So trainieren Europas Astronauten für die ISS
Das Columbus-Modul, in dem die europäischen Astronaut*innen auf der Internationalen Raumstation arbeiten, ist kleiner, als man es sich vorstellt. Vermutlich, weil wir bei unserer Besichtigung der Trainings-Nachbildung am Boden stehen und nicht hindurch schweben können. Auf der einen Seite lächelt uns ein großes Foto von JAXA-Astronaut Aki Hoshide an. "Der sagt immer freundlich 'Guten Tag', damit man sich wie im echten Columbus-Modul fühlt", erklärt Rüdiger Seine, Leiter der Astronautenausbildung im ESA-Astronautenzentrum, der futurezone.
Das ESA-Astronautenzentrum befindet sich in der Nähe des Kölner Flughafens, auf dem Gelände des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Es besteht aus einer riesigen Halle mit verschiedenen Trainingsmodulen. Dort trainieren alle Astronaut*innen und Kosmontaut*innen den Umgang mit den europäischen Elementen der Raumstation.
Seine führt uns durch den Nachbau, in dem sich die Astronaut*innen vor einer ISS-Mission mit der Arbeitsumgebung vertraut machen. Aus den Seiten hängen einige Kabel nach unten, im hinteren Bereich stapeln sich Kisten. "Das ist immer noch relativ aufgeräumt im Vergleich dazu, wie es an Bord aussieht. Hier zieht die Schwerkraft die Kabel glatt nach unten. Im Weltraum reichen sie weiter in die Kabine. Die macht man dann mit Kabelbinder oder Klett fest", beschreibt Seine.
Überall Klettverschluss
Klettverschluss sei ohnehin ein wichtiges Gut auf der Raumstation. Damit werden Werkzeuge an Ort und Stelle gehalten und die Abdeckungen aus schwer brennbarem Material befestigt, damit nicht alles unkontrolliert in der Kabine umherschwebt.
Nachstellen kann man das hier am Boden natürlich nicht. "Wir versuchen ein Gefühl für den Raum zu vermitteln. Das ist insbesondere für Astronauten und Astronautinnen wichtig, die das erste Mal zu Raumstation fliegen."
Trainiert wird die Wartung des Moduls. Es müssen Dichtungsringe gewechselt werden, Luftfilter ausgetauscht und Komponenten ein- und ausgebaut werden. "Sie trainieren auch für etwaige Notfälle", beschreibt Seine das Programm. Die Astronaut*innen müssen lernen, wo sie z.B. nur wenig Platz haben, um mit dem Schraubenzieher zu hantieren.
Unter unseren Füßen befinden sich der Zentralcomputer, der Wasserkühlkreislauf und der Stromverteiler. Alles ist in zweifacher Ausführung vorhanden, damit es ein Backup gibt, sollte etwas kaputt gehen. Die Astronaut*innen an Bord müssen in der Lage sein, die Geräte im Notfall zu reparieren.
Experimentieren mit giftigen Substanzen
Obwohl wissenschaftliche Experimente nicht im Modulnachbau, sondern im angeschlossenen Labor trainiert werden, sehen wir auch die berühmte "Glove Box", eine Sterilbank, die doppelt hermetisch verschlossen ist. In diese Kammer greifen die Astronaut*innen durch Handschuhe, um Experimente durchzuführen.
„Sobald die Hände und ein paar Experiment-Container in der Sterilbank sind, ist sie voll", beschreibt Seine die Herausforderungen bei der Arbeit mit der Sterilbank auf der ISS. "Wenn die Astronauten auf der Erde etwas ablegen, bleibt es da auch. Im Weltall muss man viel mit Klettband und Gummibändern sichern, damit man eine halbwegs aufgeräumte Arbeitsatmosphäre hat." Trainiert wird das zusätzlich während Parabelflügen.
Auf Tauchstation
Während unseres Besuchs liegen in der Halle auch jene Nachbauten, die sonst im 10 Meter tiefen Tauchbecken versenkt werden. Das wird allerdings derzeit renoviert, weshalb wir sie aus nächster Nähe sehen konnten. Es handelt sich um hohle Modelle, die der Außenhülle der Raumstation gleichen. Wichtig für das Training sind die grellgelben Griffe. An ihnen müssen sich die Astronaut*innen bei einem Außeneinsatz entlanghangeln.
Ein Parabelflug reicht nicht aus, um einen Außeneinsatz (Extravehicular Activity) zu üben. „Alle Taucher kennen den Grund, warum wir das Training unter Wasser durchführen. Es geht um den Moment, indem man perfekt im Wasser ausbalanciert ist, weil das eigene Gewicht den statischen Auftrieb ausbalanciert, also das Archimedische Prinzip. So schwebt man im Wasser, wie im All“, sagt Hervé Stevenin, der das EVA-Training der ESA leitet.
Mentale und psychische Belastung
Während er die Situation im All beschreibt, kann einem durchaus mulmig werden. Die Astronaut*innen haben durch ihren Anzug nur ein winziges Sichtfenster, bewegt man den Kopf, berührt man ständig den Helm. Das Festhalten mit den Handschuhen ist so anstrengend, als würde man einen Tennisball zusammendrücken.
Obwohl es kein wirkliches Unten und Oben gibt, blickt man 400 Kilometer in die Tiefe zur Erde. Man hat das Gefühl zu fallen, auch wenn das unmöglich ist. Innerhalb kürzester Zeit ändert sich die Umgebung, während die Raumstation mit ungefähr 28.800 km/h um die Erde kreist.
„Man muss also in der Lage sein, sich schnell zu erholen, um seine ganze Kraft in Bewegungen stecken zu können. Es ist, als würde man einen 100-Meter-Lauf auf der Strecke eines Marathons machen, mit winzigen Pausen zwischendrin“, beschreibt es Stevening.
Um die 6 Stunden dauert ein EVA, weitere 2,5 Stunden dauert die Vorbereitung. Nach dem Einsatz vergeht eine weitere Stunde, bis man die Luftschleuse wieder passiert und den Anzug abgelegt hat.
Loslassen verboten
Das ist allerdings nur die Ausgangssituation. Das tatsächliche Training soll die „Rules of Engagement“ vermitteln. „In Filmen sieht man wie die Typen raus gehen, sich einfach abstoßen und zum Zielpunkt fliegen. Das kann niemand im All machen, das ist verboten“, so Stevening. Er erwähnt dabei diese Szene im Film Gravity:
„Man muss sich immer mit einem Haken absichern. Geschicklichkeit, Bewegungsfreiheit und Aufmerksamkeit sind eingeschränkt. Man muss also immer wissen, wo man ist, wo die Werkzeuge sind und wo man festgemacht ist“, beschreibt der EVA-Experte die Situation weiter.
Lebensgefährliche Werkzeuge
Das wichtigste ist, dass die Astronaut*innen nichts verlieren. Das hat 2 Gründe, erklärt Stevening. Wenn sie ein Werkzeug verlieren, können sie nicht einfach schnell an Bord, in eine Werkzeugkiste greifen und ein neues Objekt holen. Ist es weg, muss man Monate auf eine Versorgungsrakete warten, die Nachschub bringt. Dadurch verzögern sich sämtliche weiteren Projekte.
Der zweite Grund ist, dass jedes verlorene Objekt irgendwann wieder auf die ISS trifft, da sich der Orbit ohne Außeneinwirkung nicht ändert. Verliert man einen Schraubenzieher, kommt er wie eine Pistolenkugel wieder auf die ISS zu und könnte etwas zerstören oder sogar jemanden treffen. „Man gefährdet das eigene Leben und das seines Teams. Scheitern ist keine Option“.
Um diese Regeln zu verinnerlichen und eine Routine zu entwickeln, trainieren die Astronaut*innen in den Tauchbecken. Am EAC gibt es allerdings keinen Raumanzug. In voller Montur tauchen sie im Trainingszentrum in den USA ab.
ISS-Abbild in VR
Bei einem Außeneinsatz sind die Astronaut*innen sehr nah an der Raumstation und haben kaum einen Überblick über die gesamte ISS. Mit VR-Simulationen lernen sie aber jeden Winkel der Station kennen. Auf der diesjährigen Gamescom konnten wir eine spielerische Version einer solchen Simulation testen.
Die Aufgabe war es, versteckte Symbole vor dem Ablaufen eines Countdowns zu finden. Dafür musste man jeden Winkel der Raumstation absuchen, was sich unter Zeitdruck als gar nicht so einfach entpuppte.
Die VR-Spielerei basiert auf der Trainingssoftware, für die jedes Kabel, jeder Hebel und jedes Modul detailgetreu modelliert wurde. Das ist beispielsweise notwendig, um die Roboterarme der ISS steuern zu können.
Es gibt nur eine Handvoll Außenkameras an der ISS. Das heißt, die Astronaut*innen müssen präzise steuern, andernfalls könnte der Arm ein Loch in die ISS schlagen.
Internationales Trainingsprogramm
Je nach Mission und Erfahrungslevel der Astronaut*innen dauert das spezifische Training zwischen einer und 3 Wochen. Dem geht ein Basistraining von 2 Jahren voraus, das die neuen ESA-Astronaut*innen im kommenden Jahr starten werden.
Alle Mitglieder einer Mission reisen zu den Trainingsstandorten. Neben Köln sind das etwa das Johnson Space Center der NASA in Houston, wo das EVA-Training mit Raumanzügen stattfindet. Auch am Juri Gagarin Trainingszentrum in Russland, dem Tsukuba Space Center in Japan und dem CSA Hauptquartier in Kanada wird trainiert.