Meinung

Google, die Schöne und das Biest

Gerald Reischl spricht in seinem Artikel das Innovationsproblem Europas an. In dieser Hinsicht muss man ihm leider Recht geben und sich mit ihm um die Zukunft des Kontinents Sorgen machen. In Europa ist die Krise bei Forschung und Entwicklung so wie bei der Technologie getriebenen Zukunftsgestaltung systemisch. Die Gründe dafür liegen nicht so sehr in der mangelnden Qualität der akademischen Ausbildungsangebote. Das zeigen die vielen wissenschaftlich hochbegabten Talente, die nach ihrem Universitätsabschluss dem alten Kontinent den Rücken kehren und sich anderswo auf der Welt ein herausforderndes Arbeitsumfeld suchen.

Die Ursachen liegen einerseits in den bürokratischen Hürden beim Aufbau und der Förderung von Start-ups wie fehlendem Venture Capital, andererseits an der dramatischen Segmentierung der Märkte und am verabsäumtem Wissenspooling in Form offenen Datenaustausches zwischen Forschern quer über den Kontinent sowie an der zu geringen Verlinkung von F&E mit der Industrie. Hier muss die Europäische Union dringend gegensteuern und ihre Leitinitiativen „Innovation Union“ und „Single Research Area“ zügig in die Tat umsetzen. Gemeinsamer Gestaltungswille jenseits nationaler Eitelkeiten ist mehr denn je gefragt.

Niedergang der IKT-Wirtschaft

Reischls Diagnose „Europa ist das Problem“ trifft auf die Innovationspolitik in hohem Maße zu und zeigt sich besonders deutlich am Niedergang der IKT-Wirtschaft, aber auch in anderen Sparten wie der Medienbranche. Da hilft auch nicht, wenn Mathias Döpfner über die fehlende Augenhöhe seines Springer-Verlages in der Geschäftsbeziehung mit Google klagt. Gerade die Medienbranche hat viel zu lange an die Unverwüstlichkeit des Printformats geglaubt und verabsäumt, ihre Distributionskanäle an irreversibel veränderte Mediennutzungsgewohnheiten vieler Menschen anzupassen. Und nun sind im multimedialen und sozialen Webzeitalter auch noch branchenfremde Industriegiganten wie Coca Cola aus der Konsumgüterindustrie mit eigenes rekrutierten Journalistenteams oder starken Medienpartnerschaften drauf und dran, den Verlagen Marktanteile abzujagen.

Google ist unzweifelhaft ein visionäres Unternehmen, das auf Basis seiner multikulturellen und interdisziplinären Workforce mit unterschiedlichsten Problemlösungsperspektiven immer wieder Innovationen hervorbringt. Insofern ist das heute drittwertvollste Unternehmen der Welt in den Augen vieler „die Schöne“.

Neuer Absolutismus

Was aber die Kritik, insbesondere von Shoanna Zuboff an Google angeht, muss ich Reischl widersprechen, wenn er sie als unbegründet zurückweist. Er hat ja schließlich selbst mit dem Buch „Die Google-Falle“ schon vor Jahren mit bemerkenswerter Weitsicht vor der aufkommenden Allmacht des Daten-Giganten gewarnt. Die Geschäftspraxis der massenhaften Enteignung von Nutzerdaten zur Fortschreibung der wirtschaftlichen Erfolgstory und die enge Zusammenarbeit des Unternehmens mit der NSA und anderen Sicherheitsdiensten tragen tatsächlich die Züge eines neuen Absolutismus.

Und wenn Google in Zukunft seinen Perfektionismus im Datenmining in die reale Welt hinausträgt, dann sind in hohem Maße menschliche Grundrechte wie persönliche Freiheit und der Schutz der Privatsphäre, aber auch gesamtgesellschaftliche zivile Errungenschaften wie Demokratie und soziale Solidarität gefährdet. Daher schaut jetzt die ganze Welt zu Recht auf Europa, dem Kontinent der Aufklärung! Um zu verhindern, dass Google eines Tages das Leben aller Menschen beherrscht, muss die Europäische Union jetzt ihre verbesserte Datenschutzjudikatur verankern und auch technologische Vorkehrungen für gehärtete Netzinfrastrukturen treffen.

Europa neu erfinden

Noch ein paar Gedanken zu Reischls Anmerkungen „Europa findet keine Antwort“: Europa wird ganz sicher nicht mit einer eigenen transnationalen Internet-Suchmaschine auf die IKT-Weltbühne zurückkehren, soweit stimme ich ihm zu. Aber Europa kann sich durch die Verwirklichung des digitalen Binnenmarktes, getriggert durch die Etablierung einer paneuropäischen Cloud, durch grenzenlosen elektronischen Handel und durch Vorzeigelösungen beim Datenschutz als IKT-Standort neu erfinden und dadurch gesamtökonomische Effekte in Milliardenhöhe auslösen. Und IKT-Firmen von Weltrang anziehen.

Gleichzeitig zur gelebten globalen Offenheit muss Europa aber weiterhin unverrückbar zu seinen ethischen Werten stehen, die einem ungezügelten Turbokapitalismus politische Schranken setzen. Auch in diesem Punkt schaut die Welt heute auf Europa, seit der französische Ökonom Thomas Piketty mit seinem Buch „Capital in the 21st century“ für weltweites Aufsehen sorgte.

Soziale Verpflichtung

Unternehmen haben aus meiner Sicht nur dann eine Zukunft, wenn sie sich bei aller Fokussierung auf geschäftlichen Erfolg auch einer sozialen Selbstverpflichtung verschreiben, mit der die Welt ein Stück besser gemacht werden kann. Dazu gehört neben der Lösung der dringendsten Probleme wie Ressourcenknappheit und Umweltverschmutzung auch die Verringerung der Kluft zwischen Arm und Reich. Gerade Technologieunternehmen haben es in der Hand hier ihren Fußabdruck zu hinterlassen. Hoffen wir, dass bei Google künftig das Humanitäre in Strategie und Unternehmensphilosophie einen Platz hat und der Konzern nicht, wie man heute befürchten muss, sich zum Oligarchen über unser aller Daten und Leben aufschwingt. Das wäre dann Google, das Biest.

Helmut Fallmann gründete gemeinsam mit Leopold Bauernfeind vor 25 Jahren den Softwarekonzern Fabasoft. Heute ist er Mitglied des Vorstandes der Fabasoft AG. Fabasoft hat sich zu einem führenden europäischen Softwarehersteller und Cloud-Anbieter mit Sitz in Linz etabliert.
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