtswissenschaftlerin Sophie Rendl hat den Code of Conduct für das Medienkunst-Festival CIVA verfasst, das am 19. Februar online startet. An ihn müssen sich alle halten, die an der Veranstaltung teilnehmen. Sie ist Mit-Gründerin der Plattform Frauendomäne, die Expertinnen vermittelt, etwa für Panel-Diskussion oder Vorträge. Am Mittwoch, 24. Februar, diskutiert sie mit _willi Hejda und Asma Aiad über "Meinungsfreiheit versus Zensur? Wenn Trolls glauben, in meinem Wohnzimmer machen zu können, was sie wollen".

futurezone: Sie vermitteln Expertinnen, bieten aber auch an, für die Veranstalter einen Code of Conduct zu verfassen. Warum ist das wichtig?

Sophie Rendl: Uns ist aufgefallen, dass immer ältere, und überwiegend weiße und männliche Akademiker als Experten auftreten und wir haben oft gehört, dass keine qualifizierte Expert*in gefunden wird. Unsere Datenbank ist ein Tool, um diese Barrieren abzubauen. Aber die Sichtbarmachung von Expert*innen allein ist nur Symptombekämpfung, denn hinter mangelnder Sichtbarkeit liegt ein tieferes, strukturelles Problem. Dies führt zu mangelnder Sicherheit und zwar online und offline.

Wenn Expertinnen in der Öffentlichkeit auftreten, passiert es Frauen häufiger als Männern, dass sie vom Publikum auf ihr Äußeres oder ihre Stimme reduziert werden. Ein Code of Conduct kann dabei helfen, indem Regeln und Verhaltensweisen aufgestellt werden. Jede Veranstaltung sollte sowas haben.

Dass wir uns überhaupt mit Themen wie Hate Speech beschäftigen müssen ist das Symptom einer weit verbreiteten strukturellen Diskriminierung der Geschlechter. Ich habe manchmal das Gefühl, in unserer Gesellschaft ist nur Platz für eine kleine homogene Gruppe, die diskriminierungsfrei leben kann.

Was muss in einem Code of Conduct stehen?

Ein Code of Conduct ist ein Verhaltenskodex. Er hält fest, welche sozialen Regeln, Gebote und Verbote innerhalb einer Organisation oder auf einer Veranstaltung gelten und welche Konsequenzen bei einem Verstoß gezogen werden. Beim CIVA-Festival haben wir uns aber explizit gegen Verbote entschieden, sondern positive Formulierungen gewählt, etwa dass man die von den Personen gewünschten Pronomen verwendet, respektvoll miteinander umgeht und einander ausreden lässt.

In einem Code of Condcut wird üblicherweise nichts strafrechtlich Relevantes festgehalten, denn dafür gibt es in Österreich eine Rechtsordnung. Es geht um Vorstufen und darum, Verhaltensmuster abzufangen und Belästigungen jeglicher Art auszuschließen. Bei dem Wort wird oft nur an sexuelle Belästigung gedacht, dazu gibt es aber viele Vorstufen.

Den Teilnehmern und Teilnehmerinnen soll gezeigt werden: Wenn etwas passiert und ihr euch unwohl fühlt, dann ziehen die Veranstalterinnen bestimmte Konsequenzen, sei es in Form von Gesprächen, einer Verwarnung oder eines Ausschlusses.

Wieso werden Räume im Internet oft von disruptiven Menschen gestört?

Gerade weil Menschen im Internet anonym sind und schnell und niederschwellig reagieren können, gibt es viele Möglichkeiten zu stören. Auch online gibt es Verhaltensmuster wie Unterbrechungen, ins Wort fallen, diskreditierende Nachrichten, Hate Speech oder Postings mit Bewertungen einer Person, zum Beispiel in Hinblick auf ihr Äußeres.  

Mein Eindruck ist, dass es durch die Anonymität im Internet und die Geschwindigkeit von Informationen schneller zu Belästigungen kommt. Gerade wenn man etwas in Foren postet, denken manche Menschen aufgrund der Größe des Internet gar nicht darüber nach, dass das von der betroffenen Person jemals gelesen werden könnte.  

Das CIVA-Festival findet ab 19. Februar digital statt

Und ein Verhaltenscodex kann das ändern?

Durch einen Verhaltenscodex kann das Bewusstsein für all diese Themen geschärft werden. Nur wenn den Menschen Dinge bewusstwerden, können sie auch dementsprechend handeln. Gerade z.B. beim Thema Pronomen schärft man so vielleicht nicht nur für den Moment den Blick darauf, sondern auch über die Veranstaltung hinaus. Ein Code of Conduct gibt den Betroffenen aber auch die Sicherheit, dass sie Sachverhalte melden können und dass die Veranstalterinnen ihre Anliegen ernst nehmen.

Darüber hinaus zeigt ein Code of Conduct allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen die gewünschte Atmosphäre der Veranstalterinnen auf. Alle Beteiligten erlangen dadurch eine Grundlage, auf die sie sich gegenüber allen anwesenden Menschen berufen können – nicht nur das Veranstaltungsteam sondern insbesondere alle Teilnehmerinnen, Besucher und Sponsoren.

Gegen sowas wie einen Verhaltenscodex wird ja häufig mit Meinungsfreiheit argumentiert. Was sagst du dazu?

Natürlich ist Meinungsfreiheit ein wichtiges Grundrecht für das Funktionieren einer Demokratie. Aber wie für fast jedes Grundrecht gibt es auch da rechtliche Schranken. Ich denke, dass Belästigungen aber nicht unter die Meinungsfreiheit fallen und dass wir vor allem aufhören sollten, die Meinungsfreiheit inflationär für jede Belästigung oder Beleidigung zu benutzen. Es muss vor allem in Ordnung sein, dass Veranstalterinnen ihren Raum diskriminierungsfrei gestalten wollen, ohne negativer Äußerungen aufgrund des Geschlechts, des Aussehens oder der Herkunft einer Person.

Das Interview fand im Rahmen einer Medienkooperation mit dem CIVA-Festival statt.

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