Nicht Google, Europa ist das Problem
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Sehr geehrter Herr Döpfner, sehr geehrte Frau Zuboff,
dass ich den Herren vor der Dame begrüße, hat den Grund, dass Herr Döpfner sein Schreiben an Google-Aufsichtsratschef Eric Schmidt am 16. April veröffentlicht hat, Frau Zuboff ihre Kritik an Google am 30. April.
Vor sechs Jahren schon habe ich vor der Weltmacht Google gewarnt, habe alle damaligen Fakten in meinem Buch „Die Google-Falle“ zusammen getragen und war für den Internet-Konzern vermutlich eines der Feindbilder, weil ich vor der Macht Googles regelmäßig in Interviews, Vorträgen aber auch eigenen Artikeln gewarnt habe. Faktum war, dass durch meine Recherchen einige renommierte Webseiten Google-Services deaktivierten. Ich habe vor Google Analytics gewarnt, vor den Scan-Methoden von Google Mail und überhaupt vor der Macht des Giganten. „Die Welt ist eine Kugel, sie sollte keine Google werden“, habe ich damals geschrieben. Sie ist nach wie vor eine Kugel.
Paranoiker
Viele glaubten mir schon damals, aber genauso viele belächelten mich, stellten mich als Weltverschwörungstheoretiker, Paranoiker und Angstmacher hin, als jemanden, der einem erfolgreichen Unternehmen den Erfolg nicht gönnt und der den Inhalt des Buches zum Titel hinformuliert – weil mir der Titel „Die Google-Falle“ bereits vor der Recherche eingefallen ist. Sie können mir glauben, ich habe mir nach der Veröffentlichung des Buches oft gedacht – warum hast du dir das angetan? Du hättest es nicht schreiben sollen. Ich habe mir damals oft das Lied der „Die Ärzte“ „Lasse redn“ angehört. In diversen Foren war ich ein Buh-Mann, auf Amazon erschien die erste negative Kritik über das Buch zu einem Zeitpunkt, zu dem es das Buch noch gar nicht im Handel gab. Und ein deutscher Professor schrieb mir ein zehnseitiges Mail, in dem er auf arrogante, aber äußerst unwissenschaftliche Art und Weise zu belegen versuchte, welchen Schwachsinn ich nicht zusammen getragen hätte. Mir war aber schon damals klar, dass er als SEO-Experte indirekt auf Googles Pay-Roll stand.
Altbekanntes neu serviert
Sie haben beide freilich recht. Google ist ein Quasi-Monopolist. Es beherrscht das Web. Aber die Zahlen, die Sie präsentieren, die veranschaulichen sollen, wie gefährlich Google ist, sind seit sechs (!) Jahren bekannt
Ich habe die Google-Zentrale unter anderem 2007 gesehen – damals ein relativ überschaubarer Konzern mit global 14.000 Mitarbeitern und einem schon damals ziemlich hippen Headquarter. Vor vier Wochen war ich wieder dort – nun sind es 50.000 Mitarbeiter weltweit und weil der Konzern nun so groß geworden ist, wurden elektronische Zutrittskontrollen beim Hauptgebäude installiert. Google ist immens gewachsen – weil es erfolgreich ist, weil es vieles richtig gemacht hat und auch erkannt hat, was die Themen der Zukunft sind und wie das Web funktioniert.
Wir sind abhängig
Ja, wir Medienmenschen sind von Google abhängig, wer bei Google in der Suche und in Google News nicht gelistet ist, wird nicht gefunden, hat keine Klicks, ist in der Nachrichtenwelt unbedeutend. Und das tut in einer Zeit, in der Print-Auflagen schrumpfen, finanziell sehr weh, ist existenzbedrohend. Wir brauchen Google, und eigentlich nur Google, weil es keinen Konkurrenten auf Augenhöhe gibt. Noch nicht.
Europa findet keine Antwort
Aber – es ist ein Fehler Europas, dass keine Antwort auf Google und die anderen Web-Giganten gefunden wird. Warum wohl entstehen die erfolgreichen Unternehmen in den Vereinigten Staaten, ob es nun Google, Facebook, Amazon oder der wieder erstarkte Apple-Konzern ist?
Eine europäische Suchmaschine?
Die Forderung, dass Europa eine Antwort auf Google finden müsse, halte ich für amüsant. Eine europäische Suchmaschine. Wie oft habe ich – verzeihen Sie – von diesem unsinnige Ansinnen bereits gehört? Warum soll Europa, also die Institution Europa, auf einen Konzern antworten? Warum sollte eine euro-politisch entwickelte Suchmaschine erfolgreich sein und plötzlich Google Paroli bieten können? Konsumenten nutzen ein Produkt nur dann, wenn sie es hilfreich und gut finden. Zu glauben, dass Konsumenten aus Europa eine europäische Entwicklung einer amerikanischen vorziehen würden, um den eigenen Kontinent zu stärken, entspricht leider nicht der Realität, sondern ist der Wunsch von EU-Politikern. Europa sollte lieber die Voraussetzungen dafür schaffen, dass auf diesem Kontinent Innovation möglich ist und sich erfolgreiche Unternehmen gründen können. Nokia sollte uns eine Lehre sein, dass aus einem einstmals erfolgreichen Konzern ein wirtschaftlicher Schuppen geworden ist, der an einem anderen Großen der IT-Welt, Microsoft, quasi verscherbelt wurde.
Im Silicon Valley passiert es
Ich hatte die Möglichkeit, die vergangenen Monate im Silicon Valley zu verbringen – dort, wo Sie Herr Döpfner mit Ihrem Springer-Verlag eine Dependance aufgebaut haben. Das hat ja auch Ihr Bild-Chefredakteur Kai Diekmann bereits festgestellt und den Springer-Vorstand vor geraumer Zeit schon zu einem wöchentlichen Meeting einfliegen lassen. Diese Geschichte erzählt man im Silicon Valley – weil es dort passiert und nicht hier in Europa.
Problemlöser Google
Fragen Sie mal jene, die die Anfangsphase von Google miterlebt haben, was Larry Page und Sergey Brin vor 14 Jahren wollten. Richtig – nicht die Welt beherrschen, sondern alle Information in einen Computer packen. Und wenn Sie sich die seltenen Interviews, die Page und Brin heute geben, durchlesen oder ihre Auftritte ansehen – wie etwa bei der jüngsten TED-Konferenz – werden Sie bemerken, dass die Google-Gründer tatsächlich die Welt verändern wollen. Ich nehme den beiden das mittlerweile wirklich ab. Aber sie wollen die Welt nicht beherrschen. Sie wollen die Probleme der Welt lösen. Und deren gibt es genug.
Erziehung und Bildung
Wenn wir davon ausgehen, dass in 36 Jahren etwa zwei Milliarden Menschen mehr auf diesem Planeten leben werden, die ernährt werden müssen, die mobil sein wollen und die zu 70 Prozent in urbanen Gebieten wohnen werden, so erkennt man, dass das die Probleme sind, die gelöst werden müssen. Ein Kind in einem Entwicklungsland braucht Licht, Essen, Erziehung, Bildung – und hier ist Google (wie viele andere Konzerne und Start-ups) aktiv, ob nun mit google.org oder dem „geheimen“ Labor GoogleX.
Wir sind die kritische Masse
Und Sie beide vergessen eines – die kritische Masse. Sie glauben nicht an die Gesellschaft, an den Menschen, an sein Urteilsvermögen. Gerade in der heutigen Zeit kann es – Dominanz hin oder her – so rasch gehen, dass der Monopolist zum großen Verlierer wird. Womit wir wieder bei Nokia wären. Nokia hatte zwar nie die Dominanz von 91, 92 Prozent Marktanteil, wie sie Google hat, aber der Niedergang des Unternehmens zeigt, wie schnell ein Unternehmen untergehen kann.
Was ich vermisse ist, dass Sie nicht daran glauben, dass die Menschheit ein Selbstregulativ hat, man kann uns nicht zwingen, etwas zu tun, weil es ein Konzern so plant. Er kann versuchen, uns zu beeinflussen, aber die Entscheidungsträger sind mächtig genug, um zu wissen, wann man uns ködern will.
Kritik an Google
Aber freilich gibt es Punkte, die auch mir sauer aufstoßen:
+ Dass der Konzern 25 Millionen US-Dollar (18,45 Millionen Euro) an die deutsche Firma Eyeo bezahlt hat, damit in deren Produkt Adblock Plus, die beliebteste Werbeblockiersoftware der Welt, die Anzeigen des Google-Werbenetzwerks nicht mehr herausfiltert werden – übrigens haben auch Amazon und eBay rund fünf Millionen Dollar (3,7 Millionen Euro) an Eyeo bezahlt.
+ Dass die Trefferliste bei der Google-Suche sehr wohl bestechlich ist und Google bestimmte Konkurrenten nicht auf der relevanten ersten Seite aufscheinen lässt.
+ Dass man als Medienunternehmen teure Suchmaschinen-Optimierer bezahlen muss, damit man mit seinen Artikeln in Google News an den vordersten Stellen gereiht wird.
Google hat nachgebessert
Ich habe viel an Google kritisiert, und – ob ich nun direkt oder indirekt daran beteiligt war, weiß ich nicht – Google hat einiges korrigiert. Google Analytics wurde dahingehend adaptiert, sodass der Hamburger Datenschutzbeauftragte im September 2011 grünes Licht für das Webseiten-Analyse-Tool gab. Bis dahin hatte auch ich verhindert, dass Google Analytics auf der Seite, für die ich verantwortlich bin, eingesetzt wurde.
Transparenz
Die von mir angeprangerte Google-Mail-Scannerei wird nun für den Konsumenten transparent gemacht, es wird erklärt, wie Google scannt, warum man diese und jene Werbung sieht. Auch die Möglichkeit, dass man auf Knopfdruck sehen kann, was Google über jemanden weiß, ist eine Errungenschaft, die ein Mark Zuckerberg erst nach vielen Jahren des Bestehens von Facebook verspricht.
Dann lass uns etwas Besseres machen!
Das europäische Parlament und europäische Politiker sind gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit es in Europa eine Infrastruktur gibt, die es zulässt, globale Erfolgsfirmen und Konkurrenten zu Google, Facebook & Co. entstehen zu lassen. Wir in Europa müssen aktiv werden, wieder unternehmerisch stark werden, innovativ werden, um auf gleicher Augenhöhe mit den USA und eigentlich auch Asien agieren zu können. In unser geistigen Haltung muss sich etwas ändern, denn sonst verkommt Europa zum kulturellen Disneyland, in dem es neben Kultur und Architektur nur die Autoindustrie gibt.
Nichts hält ewig
Der Konsument hält gerade im Internet-Zeitalter Konzernen nicht immer die Treue – sobald es etwas gibt, was besser ist, ist er weg. Es gibt viele Beispiele dafür, von Second Life über MySpace bis zu Facebook. Ja, richtig gelesen, auch Facebook. Mark Zuckerberg hat erkannt, dass Facebook bei den Jugendlichen absolut nicht mehr in ist und sie sich bereits nach Alternativen umsehen. Der WhatsApp-Kauf auf der einen Seite und die Gründung von Internet.org auf der anderen Seite, sind Versuche, dennoch die junge Klientel an der Kandare zu halten und (was internet.org) anlangt, neues Zielpublikum in Entwicklungsländern zu erreichen – auch wenn er es offiziell ganz anders argumentiert. Ob es ihm gelingt? Viele sind skeptisch.
16 Jahre Vorsprung - na und?
„16 Jahre Datenspeicherung und 16 Jahre Erfahrung von Zehntausenden IT-Entwicklern haben einen Wettbewerbsvorsprung erzeugt, der mit rein ökonomischen Mitteln nicht mehr einholbar ist.“ Herr Döpfner, Sie irren. 16 Jahre scheinen lang, aber es kann schnell gehen. 1992 hat Nokia sein erstes GSM-Handy auf den Markt gebracht, das Nokia 1011 – bis vor sechs Jahren, also bei einem Wettbewerbsvorsprung von 16 Jahren – konnte sich niemand vorstellen, dass der finnische Mobiltelefonhersteller, der eine Weltmacht war, jemals untergehen wird. Es ist passiert. Und Nokia hatte weit mehr Mitarbeiter als Google. Zugegeben, Nokia ist/war ein Hardware-Entwickler, aber in der Technologiewelt hält nichts ewig.
Google ist nicht daran schuld, dass uns in Europa technologisch keine Revolution einfällt. Es ist immer einfach, sich über die Dominanz eines Großen zu beschweren, wenn man selbst kein Rezept gegen ihn findet.
Orwell mit dem weißen Bart
Ich kann auch das Orwellsche Gleichnis von 1984 – das habe ich bereits vor 16 Jahren bemüht – nicht mehr hören. Technik immer mit dem Orwellschen Roman zu vergleichen, hat mittlerweile nicht nur einen langen Bart. Man kann es nicht vergleichen, weil 1984 schlicht nur die negativen Seiten einer fiktiven Zeit beleuchtet, nicht aber die Chancen und Möglichkeiten von Technik.
Und das geht mir an Ihren Statements ab – dass Sie vergessen, das Positive zu beleuchten. Dass wir auf Knopfdruck, quasi auf Klick, Zugang zu Daten und Informationen haben. Dass wir – danke Google – auf Knopfdruck in virtuellen Bibliotheken auf der ganzen Welt stöbern können, weil der Gigant das Buch-Erbe einscannt.
Google News - eine Chance
Ich verstehe übrigens auch das Leistungsschutzrecht nicht – und ich bin sozialisierter Print-Journalist. Dass Verlage auf die Idee kommen, von Google Geld zu verlangen, weil Google in Google News ein „Snippet“ veröffentlicht, das auf das Web-Angebot des Mediums leitet und von dem das Medium profitiert, ist für mich unverständlich. Ich bin froh, wenn unsere Artikel in Google News aufscheinen – je weiter oben, desto besser. Denn das bedeutet mehr Besucher, mehr Leser und mehr Werbe-Interaktionen – und bei den Werbe-Kontakten liegt das eigentliche Problem. Die Medienhäuser und die Werbebranche sind hier gefordert, sich etwas einfallen zu lassen, weil wir unser Geld nach wie vor durch Banner und Anzeigen verdienen. Eine Absurdität, denn wer glaubt heutzutage noch an Banner? Wann haben Sie das letzte Mal auf einen Banner geklickt? Vermutlich unabsichtlich.
Die Zukunft mitgestalten
Sie äußern Befürchtungen, weil Google einen Drohnen-Hersteller und einen Hersteller von Haushalts- bzw. Home-Automation-Elektronik übernommen hat. Ich bezeichne das als Weitblick als Vorausschau in die Zukunft. Wer an selbst fahrenden Autos, an Internet-Heißluftballonen (Projekt Loon) für die Dritte Welt oder Windkraftwerken und Windturbinen (Google hat im Vorjahr die Firma Makani gekauft) und an diversen anderen ausgefallenen Lösungen tüftelt, will größere Ziele erreichen. Google ist ein visionäres Unternehmen. Und Visionen hat nicht nur Google, Elon Musk hat sie und viele Start-ups im Silicon Valley, deren Namen noch nicht so weit verbreitet sind, haben sie auch. Nicht Google ist die Gefahr, unser Angsthaben ist es und unser beschränkter und falscher Zugang zu Innovation und Zukunft.
Europa muss wieder stark werden
Als im September 2013 bekannt wurde, dass Nokia von Microsoft gekauft wird, habe ich diese Passage geschrieben: Es ist traurig, was aus Europas Technologie-Industrie geworden ist. Europa wird technologisch eine immer geringere Rolle spielen, wird zum kulturellen Disneyland/Disneykontinent der Welt, das/den man besucht, um die verschiedenen Kulturen zu bestaunen. Europa, nein, den Regierenden, fehlt es an Innovations- und Gestaltungswillen. Europa ist überreguliert, es gibt keine Venture Capital Kultur, es fehlen Investitionsanreize. Es ist auch keine Technologie in Sicht, die Europa retten könnte, bei der wir tonangebend werden könnten. Wir haben noch Siemens, SAP, Airbus Industries und dann? Weit und breit – abgesehen von kleinen Nischenmärkten – kein Unternehmen zu sehen, das ein technologisches Aushängeschild Europas werden könnte. Noch verbleibt Europa die erfolgreiche Auto-Industrie. Noch.
Herr Döpfner, Frau Zuboff – als Europäer mache ich mir Sorgen um die Zukunft Europas und nicht um die Dominanz eines Weltkonzerns aus den USA. Es liegt an uns, wieder vorne mitzuspielen – den Konkurrenten schwächen zu wollen, damit man selbst wieder eine Chance hat, vorne mitzuspielen? Das ist ein falscher Ansatz.
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