Wir scheitern beim Marshmallow-Test
Sollen wir rasch genießen, was wir haben – oder lieber vorausplanen? Darum geht es beim sogenannten „Marshmallow-Test“, einem der wohl berühmtesten psychologischen Experimente, die je durchgeführt wurden. Kindern im Vorschulalter legte man in den 1960er- und 1970er-Jahren an der Universität Stanford ein Marshmallow auf den Tisch. Sie hatten die Wahl: Entweder sie aßen ihr Marshmallow, oder sie schafften es etwa 15 Minuten lang, der Versuchung zu widerstehen – dann kam der Versuchsleiter zurück, und wenn das Marshmallow dann noch da war, bekamen sie zusätzlich noch ein zweites dazu.
Interessant ist, wie der weitere Lebensweg der Kinder mit dem Ergebnis dieses Experiments zusammenhing: Bei Nachuntersuchungen zeigte sich: Die Kinder, die es geschafft hatten, lange genug zu warten, um sich das zweite Marshmallow zu verdienen, hatten später als Teenager mehr Erfolg in der Schule und ein besseres Selbstbewusstsein. Die Fähigkeit, für eine spätere Belohnung auf kurzfristigen Genuss zu verzichten, scheint für Erfolg im Leben sehr wichtig zu sein.
Das Klima ist unser Marshmallow
Was die Klimakrise betrifft, befinden wir uns in einer ganz ähnlichen Situation wie die Kinder beim Marshmallow-Test: Wir können weiterhin CO2 emittieren wie bisher – dann müssen wir sehr schmerzhafte Konsequenzen in Kauf nehmen. Oder wir widerstehen dieser Versuchung, strengen uns jetzt ein bisschen an und haben es dafür in Zukunft schöner. Das Problem dabei ist nur: Wie es aussieht, versagt die Menschheit bei diesem Test gerade auf ziemlich klägliche Weise.
Was heißt das nun? Ist die Menschheit einfach zu dumm? Sind wir Menschen gemeinsam als Spezies einfach nicht auf dem Niveau klügerer vierjähriger Kinder? Ganz so einfach ist die Sache nicht. Neuere Studien haben analysiert, woran es liegt, dass manche Kinder diesen Test bestehen und andere nicht. Das liegt nicht an Intelligenz oder Selbstbeherrschung. Der Schlüsselbegriff dabei lautet: Vertrauen.
Der Spatz in der Hand oder die Taube auf dem Dach
Wenn man den Kindern vor dem Marshmallow-Test ein Versprechen macht, das dann nicht eingehalten wird, dann werden sie misstrauisch und entscheiden sich fast immer dafür, das Marshmallow gleich zu essen. Vielleicht existiert ja gar kein zweites Marshmallow!
Möglicherweise spielte das auch bei den ersten Marshmallow-Tests in Stanford eine wichtige Rolle: Kinder mit vielen Geschwistern haben vielleicht die Erfahrung gemacht, dass es klüger ist, etwas Gutes möglichst schnell aufzuessen, weil es sich sonst jemand anderer holt. Oder vielleicht haben Kinder aus Familien mit wenig Geld gelernt, dass manche Zusagen einfach nicht eingehalten werden können, auch wenn alle Beteiligten das gerne möchten. Dann ist es völlig rational, das Marshmallow lieber gleich zu essen. Wer weiß, ob der Experimentator nach einer Viertelstunde tatsächlich mit einem zweiten kommt!
Und so ist es wohl auch beim Klimaschutz: Die überwiegende Mehrheit wäre wohl damit einverstanden, gewisse Lebensumstellungen in Kauf zu nehmen – wenn man wüsste, dass dann tatsächlich eine Belohnung kommt. Jetzt verzichten und dann später eventuell trotzdem katastrophale Klimaveränderungen in Kauf nehmen zu müssen, ist keine attraktive Option.
Daher ist die wohl wichtigste und schwierigste Aufgabe für den Klimaschutz das Schaffen von Vertrauen. Gefragt ist hier einerseits die internationale Politik – man muss klar signalisieren, dass sich alle an die vereinbarten Klimaziele halten müssen. Gefragt ist andererseits aber auch die Wissenschaft – man muss klar zeigen, dass die schlimmsten Folgen der Klimakrise nach wie vor abgewendet werden können, wenn man das will. Das erhoffte Marshmallow existiert. Wir können es nach wie vor bekommen. Wir müssen es uns bloß verdienen.