Netzpolitik

Kritik an Twitter-Sperre beim Internet-Gipfel in der Türkei

Wie soll das Internet reguliert und regiert werden? Das war vom 2. bis 5. September das große Thema beim jährlichen Internet Governance Forum der Vereinten Nationen, bei dem Organisationen und Personen aus der ganzen Welt zusammenkommen, um über diese komplexe Frage basisdemokratisch zu diskutieren. Von Österreich waren insgesamt vier Personen dabei, insgesamt wird die Zahl der Teilnehmenden auf rund 3000 geschätzt. Einer davon war Richard Wein, Geschäftsführer von nic.at, der seit mehr als zehn Jahren jedes Jahr an den Diskussionen teilnimmt.

Dieses Jahr fand das Forum in Istanbul in der Türkei statt. Die Türkei ist nach China das Land, das die zweitmeisten Websites sperren lässt und gerade erst im März und April diesen Jahres durch die Sperre von YouTube und Twitter von sich reden machte. Die türkische Regierung sperrte den Zugang zu Twitter mit einer DNS-Sperre sowie mittels IP-Blocking. Zudem hat die Regierung Umgehungen der Sperre über alternative DNS-Server wie Google DNS blockiert. Die Sperren waren als „präventive Maßnahme“ gegen Verleumdung gedacht, wie es aus dem Büro Erdogans damals hieß.

Leise Stimmen gegen Twitter-Sperre

„Die Twitter-Sperre in der Türkei wurde zwar thematisiert, aber niemand hat sich getraut, den Missstand wirklich anzugreifen“, berichtet Wein, der am Freitag aus Istanbul zurückgekehrt ist. „Es gab keinen klaren Protestschrei, der laut hörbar war“, so Wein. Die EU-Kommissarin für die digitale Agenda, Neelie Kroes, hat das Thema aber sehr wohl in ihrer Rede angesprochen: „Vor ein paar Monaten hat die Türkei den Zugang zu Twitter und YouTube blockiert. Das Blockieren einer ganzen Website, das Stillschalten von Millionen an Stimmen, diese Entscheidung war unverhältnismäßig, sie war autoritär und nicht im Einklang mit den Menschenrechten.“ In Brüssel werde man daher diesen „beunruhigenden Trend“ genau beobachten.

Auch die Organisation Amnesty International sparte nicht an Kritik. „Es ist eine bittere Ironie, dass die Türkei ein Treffen ausrichtet und gleichzeitig Twitter-Nutzer vor Gericht stellt“, so Sebastian Schweda, Amnesty-Experte für Menschenrechte. Laut Amnesty-Informationen sollen in der Türkei 29 Twitter-Nutzer vor Gericht gestellt worden sein, weil sie über die Proteste im Gezi-Park im vergangenen Jahren auf Twitter berichtet hatten. Keine der Nachrichten habe dabei Aufrufe zu Gewalt enthalten, heißt es seitens Amnesty International.

In der Türkei waren während der vergangenen Tage viele Websites mit pornografischen Inhalten gesperrt, wie Konferenzteilnehmer berichteten. Dagegen sei Österreich harmlos, sagt Wein. Content-Regulierungen wie in der Türkei gäbe es nicht, Nutzer würden von den Themen, die beim Internet Governance Forum diskutiert werden, keine unmittelbaren Auswirkungen spüren, so der nic.at-Geschäftsführer. Wenn aber tatsächlich Websites wie „The Pirate Bay“ blockiert werden, wie es der VAP und die IFPI von Providern derzeit fordern, ist es auch in Österreich mit der Harmlosigkeit vorbei. „Das ist eine Herausforderung für nationale Regierungen“, erklärt Wein.

Internet-Verwaltung ICANN

Ein wichtiges Thema beim diesjährigen Forum war auch die Aufsicht über die Internet-Verwaltung ICANN. Die USA haben angekündigt, ihre Aufsicht abgeben zu wollen. Eine Einigung, wie es ab September 2015 weitergehen wird, habe es bei dem Treffen nicht gegeben, so Wein. „Ich glaube, dass der Vertrag mit den USA noch einmal um ein Jahr verlängert wird“, sagt der Nic.at-Geschäftsführer. Die Entscheidungsfindung, die auf internationaler Ebene ablaufen müsse, sei sehr schwierig. „Es gibt keinen Vorsitzenden und viele unterschiedliche Interessenslagen. Bei so einem extrem basisdemokratischen Weg kommt man schwer zu einer Lösung.“ Momentan würden verschiedene Arbeitsgruppen Vorschläge erarbeiten, die sie Ende des Jahres vorstellen werden.

Weitere Themen beim Internet Governance Forum in Istanbul waren laut Wein etwa Netzneutralität und die Verankerung des Internets als Grundrecht. „Da gab es Forderungen, dass die ICANN den Zugang zum Internet als Menschenrecht in ihre Charta aufnimmt“, erzählt Wein.

Internet als Grundrecht?

Die ICANN müsse die Achtung der Grundrechte zentral in ihre Satzung aufnehmen, fordert eine vom Europarat vorgelegte Studie zur privaten Netzverwaltung. Das Papier kritisiert Einschränkungen der Meinungsfreiheit bei der laufenden Vergabe neuer Top Level Domains und konstatiert klare Versäumnisse beim Grundrecht auf Privatsphäre und Datenschutz.

In Ländern wie Brasilien sei das Internet als Grundrecht im Gesetz verankert worden, so der Nic.at-Geschäftsführer. „In Österreich ist das aber nicht notwendig“, sagt Wein. „Jeder in Österreich kann sich den Zugang zum Internet leisten, wenn er will. Es gibt bei uns keine Hürden sowie in Syrien oder Afghanistan.“ Ob der Internet-Zugang in Österreich ein Grundrecht sein soll sorgte bereits bei Österreichs Politikern für große Uneinigkeit.

Netzneutralität

Beim Thema Netzneutralität ortete Wein beim Internet Governance Forum „starkes Lobbying“. „Es gibt viele wirtschaftliche Interessen von Seiten der Netzbetreiber, da sind die Meinungen sehr kontrovers.“ Für eine nationale Positionierung sei hier die Regulierungsbehörde RTR zuständig. „Ein internationaler Durchbruch für eine klare Linie ist bei der Netzneutralität nicht zu erwarten“, sagt Wein, der es für wichtig hält, dass einzelne Länder gemeinsam klare Positionen vertreten.

Österreich-Ableger des IGF

Aus diesem Grund wurde nun vor kurzem vom Bundeskanzleramt das Internet Governance Forum Austria (IGF Austria) ins Leben gerufen. Die Multi-Stakeholder-Plattform werde von Nic.at selbstverständlich unterstützt, so Wein. Gedacht sei sie in erster Linie dazu, beteiligte Stakeholder aus der Zivilgesellschaft, Regulatoren, NGOs und aus der Politik zusammenzubringen. „Das Ziel muss sein, dass bei Themen wie Netzneutralität eine gemeinsame Österreich-Position erarbeitet wird“, sagt Wein. Am 11. September findet das erste offizielle Treffen der IGF Austria statt. In Ländern wie Deutschland, USA oder Finnland gibt es derartige nationale Foren für den offenen Dialog der Sektoren bereits seit längerem.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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