Durch den Ring aus blauen (stationären) Atomen bleiben die bunten Atome in der Mitte in Bewegung.
Neu entdeckter Aggregatzustand könnte Katalysatoren revolutionieren
Fest, flüssig, gasförmig – das sind die 3 Aggregatzustände, von denen man üblicherweise in der Schule lernt. Über diese klassische Einteilung hinaus hat die Forschung mittlerweile einige weitere Zustände beobachtet, die vor allem unter Extrembedingungen entstehen – Plasma zum Beispiel.
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Ein Forschungsteam der University of Nottingham und der Universität Ulm hat nun festgestellt, dass auch die Unterteilung der klassischen Aggregatzustände nicht so klar ist, wie zuvor angenommen. In ihrer Studie, die Anfang der Woche in der Fachzeitschrift ACS Nano erschienen ist, zeigen sie eine bisher unbekannte Hybridphase zwischen flüssig und fest: eine eingehegte, unterkühlte Flüssigkeit.
Graphen als Herdplatte für Platin, Gold und Palladium
Die Forscherinnen und Forscher beobachteten den Erstarrungsvorgang von Nanotröpfchen aus geschmolzenem Metall mit einem Transmissionselektronenmikroskop. Dafür mussten sie zunächst eine Möglichkeit entwickeln, ihre Untersuchungsobjekte bei Temperaturen von 20 bis 800 Grad Celsius abbilden zu können.
„Wir haben angefangen, indem wir Metall-Nanopartikel wie Platin, Gold und Palladium schmolzen, die auf einem atomar dünnen Trägermaterial – Graphen – aufgebracht waren. Wir nutzten das Graphen als eine Art Herdplatte für diesen Prozess, um die Partikel zu erhitzen. Und als sie schmolzen, begannen ihre Atome sich wie erwartet schnell zu bewegen. Zu unserer Überraschung stellten wir jedoch fest, dass einige Atome stationär blieben“, erklärt Christopher Leist, der an der Universität Ulm für die Beobachtungen zuständig war, in einer Aussendung.
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Atome halten still
Das Verhalten von Atomen in Flüssigkeiten zu untersuchen sei herausfordernd, betont der Forschungsleiter und Professor für Nanomaterialien an der University of Nottingham, Andrei Khlobystov. Sie bewegen sich auf komplexe Art und Weise, ähnlich einer drängelnden Menschenmasse.
Doch manche der Atome bewegen sich eben nicht, sondern bleiben einfach an Ort und Stelle, wie die Experimente des britisch-deutschen Forschungsteams zeigen. Das hat Auswirkungen auf den Erstarrungsprozess.
Gehege aus stationären Atomen hält flüssig
Gibt es nur wenige dieser stationären Atome, formt sich direkt ein Kristall, der weiterwächst, bis der gesamte Partikel erhärtet – ein gewöhnlicher Übergang von flüssig zu fest. Wenn allerdings eine große Zahl der Atome ortsfest bleibt, wird der Erstarrungsprozess gestört und es entsteht kein Kristall.
„Der Effekt ist besonders auffällig, wenn stationäre Atome einen Ring bilden, der die Flüssigkeit umgibt. Sobald die Flüssigkeit in diesem atomaren Gehege eingeschlossen ist, kann sie auch bei Temperaturen deutlich unter ihrem Gefrierpunkt in flüssigem Zustand bleiben“, berichtet Khlobystov.
Flüssiges Platin bei nur 350 Grad Celsius
Platin zum Beispiel blieb auch bei 350 Grad Celsius noch flüssig. Das ist 1.000 Grad kälter als der Punkt, an dem das Edelmetall üblicherweise erstarrt.
Unter einer gewissen Temperaturschwelle verfestigt sich die eingehegte Flüssigkeit dann doch, allerdings nicht in seiner kristallinen Form, sondern zu einem amorphen Feststoff. Dieser ist höchst instabil: Sobald das Gehege – also der Ring ortsfester Atome – unterbrochen wird, geht das Metall in seine normale Kristallstruktur über und wird klassisch fest.
Material für die Katalysatoren der Zukunft
Der beobachtete hybride Aggregatzustand von Metall ist nicht nur theoretisch von Bedeutung. „Da Platin auf Kohlenstoff einer der am häufigsten verwendeten Katalysatoren weltweit ist, könnte die Entdeckung eines begrenzten flüssigen Zustands mit nicht klassischem Phasenverhalten unser Verständnis der Funktionsweise von Katalysatoren verändern“, sagt Jesum Alves Fernandes von der University of Nottingham. „Dieser Fortschritt könnte zur Entwicklung selbstreinigender Katalysatoren mit verbesserter Aktivität und Langlebigkeit führen“, so der Katalyse-Experte weiter.
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Die Forscherinnen und Forscher hoffen, dass sie die entdeckten Atomgehege in Zukunft kontrollieren können. Größere oder komplexere Formen könnten die Nutzung seltener Metalle effizienter machen, etwa bei Technologien zur Energieanwendung und -speicherung.
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