Netzpolitik

Richard Stallman: Gegen "digitale Handschellen"

"Es gibt bei Software nur zwei Möglichkeiten. Entweder der Nutzer kontrolliert das Programm oder das Programm kontrolliert den Nutzer", sagt Richard Stallman. Vergangene Woche besuchte der Freie-Software-Aktivist auf Einladung der Studienvertretung das Institut für Informatik an der Universität Innsbruck, das am Donnerstag sein zehnjähriges Jubiläum feierte.

Vor einem vollbesetzten Auditorium schwor er sein Publikum auf ein Bekenntnis zu freier Software ein und warnte vor den Gefahren proprietärer Systeme und "digitaler Handschellen", wie sie den Nutzern durch Betriebssysteme wie Windows, Mac OS, iOS und Gadgets wie dem iPad und dem Amazon E-Book-Reader Kindle angelegt werden. Die futurezone traf Stallman vor seinem Vortrag zum Gespräch.

futurezone: Warum ist freie Software für die Gesellschaft wichtig?
Richard Stallman: Lassen Sie mich zuerst erklären, was freie Software ist. Frei heißt nicht kostenlos. Wir sprechen hier nicht über Preise, sondern über Freiheit. Freie Software ist Software, die die Freiheit der Nutzer und der Community respektiert. Nutzer freier Software können ihre Computer kontrollieren und nicht umgekehrt. Software, die nicht frei ist, schafft ein System der Ungleichheit.

Freie Software räumt ihren Nutzern vier essenzielle Freiheiten ein. Freiheit 0 ist die Freiheit das Programm zu jedem Zweck, den die Nutzer wollen, ausführen zu können. Freiheit 1 ist die Freiheit, den Quellcode einzusehen und zu bearbeiten, damit er ihren Wünschen entspricht. Freiheit 2 ist die Freiheit das Programm zu verbreiten. Freiheit 3 ist die Freiheit modifizierte Versionen des Programms zu verbreiten und damit der Community zu helfen. Werden den Nutzern diese Freiheiten nicht eingeräumt, haben sie keine Kontrolle über die Software.

Viele Leute können mit dem Source-Code vielleicht gar nichts anfangen.
Sie können auf die Entwicklung von Software Einfluss nehmen, auch wenn Sie keine Programmierkenntnisse haben. Sie können etwa Versionen nutzen, die von anderen Leuten modifiziert wurden. Sie können auch jemanden dafür bezahlen, dass er von Ihnen gewünschte Änderungen vornimmt. Sie müssen diese Freiheiten nicht nutzen, aber sie sollten davon Gebrauch machen können, wenn sie es wollen. Ich schaue auch nicht in den Quellcode jeder Software, die ich nutze, aber wenn ich Veränderungen durchführen will, muss ich die Möglichkeit dazu haben. Bei nicht-freier Software können die Nutzer den Quellcode nicht einsehen und können deshalb auch nicht wissen, was die Software tatsächlich macht. Sie könnte Schad-Software sein und bösartige Features beinhalten.

Nehmen Sie etwa Windows und Mac OS. Die Software beinhaltet Features, die ihre Nutzer überwachen und sie einschränken. Ich nenne Windows genauso wie Mac OS Schad-Software. Auch iOS für das IPad und das iPhone beinhaltet Überwachungs-Features und legt ihrern Nutzern digitale Handschellen an. Der einzige Schutz gegen diese Schad-Software ist freie Software. Bei freier Software können Nutzer das Programm kontrollieren, den Source-Code einsehen und Versionen erstellen und verbreiten, in denen diese bösartigen Features nicht mehr enthalten sind. Nicht-freie Software ist ein Instrument der Unterdrückung. Sie sollte nicht existieren.

In den vergangenen 20 Jahren ist die Nutzung freier Software stark gestiegen, etwa bei Servern, aber auch bei vielen Geräten und im beschränkten Umfang auch am Desktop. Sie haben gesagt, dass es nicht immer die Freiheit ist, derentwegen die Nutzer auf freie Software zurückgreifen.
Es gibt in unserer Gesellschaft den Druck, Freiheit als ein rein theoretisches Konzept zu betrachten und sie in der Praxis komplett aufzugeben. Besonders dann, wenn große Konzerne unser Leben kontrollieren wollen. Wir haben Regierungen, die nur in der Theorie demokratisch sind, aber in der Praxis alles machen, was diese Konzerne von ihnen verlangen. Das ist keine Demokratie. Wenn Leute Gnu/Linux nutzen, tritt die Frage nach der Kontrolle über das System häufig in den Hintergrund. Viele Leute nennen deshalb diese Software Open Source, damit die Frage nach der Freiheit gar nicht erst auftaucht.

Mit Android ist freie Software zuletzt auch auf Smartphones eingezogen. Sie verweigern Mobiltelefone und haben sie zuletzt etwa als "Stalins Traum" bezeichnet. Warum?
Google veröffentlicht zwar den Quellcode von Android unter freien Lizenzen, in der Praxis ist Android aber sich kein freies System. Ein typisches Android-Handy kommt mit Anwendungen, die nicht frei sind, und beinhaltet auch nicht-freie Software, etwa die Software, die die Antenne und in vielen Fällen auch das Mikrophon kontrolliert. Diese Software kann das Telefon in eine Abhöreinrichtung verwandeln. In vielen Fällen kann die Firmware das Gerät auch komplett kontrollieren und Software auf dem Gerät durch andere Software ersetzen.

Die Nutzer haben also nicht die Kontrolle über die Software. Android geht zwar einen Schritt in die richtige Richtung, aber es gibt den Nutzern nicht die volle Kontrolle. Ich verwende keine Mobiltelefone, denn ich trage keine Tracking- und Überwachungseinrichtungen mit mir herum.

Sie stoßen sich auch an der Bezeichnung "Cloud Computing" und warnen vor den Folgen webbasierter Programme.
Ich lehne den Begriff "Cloud Computing" ab, weil er nebulös ist. Er bezieht sich auf eine Nutzung des Netzwerks zu anderen Zwecken als zur Kommunikation. Er meint also eine Vielzahl von verschiedenen Nutzungen, die sich nicht unter einem Begriff vereinigen lassen. Der Begriff ist ein Marketing-Schlagwort, das die Leute davon abhalten soll, wichtige Fragen zu stellen. Es gibt viele Möglichkeiten, das Netzwerk zu nutzen, die gefährlich sind. Wenn sie etwa Programme nutzen, die auf anderen Servern laufen, haben sie nicht mehr die Kontrolle über die Software. Das unterscheidet sich nicht von der Nutzung nichtfreier Software.

Sollen die Prinzipien freier Software auch auf andere Arten der Information angewendet werden?
Werke, die für die praktische Nutzung gemacht wurden, wie etwa Software, Rezepte, Lernmaterialien und Nachschlagewerke sollten frei sein. Aber auch für andere Werke sollte es Mindeststandards in Bezug auf die Freiheit geben. Ich bin der festen Überzeugung, dass es möglich sein muss, alle publizierten Werke auch weiterzugeben.

Derzeit sieht es nicht so aus, als würden die Unterhaltungs- und Medienindustrie großen Wert auf die Freiheiten ihrer Nutzer legen.
Die Unterhaltungsindustrie setzt alles daran uns diese Freiheit zu nehmen. Dazu verwenden sie digitale Handschellen oder DRM -  Digital Restrictions Management. Das sollte verboten werden, denn es handelt sich dabei um eine Verschwörung von Unternehmen, um unseren Zugang zu Technologien einzuschränken. Das ist genauso kriminell wie etwa Preisabsprachen. Solange das nicht der Fall ist, sollten wir uns weigern, Produkte zu verwenden, die unsere Freiheit einschränken. Es sei denn, wir haben die technologischen Möglichkeiten, uns von diesen digitalen Handschellen zu befreien.

Nehmen Sie etwa den Amazon Swindle, ein so genannter E-Book-Reader, dessen tatsächlicher Zweck es ist, Lesern Freiheiten zu nehmen, die sie mit traditionellen Büchern hatten. Sie können Bücher nicht mehr anonym kaufen. Die Nutzer müssen sich bei Amazon identifizieren. Amazon hat also eine Liste von allen Büchern, die ein bestimmter Nutzer gelesen hat. Allein die Existenz einer solchen Liste kann nicht toleriert werden, denn sie ist eine Bedrohung für die Menschenrechte. Sie können bei Amazon gekaufte Bücher auch nicht weitergeben, das wird durch Digital Restrictions Management verhindert. Darüber hinaus hat Amazon auch schon Bücher von den Geräten seiner Nutzer gelöscht. Der offizielle Name dieses Amazon-Produktes ist Kindle, das bedeutet soviel wie ein Feuer zu entfachen. Er legt also nahe, dass es der Zweck dieses Produktes ist, die Bücher der Leute zu verbrennen.

Wie sollte ein Urheberrecht aussehen, dass den Möglichkeiten des Internet gerecht wird?
Zu allererst müssen wir die gemeinsame Nutzung von Werken ermöglichen. Das bedeutet, dass die nichtkommerzielle Verbreitung von exakten Kopien, unabhängig von der dabei verwendeten Methode, möglich und erlaubt sein muss. Die gemeinsame Nutzung ist gut. Aber sie wäre schlecht für die Unternehmen der Unterhaltungs- und Medienindustrie. Für die Künstler und Autoren würde sich nicht viel ändern, da sie aus dem existierenden System ohnehin nicht viel erhalten. Es ist ein schlechtes System, das hauptsächlich jenen Konzernen zugute kommt, die unsere Regierungen dazu bringen, dass sie sich gegen uns richten. Die Megakonzerne der Unterhaltungsindustrie schreiben die Gesetze, die uns dann von der Politik aufoktroyiert werden, wie etwa die EU-Copyright-Direktive. Diese Gesetze ermöglichen es diesen Konzernen Macht über uns auszuüben.

Ich halte es aber  für wichtig, dass Künstler und Autoren unterstützt werden. Eine Möglichkeit dazu wäre etwa Steuermittel zu verwenden. Die könnten etwa über Steuern im Zusammenhang mit der Computer- und Internet-Nutzung eingehoben werden und sollten an die Künstler direkt verteilt werden. Eine weitere Möglichkeit wären freiwillige Zahlungen der Nutzer, dazu sollte es Buttons auf Webseiten geben, die eine anonyme Zahlung ermöglichen.

In einem vergangenen Dezember im "Guardian" veröffentlichten Text zu den Anonymous-Aktionen im Zusammenhang mit dem WikiLeaks-Boykott von Kreditkartenunternehmen und Amazon haben Sie geschrieben, Internet-Nutzer hätten keine Rechte ...
Rechtlich gesehen haben Internet-Nutzer keine Rechte. Alles was wir online machen, wird nur geduldet. Wenn es Unternehmen nicht mehr in den Kram passt oder wenn jemand mit viel Geld oder viel Macht zu diesen Unternehmen geht und die Schließung von Webseiten verlangt, werden sie es tun. Die Nutzungsbedingungen sind so formuliert, dass das kein Problem darstellt. Dadurch sind wir von Zensur bedroht. Der Versuch, WikiLeaks zum Schweigen zu bringen, ist Zensur. Und sie wird von einem Schurkenstaat durchgeführt, der abscheuliche Akte der Aggression gesetzt hat. Einige davon wurden von WikiLeaks dokumentiert.

Was die Aktionen betrifft, die Anonymous gegen Unternehmen wie Mastercard und Visa durchgeführt hat und die im wesentlichen daraus bestanden haben, dass wiederholt Anfragen an Websites gesendet wurden, so halte ich das für das Internet-Äquivalent von Massenprotesten auf der Straße oder vor Geschäften. Das ist keine schlechte Sache. Es mag vielleicht diese Unternehmen verärgert haben. Aber die Unternehmen, gegen die protestiert wurde, haben Handlungen gesetzt, die nicht in Ordnung sind.

Die Politik versucht das Internet zunehmend zu regulieren. Zuletzt kam ein entsprechender Vorstoß vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, beim eG8-Treffen in Paris...
Sarkozy ist ein Feind der Menschenrechte und sein Ziel ist es, das Internet zu zensurieren und zu überwachen. Auch die US-Regierung versucht mit dem Protect IP Act - der Name sagt schon alles - das Internet indirekt zu zensurieren. Aber alle Gesetze, die Leute davon abhalten, Werke gemeinsam zu nutzen sind Unrecht. Die Leute wollen Werke gemeinsam nutzen und teilen und sie können nur durch drakonischen Maßnahmen davon abgehalten werden. Diese Gesetze zielen darauf ab, die gemeinsame Nutzung zu verhindern. Wer aber die gemeinsame Nutzung attackiert, attackiert auch die Gesellschaft.

Richard Stallman, der 1953 in New York geboren wurde, setzt sich seit mehr als 25 Jahren für freie Software ein. Er gründete das GNU-Projekt, das ein wesentlicher Bestandteil der GNU/Linux-Software ist, rief die Free Software Foundation (FSF) ins Leben und begründete die Gnu General Public License, die bei einer Vielzahl von freien Software-Projekten zum Einsatz kommt.

Seine Vorschläge für ein Internet-gerechtes Urheberrecht erläutert Stallman unter anderem auch in zwei Texten, die er auf seiner Homepage veröffentlicht hat:

The Danger of E-books (PDF)

Internet Sharing License in Brazil

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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