Dragons Dogma 2 im Test: Kein Game für bequeme Spieler
Was haben ein Drache, ein Greif und eine Gruppe Orks gemeinsam? Sie alle stehen in einer Schlucht ums Eck und bekämpfen einen Ochsenkarren, dessen Eskorte und jetzt auch mich gleichzeitig. Es ist ein herrliches Chaos.
Gut 20 Minuten später ist es ruhig. Bis auf mich ist alles tot. Meine treuen Gefolgsleute, die „Pawns“ belebe ich wieder. Bis auf einen. Seine Augen haben im Kampf gefährlich rot geleuchtet, ein Zeichen der Dragonsplague.
Es wird dunkel. Der Kampf gegen den 15 Meter hohen Drachen und den etwas kleineren, aber immer noch imposanten Greif war kräftezehrend. Die Health-Anzeige ist im Keller. Wenn ich nicht schnell ein Lagerfeuer finde, um ein Camp aufzuschlagen, wird es verdammt schwer, die Nacht zu überstehen. Ich kann’s kaum erwarten.
Was in anderen Games eine epische Schlacht wäre, ist in Dragons Dogma 2 (PS5, Xbox Series, PC, ab 65 Euro bei Amazon) beinahe Alltag. Nun gut, Drachen gibt es nicht so viele, aber dafür Werwölfe, Oger und andere Monster, die die mehrfache Größe eines Menschen haben.
Teil 1 nicht gespielt? No Problem
Ich habe Dragons Dogma 1 nicht gespielt – wie vermutlich die meisten, die jetzt über DD2 lesen. Und es ist wurscht. Man braucht kein Vorwissen. Man muss sich nur auf das Game einlassen.
Die ersten Stunden sind ruppig. Viele, aber gleichzeitig gefühlt spärliche Tutorials, eine Welt, die man noch nicht so wirklich begreift. Doch langsam macht es Klick und man beginnt die Mechanismen, die Ideen, das Konzept, das Kunstwerk, das DD2 ist, zu begreifen.
Keine Angst, es ist keine tief versteckte Moral dahinter oder irgendwelche abstrusen Plots, die aus Prinzip verschachtelt sind, damit pseudointellektuelle Gamer*innen behaupten können, sie hätten sie verstanden. Es ist einfach eine erfrischende Art, wie man ein Action-Rollenspiel gestalten kann. DD2 fordert Spieler*innen nicht heraus, nur um sie versagen zu sehen. DD2 fordert die Spieler*innen heraus, Teil seiner Welt zu werden.
Von A nach B tut manchmal weh
Sinnbildlich für die Reise von der Spieler*in hin zum Teil der Spielewelt steht jede Reise in DD2. Quick Travel ist nämlich stark begrenzt. Das funktioniert nur mit den sehr seltenen Ferrystones, die man entweder findet oder für viel zu viel Geld kaufen kann.
Die Alternative ist das Reisen auf Ochsenkarren. Das ist zwar günstiger, aber nur auf fixen Routen zwischen den Hauptstädten unterwegs. Und sicher ist es auch nicht: Denn Monster und Banditen können hinter jeder Straßenbiegung lauern.
Die meiste Zeit wird man zu Fuß gehen. Besonders zu Beginn des Spiels ist das keine triviale Angelegenheit. Mal navigiert man sich in Sackgassen oder steht plötzlich vor einem gewaltigen Drachen, für den man definitiv noch nicht bereit ist.
Selbst vermeintlich schwächere Gegnergruppen können herausfordernd sein. Die platzieren sich etwa geschickt auf Hügeln, sodass man ihren Fernkampfangriffen ausgeliefert ist. Wölfe können einen packen und von der eigenen Gruppe wegschleppen – und ohne Hilfe heißt es schnell Game Over. Starke Attacken können einen torkeln lassen. Bis sich die eigene Spielfigur wieder gefangen hat, kann man im Grunde nur hilflos zusehen, wie man weitere Angriffe einstecken muss – die oft tödlich sind.
Und dann hat es Klick gemacht
Mit der Zeit kommt aber der Aha-Moment. Auch die Gegner haben diese Schwächen. Die richtige Attacke lässt sie betäubt zurück. Mit der richtigen Taktik kann man die starken Feinde von ihrer Gruppe isolieren. Und nutzt man das Gelände, kann man sie in ihren Tod stürzen lassen.
DD2 sorgt aber dafür, dass es mehrere Klicks braucht. Ich habe mich etwa im Waldgebiet, in dem man den ersten Teil des Games verbringen wird, schon recht wohlgefühlt. Ich kenne die Karte, die Feinde und die Geräusche, die sie machen, bevor sie versuchen mich aus dem Hinterhalt anzugreifen. Dann sollte ich in die Wüste reisen.
Das lief so lange gut, bis in einer Schlucht plötzlich 2 große starke Monster gleichzeitig auftauchten. Mit dem Gedanken: „Bis zur nächsten Stadt kann es ja nicht mehr so weit sein“ habe ich den Fehler gemacht, nicht in bekanntes Gebiet zurückzulaufen, sondern nach vorne zu flüchten. Da waren dann aber schon die nächsten Feinde. Also weiterlaufen, wo wieder Gegner waren. Das Ganze hat sich zu einem 15-minütigen Überlebenskampf entwickelt. Am Ende war ich erleichtert, die Stadt erreicht zu haben, aber auch erpicht, stärker in die Wüste zurückzukehren. Erstens: Rache. Zweitens: Irgendwas muss es dort zu holen geben, sonst wären nicht so viele starke Feinde gleichzeitig dort gewesen.
Entscheidungen haben Konsequenzen
Und genau das ist es, was DD2 erreichen will. Spieler*innen sollen nicht einfach ein Gebiet durchqueren, es mental abhaken und stur Richtung Zielpunkt des nächsten Quests laufen. Spieler*innen sollen sich Gedanken machen, ihre eigenen Entscheidungen treffen und damit leben. Denn sie sind nicht irgendeine göttliche Übergestalt, um die sich alles dreht: Sie sind nur Teil dieser Welt.
Entscheidungen haben Konsequenzen. Oft realisiert man das nicht sofort, manchmal sind die Auswirkungen erst später bemerkbar. Oft weiß man zuerst gar nicht, dass man eine Entscheidung getroffen hat: Es gibt nur wenige Multiple-Choice-Dialoge. Viele der Entscheidungen werden durch Handlungen getroffen: Hilft man jemandem oder nicht? Macht man den Quest, den man annimmt gleich, oder hat man nicht gesehen, dass der sofort erledigt werden muss und kommt dann zu spät?
Man bekommt nur selten eine zweite Chance. Es gibt nur einen Speicherslot. Der gilt sowohl für das manuelle als auch das automatische Speichern. Ist ein Ereignis unerwünscht ausgegangen, ist die Chance hoch, dass automatisch gespeichert wurde und es kein Zurück mehr gibt. Man muss mit den Konsequenten leben.
Eine besonders brutale Konsequenz ist, wenn macht nicht auf die „Dragonsplague“ achtet. Pawns, die sich mit dieser Krankheit infiziert haben, verwandeln sich in Drachen, wenn man in einer Stadt übernachtet, um wieder zu Kräften zu kommen. Der Drache vernichtet oft alle NPCs, inklusive denen, die man für Quests braucht. Die kann man zwar später wiederbeleben, dazu braucht man aber Wakestones, die selten zu finden sind.
Wohin jetzt eigentlich?
Diese Dragonsplague wird nicht einfach als Status-Icon angezeigt. Man muss darauf achten, ob sich das Verhalten der Pawns verändert und ihre Augen rot zu leuchten beginnen.
Das Fordern der Aufmerksamkeit der Spieler*innen zieht sich wie ein roter Faden durch DD2. Es gibt keine Namensanzeigen für NPCs. Den Namen sieht man erst, wenn man sie anspricht. Oft zeigen Quest-Indikatoren nur ins ungefähre Zielgebiet – den Weg dahin muss man per Karte selbst finden. Manchmal sieht man auch gar nichts. Hat man etwa in einem Gespräch einen Hinweis bekommen, wo etwas Spezielles zu finden ist, ist das nicht immer ein Quest. Man muss also gut zuhören und dann selbst den beschriebenen Ort suchen.
Manche Quests können nur zu bestimmten Uhrzeiten oder an bestimmten Tagen erfüllt werden. Wann das ist, muss man selbst herausfinden. Eine „Drücke X an dieser Stelle, um bis zum Start des Quests zu warten“-Mechanik gibt es nicht.
Und manchmal weiß man gar nicht, wieso das Game jetzt nicht weitergeht, weil es keine sichtbare Trennung zwischen Main und Side Quests gibt. Es sind einfach Aufgaben. Ignoriert man etwa eine Aufgabe, weil man sie als nicht wichtig genug einschätzt, geht die Hauptstory nicht weiter.
Ich frage mich, wie viele Neben- oder Folgequests ich verpasst habe, weil ich vermeintlich langweile oder unwichtige Aufgaben ignoriert oder manche Dörfer nicht mehrmals besucht habe. DD2 ist definitiv ein Game, das man öfters in New Game+ spielen wird, wenn man wirklich alles sehen will.
Solides Kampfsystem ohne Schnickschnack
Auch das Echtzeit-Kampfsystem macht DD2 zu etwas Besonderem. Es gibt lediglich Health und Ausdauer. Auf eine eigene Magie- bzw. Manaleiste wird verzichtet: Magie und spezielle Attacken verbrauchen Ausdauer. Super-Spezial-Aufladeattacken, Rage-Moves oder ähnliches gibt es nicht.
Das Kampfsystem mutet zu Beginn simpel an, ist aber in sich elegant, obwohl Kämpfe, besonders gegen große Gruppen oder große Monster, oft chaotisch wirken. 4 Magiesprüche/Attacken lassen sich maximal gleichzeitig nutzen. Hier die richtige Mischung aus allen verfügbaren Moves zusammenzustellen, auch in Anbetracht der Wirkung, die sie auf Feinde haben, ist die große Kunst.
Gelevelt, um neue Moves freizuschalten, wird in der jeweiligen Klasse, die man gerade ausgewählt hat. Klassen können jederzeit in den Städten geändert werden. Mit den Klassen ändern sich nicht nur die Moves, sondern auch passive Boni, die man freischalten kann. Vielleicht will man den Kampfmagier optimieren, indem man einen passiven Bonus des Bogenschützen freischaltet. Genau so soll ein Kampfsystem sein: Keine Daumenverrenkungen oder Button Smashing, nicht unnötig aufgeblasen, aber mit Möglichkeiten in die Tiefe zu gehen.
Pawns: Mehr als nur Packesel
Ähnlich ist es mit den Pawns. Die Spieler*innen können (und sollten) 3 Pawns in ihrer Gruppe haben. Neben dem selbsterstellten Haupt-Pawn sind das 2 NPCs, die die Haupt-Pawns anderer Spieler*innen sind.
Prinzipiell könnte man einfach irgendwelche Pawns nehmen. Beschäftigt man sich aber etwas mehr damit, fließen hier die Klasse und Gesinnung mit ein. Auch sinnvoll ist, ob ein Pawn die Eigenschaft Quest-Helfer hat. In manchen Situationen können sie dann vorauslaufen und den Weg zeigen, falls man gerade einen Quest mit Quest-Markern ausgewählt hat.
Die Gesinnung bestimmt auch, wie risikofreudig die Pawns sind. Will man selbst eher aus der zweiten Reihe als Magier agieren, sollte man Pawns nehmen, die viel aushalten und auch mal selbst auf Orks und Drachen klettern.
Das ist übrigens eine weitere spannende DD2-Mechanik: Klettert man an großen Feinden hoch, kann man zu einer Schwachstelle krabbeln und dann zustechen, was besonders viel Schaden macht. Aber Vorsicht: Klettern verbraucht Ausdauer und die meisten Monster versuchen einen abzuschütteln (und die ganz großen schnipsen einen schon mal salopp weg).
Die Pawns erfüllen noch eine weitere, wichtige Aufgabe: Sie können Gegenstände tragen. Das Gewichtsmanagement gehört zum Meta-Game von DD2. Je mehr man trägt, desto schneller schwindet die Ausdauer, wenn man sprintet oder Attacken bzw. Magie einsetzt. Wie viel Heiltränke nimmt man mit? Brauche ich auch Gegenmittel? Reicht es, wenn mein Pawn ein Camping-Kit dabei hat, oder packe ich selbst eines ein, falls er unterwegs stirbt? Solche Fragen stellt man sich regelmäßig, bevor man von einer Stadt aus Richtung Quest aufbricht.
Bugs und Micro-Transactions
Die offene Welt hat eine solide Physikengine. Da fällt es umso mehr auf, wenn man dann mal wegen eines Bugs wo hängenbleibt und deshalb stirbt. Ärgerlich ist auch, dass die Kameraperspektive sich regelmäßig schwertut, wenn man auf ein Monster klettert. Wenn man nicht sieht, wo man sich gerade befindet, kann man nicht rechtzeitig abspringen, wenn sich der Werwolf zu Boden wirft, um einen zu zerquetschen.
Unschön ist, dass Capcoms Micro-Transactions anbietet. Gegen Echtgeld können Wakestones und andere In-Game-Items gekauft werden, die das Spiel etwas leichter machen. Natürlich muss man nicht diese Items kaufen. Man kann auch so DD2 durchspielen, ohne zu grinden oder sonst wie das Nichtkaufen dieser Gegenstände zu kompensieren. Trotzdem hat es einen fahlen Beigeschmack.
Fazit
Dragons Dogma 2 wirkt zu Beginn so, als sei es aus einer anderen Zeit. Viele Annehmlichkeiten, die aktuelle Action-Rollenspiele haben, fehlen hier. Das reicht von variablen Schwierigkeitsgraden über Quick Travel bis zu mehreren Speicherständen. Lässt man sich aber bewusst darauf ein, blüht man, zusammen mit dem Game, richtig auf.
Diese Reduktion an Bequemlichkeiten sorgt dafür, dass man viel bewusster spielt. Es ist kein simples Abarbeiten von Quests und Abklappern von leuchtenden Punkten auf der Karte: Es ist eine eigene Welt. Man spielt nicht mit ihr, sondern in ihr.
Das macht Dragons Dogma 2 erfrischend, im Vergleich zu vielen aktuellen Action-Rollenspielen, trotz des vermeintlich ausgelutschten, mittelalterlichen Fantasy-Settings. Je nach Spielstil und wie sehr man sich auf das Game (und das versteckte Postgame) einlässt, wird man zwischen 30 und 50 Stunden in den ersten Playthrough stecken. Danach ist die Chance hoch, dass man sich ins New Game+ stürzt, um herauszufinden, was man beim ersten Mal alles verpasst hat.