Meinung

Great Barrier Reef: Letzte Rettung Rote Liste

Das Great Barrier Reef sollte auf eine Liste von Welterbestätten gesetzt werden, die "in Gefahr" sind. Mit dieser Empfehlung ließ die UNESCO vor wenigen Tagen aufhorchen. Sie fordert Australien auf, beschleunigte Maßnahmen auf allen möglichen Ebenen gegen den Klimawandel zu ergreifen und seine Riffpolitik entsprechend zu überarbeiten. Die "in Gefahr"-Listungen von Welterbestätten werden normalerweise nach Auswirkungen von bewaffneten Konflikten und Kriegen, Verschmutzung, Wilderei und unkontrollierter Urbanisierung empfohlen. Sollte das UN-Komitee bei der kommenden Sitzung im Juli der Empfehlung folgen, wäre es nach Ansicht von Experten das erste Mal, dass ein Weltnaturerbe hauptsächlich wegen der Auswirkungen der Klimakrise auf die Liste der gefährdeten Stätten gesetzt wird.

Deutliche Warnung

Das Great Barrier Reef vor der Ostküste Australiens ist das größte Riff der Welt und dehnt sich auf einer Fläche von mehr als 344.000 Quadratkilometern aus. Vor allem durch den Klimawandel ist das Riff stark gefährdet: Die Vereinten Nationen hatten schon in der Vergangenheit gewarnt, dass 90 Prozent aller Korallen auf der Welt absterben könnten, wenn die globalen Temperaturen um 1,5 Grad steigen. Die Wissenschaftler*innen der Weltnaturschutzunion (IUCN) schlugen in Bezug auf das Great Barrier Reef zuletzt im Dezember 2020 Alarm und stuften das Ökosystem bezüglich der Überlebensaussichten in der höchsten Kategorie „kritisch“ ein. Die Erwärmung und Versauerung des Meeres führe zu schweren Korallenbleichen und dem Absterben der Korallen. Mit der Ankündigung, das Great Barrier Reef auf die Rote Liste zu setzen, setzt die UNESCO nun das deutlichste mögliche Signal, um Druck auf die Regierung für mehr Schutz des bedeutenden Riffs zu machen.

Nicht das erste Mal

Es ist nicht das erste Mal, dass das Riff von der Einstufung als „in Gefahr“ bedroht ist. Dennoch schießt die australische Regierung nun scharf gegen die UNESCO und deren Empfehlung: Man fühle sich überrumpelt, sei schockiert, die Empfehlung sei schädigend für den Tourismus und damit verbundene Jobs. Sogar politische Motivation durch China wird unterstellt. Angesichts der ausbleibenden messbaren Verbesserungen gegenüber 2015 dürfte wohl recht offensichtlich sein, dass weniger eine politische Verschwörung, sondern vielmehr die unzureichende Tätigkeit der Regierung dafür verantwortlich ist, dass das Great Barrier Reef nun am Rande der Roten Liste steht. Das letzte Mal als die Einstufung ins Haus stand, im Jahr 2015, unternahm die Regierung eine erfolgreiche Lobbyarbeit, um Druck auf das 21-Länder-Komitee auszuüben.

Traumstrände und Fischkacke

Korallenriffe beherbergen mehr als 25 Prozent der marinen Artenvielfalt. Verschiedenste Fische, Schildkröten, Muscheln, Schnecken, Tintenfische, Krebse, Hummer – um nur einige Korallenbewohner aufzuzählen – tummeln sich darin. Die Riffe dienen als Schutzbarriere für die Küstengemeinden gegen die Wellenbewegung und ermöglichen es den Menschen, Häuser und Geschäfte näher am Meer zu errichten. Sie mildern den Sandzufluss zu den Stränden und füllen die strahlend weißen Strände auf, die die Karibik zu einem weltweiten Touristen-Hotspot machen. Den Sand selbst verdanken wir den Korallen und einer sehr wichtigen Spezies, die sich von ihnen ernährt: Wer beim Schnorcheln schon einmal rhythmisch schabende Geräusche vernommen hat, hat Papageienfische beim Schmausen gehört. Sie knabbern Algen von den Korallen, können aber den Kalk nicht verdauen. Das Ergebnis der Mahlzeit ist feinster weißer Sand. Unsere Traumstrände bestehen also aus Papageienfischkacke.

Kolonialistische Arroganz

Mit den Korallenriffen und ihren bunten Bewohnern würden aber nicht nur die touristisch anziehenden weißen Sandstrände verschwinden: Bereits jetzt bekommen kleine Fischer*innen die Auswirkungen der Klimakrise in Kombination mit der industriellen Fischerei zu spüren. Der Bestand schwindet kontinuierlich, und damit die Existenzgrundlage ganzer Dörfer. Das kulturelle, soziale und nicht zuletzt das wirtschaftliche Fundament etlicher indigener Gruppen rund um den Globus ist zum Großteil abhängig von einer intakten natürlichen Umgebung. Die menschgemachte Kimakrise und die Untätigkeit der Industrienationen dagegen hat indigene Völker, kleinbäuerliche Familien und kleinstrukturierte Fischer*innen bereits zigtausende Jobs gekostet. Das Argument der australischen Regierung, die von der UNESCO empfohlenen dringenden Maßnahmen gegen die rasant fortschreitenden Auswirkungen der Klimaveränderungen würden Jobs gefährden, strotzt in diesem Licht vor kolonialistischer Arroganz.

Mit der Natur statt dagegen

Das Argumentationsmuster gleicht sich dabei weltweit: Natur- und Klimaschutz wird als Widerspruch zu Wirtschaft, Tourismus und Beschäftigung dargestellt. Das ist in der Auseinandersetzung Australien gegen UNESCO nichts anderes, als wenn die Seilbahnlobby in Tirol ganze Bergspitzen für neue Gondeln sprengen oder Bolsonaro in Brasilien den Amazonas-Regenwald für die Holz- und Bergbauindustrie freigeben will, wenn Ölpipelines durch Gebiete der First Nations in Kanada oder im Osten Österreichs Autobahnen durch Naturschutzgebiete gebaut werden sollen. Naturzerstörung und Ausbeutung als Wirtschafts- und Jobmotor ist ein Mythos, der dem vorigen Jahrhundert angehört. Es ist höchste Zeit, dieses Relikt loszulassen. Erforschung und Umsetzung von Technologien zur Rettung und Wiederherstellung von Korallenriffen, Böden, Gletschern, Wäldern, Feuchtgebieten und der nachhaltige Tourismus bieten mehr als genug Potenzial für eine zukunftsträchtige Wirtschaft. Tausende Jobs inklusive – obendrein mit langfristiger Perspektive.

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Tina Wirnsberger

Tina Wirnsberger ist Trainerin für nachhaltige Wirtschaft & Politik und Sozialpädagogin. Sie war bis Jänner 2019 Grüne Stadträtin für Umwelt und Frauen in Graz.

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