Wie sich Russland vom Internet abschotten will
Wer in Russland ins Internet will, hat es bereits jetzt schon sehr schwer, Informationen aus unabhängigen Quellen zu finden. Viele Social-Media-Dienste sind mittlerweile blockiert, darunter etwa Facebook oder Twitter. Doch bald könnte es für Menschen, die in Russland leben, noch drastischere Einschnitte geben als jetzt.
Es wäre möglich, dass sie bald nur noch Websites aufrufen können, die in Russland selbst lokal gehostet werden, und nicht etwa auf ausländischen Plattformen. „Menschen könnten dann nur noch Websites und Services innerhalb des eigenen Landes aufrufen“, erklärt Sebastian Bicchi, Security-Forscher und Geschäftsführer von Sec-Research.
Infrastruktur umstellen
Seit Anfang der Woche gibt es Medienberichte, wonach diese Möglichkeit im Raum steht. Aus einer Anordnung des Ministeriums für Digitale Entwicklung Kommunikation und Massenmedien (Roskomnadzor) geht hervor, dass bis Freitag sämtliche staatliche Websites auf eine lokale Infrastruktur von Telekommunikationsprovidern und Hosting-Diensten ausweichen müssen. Das bedeutet, dass staatliche Websites nicht mehr über Cloud-Dienste von US-Tech-Riesen wie Microsoft, Google oder Amazon laufen dürfen, sondern nur innerhalb Russlands.
Die Anordnung wurde zunächst vom auf Russland spezialisierten Medienprojekt Nexta veröffentlicht und von russischen Medien später bestätigt. Aus der Anordnung geht außerdem hervor, dass öffentliche Websites nur noch DNS-Server nutzen dürfen, die auf dem Territorium Russlands sind. DNS bedeutet Domain Name System und ist so etwas wie das Adressbuch des Internets.
Vereinfacht ausgedrückt stellt DNS sicher, dass Nutzer*innen im Netz da landen, wo sie sollen. Gibt man beispielsweise futurezone.at im Browser ein, konvertiert das DNS-System diese Information in eine IP-Adresse, die zu dem Rechner gehört, auf dem die Information liegt. Und die muss in Russland künftig innerhalb des Landes liegen.
Ein Intranet schaffen
Bei den in Russland geplanten Maßnahmen geht es erst einmal nur um staatliche Dienste. Doch in Folge könnte es laut Expert*innen auch eine Vorbereitung sein auf die komplette Abtrennung des Internets. Eine solch extreme Version einer Abspaltung vom Web betreibt etwa Nordkorea. Dort sind für die normale Bevölkerung nur staatliche Websites erreichbar. Staatsoberhaupt Vladimir Putin verfolgt den Plan, ein völlig autonomes Internet innerhalb der russischen Föderation zu schaffen, nämlich bereits seit 2014. Er will sozusagen ein „Intranet“, bei dem der Datenverkehr mit dem Ausland konsequent unterbunden wird.
Bereits 2014 wurde ein erstes Gesetz in diese Richtung erlassen, weitere Verschärfungen folgten. Mit einem Gesetz aus dem Jahr 2019 wurden Putins Pläne, das Netz abzuschotten, auch rechtlich unter Dach und Fach gebracht. Im April 2019 hat er den Ernstfall auch bereits erprobt. Damals mussten die Internetprovider Megafon, VimpelCom, MTS und Rostelecom testen, ob die russischen Teilnetze eine Abtrennung aushalten. Ergebnisse dieses Tests wurden freilich nicht nach außen kommuniziert. Ob die russische Infrastruktur einer kompletten Abtrennung also standhalten würde, ist nicht bekannt. Expert*innen zufolge kann eine derartige Umstellung auch nicht kurzfristig umgesetzt werden.
Vorbereitungen auf Cyberangriffe
„Die derzeitigen Maßnahmen deuten darauf hin, dass sich Russland auf einen längeren Krieg und längere Sanktionen vorbereitet und deshalb die kritische Infrastruktur und staatliche Websites vor ausländischen Abhängigkeiten schützen möchte“, sagt Bicchi von Sec-Research. Angriffe gegen staatliche russische Websites waren seit Kriegsbeginn einige zu verzeichnen. Das Hacker*innen-Kollektiv Anonymous hat sich mit der #OpRussia zurückgemeldet, um die Ukraine in diesem Krieg zu unterstützen. Bisher wurde etwa der Webauftritt des russischen Verteidigungsministerium gehackt, auch die Internetseite der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS war vorübergehend offline.
Es könnte also sein, dass es Russland erst einmal nur darum geht, resilienter gegen Cyberangriffe zu werden - und sich gegen Aktionen von Cloud-Providern zu wappnen. Mit Cogent hat etwa einer der größten Backbone-Betreiber weltweit seine Kunden aus Russland wegen des Ukrainekriegs gekündigt. Diese Einschätzung teilt auch Otmar Lendl vom Computer Emergency Response Team (CERT.at). "Das dient meiner Meinung nur dazu, in Sachen Internet vom Westen unabhängiger zu werden. Falls weitere Firmen in den USA oder Europa das Service für Kunden in Russland einstellen, sollen diese Maßnahmen die Störungen in Russland minimieren", sagt Lendl.
Gleichzeitig liegen Informationen des deutschen Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vor, wonach in Europa, speziell in Deutschland, Cyberangriffe auf „Hochwertziele“ kurz bevor stehen würden.
Satelliten-Internet als Ausweg
Doch sollte Putin am Ende „mehr“ wollen, könnte er die Maßnahmen auf sämtliche Websites des Landes ausdehnen. Das würde eine komplette Kontrolle über das "russische" Internet bedeuten - auch darüber, wer welche Websites ansurft. Russische Staatsbürger*innen könnten innerhalb der Ländergrenzen nur noch auf ausländische Websites zugreifen, wenn sie über Satelliten-Internet verfügen. „Dann hätten sie allerdings einen seltsamen Effekt“, wie Bicchi erklärt. „Sie könnten dann damit nur auf ausländische Websites zugreifen, aber nicht auf die Inhalte aus Russland.“ Das Satelliten-Internet kann Russland nicht kontrollieren, könnte es aber über sogenannte Jammer stören. „Das wäre allerdings mit einem extrem großen Aufwand verbunden“, sagt Bicchi.
Kurz nach Kriegsbeginn hat sich das ukrainische Digitalministerium an die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) gewandt. Die Forderung: Russland soll aus dem Internet geworfen werden. ICANN-Präsident Göran Marby hat die Bitte entschieden abgewiesen. Die Grundidee des Internets sei, dass jede Partei, sei es ein Angreifer oder ein Unterdrückter, sich im Netz frei bewegen könne. Russland macht mit seinen Plänen jetzt allerdings von sich aus einen Schritt in Richtung noch mehr Zensur und Kontrolle des Internets.