Meinung

Alles wird gut

„Früher war alles besser!“ Gerade von Leuten in fortgeschrittenem Alter hört man solche Sprüche oft – und manchmal setzt diese nostalgische Vergreisung bereits erschreckend früh ein.

Man stellt sich die gute alte Zeit als eine fröhliche Epoche vor, in der lächelnde Menschen ohne Arbeitsstress durch die unberührte Natur lustwandelten und die Jugend sich noch zu benehmen wusste. Unverdorben von fettiger Fertignahrung sahen alle Menschen aus als würden sie gerade für eine Müsliwerbung posieren, man lebte in liebevollem Einklang mit der Umwelt, und anstatt Ego-Shooter zu spielen erzählte man einander herzerwärmende Geschichten über Einhörner und Katzenbabys.

Dieses Romantisieren vergangener Zeiten ist genauso dumm wie der Glaube an Horoskope, Wünschelruten oder eine scheibenförmige Erde. Die gute alte Zeit gab es nie. In Wirklichkeit haben wir es heute im Durchschnitt besser als all unsere Vorfahren, die jemals gelebt haben. Natürlich haben wir auch mit gewaltigen Problemen zu kämpfen – aber die Welt steht besser da als viele von uns glauben.

Gejammert wurde schon immer

Die Verklärung vergangener Epochen ist kein neues Phänomen. „Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten“ – dieser Ausspruch stammt von einer 3000 Jahre alten babylonischen Steintafel. Auch Sokrates schimpfte über die Jugend seiner Zeit, und Ovid schrieb über das längst vergangene Goldene Zeitalter – in der jammervollen Überzeugung, dass seither alles nur noch bergab geht.

Entweder die gesamte Menschheitsgeschichte ist also tatsächlich ein stetiger Abstieg, oder der Glaube an eine stahlendglänzende Vergangenheit ist einfach nur ein Irrtum, den jede Generation aufs Neue begeht. Die wissenschaftlichen Fakten sprechen für die zweite These: Nach fast allen messbaren Parametern wird unsere Welt immer besser.

Die Anzahl der Menschen, die in absoluter Armut leben, geht seit Jahrzehnten weltweit rasant zurück – und das obwohl die Gesamtbevölkerung der Erde in derselben Zeit stark angestiegen ist. Die medizinische Versorgung wird selbst in armen Gegenden immer besser, ca. 90 Prozent aller Menschen haben Zugang zu Trinkwasser, das vor Krankheitskeimen geschützt ist. Die Lebenserwartung in den ärmsten Ländern der Erde ist heute höher als sie in den reichsten Ländern vor 150 Jahren war. Die Kindersterblichkeit konnte auf weltweit etwa vier Prozent reduziert werden – das ist etwa ein Zehntel der Kindersterblichkeit des Jahres 1900. Gleichzeitig gehen die Geburtenraten zurück, die ehemals drohende Bevölkerungsexplosion scheint abgewendet.

Im Jahr 1800 lernten weltweit etwa zehn Prozent der Kinder lesen und schreiben – heute sind es weltweit fast 90 Prozent. Besonders bei Mädchen ist die Alphabetisierungsrate massiv gestiegen.

Weniger Gewalt, mehr Fairness

Gleichzeitig werden die Menschen immer friedlicher – ein Befund, der angesichts von Terrorwarnungen und Messerattacken auf Boulevardblatt-Titelseiten vielleicht überraschend klingt. Doch der Evolutionspsychologe Steven Pinker hat sich die Mühe gemacht, im Detail zu untersuchen, wie sich Tötungsraten und Gewalt geschichtlich entwickelt haben. Er konnte zeigen, dass wir heute in der friedlichsten Phase der Menschheitsgeschichte leben – trotz aller furchtbaren Kriege, die es leider immer noch gibt.

Knochenüberreste alter Kulturen zeigen auffallend oft Spuren tödlicher Gewalt, heute sind Mordfälle die große Ausnahme. Im Mittelalter wurden Menschen zur Belustigung der Masse öffentlich gefoltert, heute hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass Ohrfeigen kein sinnvolles Mittel der Kindererziehung sind. Man kann den Blick auf Zwangsarbeit und Sklaverei richten, auf die Gleichberechtigung von Frauen, auf Rassismus oder Homosexuellenrechte – in all diesen Bereichen hat sich viel zum Guten verändert. Kein Zweifel, die Menschheit lernt dazu.

Bad news are good news

Warum reden wir darüber so selten? Vermutlich, weil es eben nicht in die Logik der Medienberichterstattung passt. Naturkatastrophen, Terroranschläge oder Flugzeugabstürze ereignen sich ganz plötzlich. Positive Entwicklungen hingegen brauchen oft Jahre oder Jahrzehnte. Wenn uns Medien die aktuellen Ereignisse des Tages oder der Woche näherbringen wollen, drängt sich zwangsläufig das Negative in den Vordergrund. Würde man eine Nachrichtensendung gestalten, in der die Neuigkeiten der letzten fünfzig Jahre aufgearbeitet werden, bekäme man wohl einen viel optimistischeren Blick auf die Welt.

Natürlich gibt es noch viel zu tun, und selbstverständlich beobachten wir auch manchmal bittere Rückschläge. Aber insgesamt wird vieles besser. Darüber sollten wir reden, darüber sollten wir uns freuen, dafür sollten wir uns weiterhin gemeinsam einsetzen.

Webtipp: Viele interessante Daten und Fakten über die positive Entwicklung der Menschheit findet man auf gapminder.org, einem Projekt des Statistikers und Gesundheitsforschers Hans Rosling.

Zur Person

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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