Star-Ökonom Acemoğlu: Vision der Tech-Riesen ist, Menschen zu ersetzen
Technologie ist der Motor des Wohlstands. Dieses Narrativ beten große Technologiekonzerne wie ein Mantra vor. Kein Wunder, haben doch Erfindungen wie die Dampfmaschine, das Internet oder das Smartphone der Menschheit zu mehr Komfort verholfen.
Auch Künstliche Intelligenz (KI) soll das bewerkstelligen, indem sie dem Menschen immer mehr Aufgaben abnimmt. Aber wer profitiert wirklich davon, wenn bald jede zehnte Stelle von KI ersetzt wird, wie das World Economic Forum schätzt?
Daron Acemoğlu forscht am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) zu dieser Frage. In seinem neuen Buch "Macht und Fortschritt" zeichnet er ein ambivalentes Bild von KI.
futurezone: Ihr Buch ist voll von Beispielen aus 1.000 Jahren Geschichte, in denen technische Innovationen den Menschen geholfen und Wohlstand geschaffen haben. Aber auch von gegenteiligen Fällen. Was ist ein Beispiel dafür?
Daron Acemoğlu: Es gibt viele technologische Transformationen, die den Produktionsprozess grundlegend veränderten, aber deren Resultat alles andere als gesamtgesellschaftlicher Wohlstand war. In der Tat hatten sie Elend, härtere Bedingungen und niedrigere Löhne für Arbeitnehmer*innen zur Folge. Nehmen wir etwa die in den 1880er-Jahren erfundene Baumwollentkörnungsmaschine her. Sie machte den Süden der USA zu einem der produktivsten landwirtschaftlichen Gebiete der Welt. Der Süden wurde zum größten Exporteur von Baumwolle, diese war wiederum der Treibstoff für die frühen Phasen der britischen industriellen Revolution. Die gesamte Weltwirtschaft hing also in gewisser Weise von der Baumwolle des Südens ab. Die Landbesitzer kamen zu sagenhaftem Reichtum. Die Arbeitskräfte, die diese Maschinen bedienten, litten aber unter schlechteren Bedingungen als die Sklaven des frühen 18. Jahrhunderts.
Die gängige Aussage, die wir von Tech-Firmen oder Politiker*innen hören, ist aber, dass wir Fortschritt immer gut ist und wir ihn nicht aufhalten können. Dass sich die Gesellschaft in der Vergangenheit immer an neue Technologien angepasst hat.
Ich denke, dieses Narrativ ist gefährlich. Wenn man sich anschaut, warum die Dinge in anderen Perioden gut gelaufen sind, z. B. während der zweiten Phase der industriellen Revolution in Großbritannien, dann geschah dies nur, weil sich das Machtgleichgewicht verschob. Weil sich die Menschen organisierten. Sie haben andere Wege gefunden, um die Vorteile zu teilen. Das Narrativ, dass alles gut wird, schafft Gleichgültigkeit. Es beschwichtigt die Menschen. Es sagt: "Für euch gibt es nicht viel zu tun. Vertraut einfach Sam Altman und Elon Musk. Die talentierten Unternehmer und Technikgenies werden alles für euch regeln. Es gibt keinen Grund zur Sorge. Und schon gar keinen Grund, sich einzumischen."
"Betrachten Sie Ihre Mitarbeiter*innen nicht als Kostenfaktor, den Sie einsparen müssen, sondern sehen Sie sie als eine wichtige Ressource für das Gedeihen Ihres Unternehmens."
Sie sprechen in Ihrem Buch davon, dass diesem Technologie-Optimismus eine Art „gemeinsame Vision“ zugrunde liegt. Was meinen Sie damit?
Technologie hat keinen vorbestimmten Weg. Es gibt viele Dinge, die man mit Allzwecktechnologien, wie KI, tun kann. Die Frage ist, welche Entscheidungen wir treffen und wer sie trifft. In vielen Epochen waren es diejenigen, die Panzer haben, diejenigen, die über Zwangsgewalt verfügen. Aber in der heutigen Zeit geht es mehr um Überzeugungskraft. Das, woran wir alle glauben, leitet technologische Entscheidungen. Im Zeitalter der KI besteht die große Wahl darin, KI-Technologien so einzusetzen, dass sie die Informationen für menschliche Entscheidungsträger verbessern und nützlichere Maschinen für Menschen schaffen. Aber die Vision, die in der Tech-Industrie viel dominanter ist, ist die einer autonomen maschinellen Intelligenz. Das ist die Vorstellung, dass es einen vorbestimmten Weg gibt, der Technologien immer menschenähnlicher macht und den Menschen zwangsläufig irgendwann ersetzt.
Wie schaffen wir es, dass Maschinen, insbesondere KI, dem Menschen nutzen, anstatt ihn zu ersetzen?
Meiner Meinung nach besteht der wichtigste Schritt darin, dieses Gespräch zu führen. Wir wären schon zu 50 Prozent am Ziel, wenn wir einen breiten Konsens darüber hätten, dass diese erstaunlichen technologischen Entwicklungen so verwendet werden, dass sie dem Menschen nutzen.
Sind wir auf einem guten Weg?
Noch liegt die Macht in den Händen einer sehr kleinen Gruppe von Tech-Unternehmern. Man muss also eine Gegenmacht entwickeln, d. h. eine solidere Möglichkeit für den Rest der Gesellschaft, Forderungen zu stellen und bei einigen sehr wichtigen Entscheidungen ein Mitspracherecht zu haben. Sehen Sie sich die USA an. Vor wenigen Monaten, als der US-Senat endlich die Bedeutung und die Gefahren, der generativen KI erkannte, hielt er eine Anhörung ab. Was tat er? Er lud die CEOs der 5 größten Technologieunternehmen ein. Aber was ist mit den Hundertmillionen amerikanischer Arbeitnehmer*innen, die davon betroffen sein werden? Und mit jenen auf der ganzen Welt?
Und gleichzeitig wird auf die Arbeitnehmer*innen auch herabgesehen oder? Sie unterstellen ihnen, technologischen Fortschritt nicht zu verstehen, nicht zu wissen, was es heißt, zukunftsorientiert zu wirtschaften.
Genau. Viele der Tech-Unternehmer sind der festen Überzeugung, dass der Großteil der Menschheit sehr kurzsichtig und nicht rational ist - mit Ausnahme der Genies, natürlich.
Nehmen wir an, ich wäre eine Arbeitgeberin. Was sind gute oder schlechte Entscheidungen, die ich treffen könnte, wenn ich KI in meinem Unternehmen einführe?
Betrachten Sie Ihre Mitarbeiter*innen nicht als Kostenfaktor, den Sie einsparen müssen, sondern sehen Sie sie als eine wichtige Ressource für das Gedeihen Ihres Unternehmens. Das ist das große Fragezeichen, weil wir noch nicht genau wissen, wie man das erfolgreich umsetzt. Aber wenn Ihnen das gelingt, werden Ihre Arbeitnehmer*innen produktiver sein. Sie können Ihren Marktzugang auf Kosten Ihrer Konkurrenz verbessern und gleichzeitig nachts besser schlafen, da auch Ihre Arbeitnehmer*innen davon profitieren. Wenn sie produktiver werden, springen für sie höhere Löhne, höhere Einkommen und bessere Beschäftigungsmöglichkeiten heraus.
Wo wir beim Schlafen sind, eine letzte Frage: Was hält Sie bei dieser Debatte nachts wach?
Die Tatsache, dass wir auf unserem derzeitigen Weg weitermachen, wie bisher. Sehr leistungsfähige Technologien befinden sich in den Händen einiger weniger Unternehmen. Ihr derzeitiger „Business as usual“-Pfad wird zu mehr Automatisierung, der Konzentration von Informationen, der Zentralisierung von Daten und einer geschwächten Demokratie führen. Das ist es, was mich am meisten beunruhigt. Wenn Sie mich fragen, ob ich ein Pessimist oder ein Optimist bin? Ich wüsste nicht, was ich antworten sollte.
Acemoğlus neues Buch "Macht und Fortschritt: Unser 1000-jähriges Ringen um Technologie und Wohlstand" erscheint am 13. September auf Deutsch.
Warum wir Partnerlinks einsetzen
Unsere Artikel entstehen in redaktioneller Unabhängigkeit. Die futurezone kann aber eine Provision erhalten, wenn ihr über einen der verlinkten Shops etwas kauft. Was das bedeutet, erfahrt ihr hier.