Die Fairness-Falle
In meiner Küche wohnen vier rosarote Einhörner vom Planeten Aldebaran, die bunte Regenbögen aus glitzerndem Feenstaub an die Decke pusten. Sie glauben mir nicht, weil es Einhörner gar nicht gibt? Na gut, vielleicht liegt die Wahrheit in der Mitte. Einigen wir uns auf zwei Einhörner.
Kompromisse sind eine tolle Sache. Wenn zwei Seiten in einer politischen Diskussion grundlegend unterschiedliche Ansichten haben, dann lohnt sich oft der Gedanke, ob nicht beide ein bisschen recht haben. Aber das ist kein Naturgesetz, die Wahrheit muss nicht immer in der Mitte liegen. Manchmal ist eine Meinung richtig, und die Gegenmeinung einfach nur purer Unfug. Wer behauptet, dass die Erde flach ist, dass man mit feinstofflicher Energie Krebs heilen kann, oder dass er Einhörner in der Küche beherbergt, der hat auch nicht ein bisschen recht, sondern er hat überhaupt nicht recht.
Schein-Gleichheit im Fernsehen
Im Journalismus ist das oft ein Problem, denn da ist man es gewohnt, beide Seiten auf Augenhöhe zu Wort kommen zu lassen. Wenn die Regierung ihre Pläne ausführlich präsentieren darf, dann sollte auch jemand von der Opposition reden. Das ist gut so. Aber wenn es um Streitereien zwischen wissenschaftlichen Fakten und bauchgefühlten Schwindeleien geht, dann wird dieser löbliche Grundsatz zur gefährlichen Falle.
Dann wird in quotenverwöhnten Fernsehshows diskutiert, ob Impfen eine gute Sache ist. Man lädt dazu eine erfahrene Ärztin ein, die sich ihr halbes Leben lang mit evidenzbasierter Medizin, aufwändigen Statistiken und doppelt verblindeten Studien beschäftigt hat. Und daneben setzt man einen wütenden Impfgegner, der mit irgendwelchen Einzelfällen herumpoltert, um zu beweisen, dass vom Impfen in Wahrheit eine dunkle Gefahr ausgeht. Beide bekommen gleich viel Redezeit, und am Bildschirm sehen sie gleich groß aus. Der Klimaforscher wird auf Augenhöhe mit dem Klimaskeptiker präsentiert, der Politologe mit dem Verschwörungstheoretiker, die Sozialmedizinerin mit der Engel-Matrix-Heilerin.
Gleich heißt nicht fair
Das wirkt zwar fair, ist es aber nicht. Wer in diese Gleichbehandlungs-Falle tappt, trägt zur Verbreitung von antiwissenschaftlichem Unfug bei. „Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen“, denkt das Publikum. Nicht zu sehen ist bei solchen Anlässen aber, dass hinter der einen These tausende Experten stehen, die ihre Aussagen mit unzähligen Experimenten, Studien und Fachartikeln belegen können, während auf der anderen Seite bloß ein paar verschrobene Außenseiter freihändig ihre Fakten zurechtbiegen. Wirklich fair wäre, schon vor der Sendung beide Seiten derselben kritischen Überprüfung zu unterziehen.
Natürlich gibt es wissenschaftliche Fragen, die ungeklärt sind, bei denen unterschiedliche Meinungen gleichberechtigt aufeinandertreffen. Aber wenn jemand sagt, es regnet, und ein anderer behauptet, dass die Sonne scheint, dann soll man nicht beide Meinungen weitererzählen, sondern das Fenster öffnen, nachsehen, und sagen, wer tatsächlich recht hat.
Zur Person
Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen.