Unser Gehirn arbeitet nur mit 10 Bit pro Sekunde
Dass ein Computer meist schneller arbeitet als das menschliche Gehirn, dürfte niemanden überraschend. Wie viel langsamer ein Gehirn aber wirklich arbeitet, haben Forscher jetzt anhand von mathematischen Zahlen verdeutlicht.
Um die Denk-Geschwindigkeit zu messe haben die Forscher das analysiert, wie sich Menschen u.a. beim Lesen, Schreiben oder Spielen von Videogames verhalten. So tippt man etwa 120 Wörter pro Minute und spricht mit 160 Wörtern pro Minute.
Das wurde in mathematische Ausdrücke übersetzt: Man schreibt mit 10 Bit/s, spricht mit 13 Bit/s, löst einen Zauberwürfel mit maximal 11,3 Bit/s, spielt Tetris mit bis zu 7 Bit/s und merkt sich Zahlen mit bis zu 4,9 Bit/s.
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Millionenfach langsamer als das Internet
Anhand einer ganzen Reihe an Beispielen ermittelten die Forscher, dass der Denkprozess mit maximal 10 Bit pro Sekunde abläuft. Ein Bit steht in der Studie für ein Informationspaket - beim Tippen auf einer Tastatur entspricht das z.B. einem Anschlag pro Sekunde.
In bit/s wird in der Regel eine Datenübertragungsrate angegeben. Misst man etwa seine Internetgeschwindigkeit, wird das meist in Mbit/s - also z.B. 10 Megabit - angegeben. Ein Mbit entspricht einer Million Bit.
Warum denken wir so langsam?
10 Bit/s sei eine extrem niedrige Zahl, sagt Studienautor Markus Meister vom Caltech in einem Statement. Denn gleichzeitig sammelt das Gehirn über unsere Sinne Informationen 100 Millionen Mal schneller aus der Umgebung.
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So könne ein einzelner Rezeptor im Auge 270 Bit/s erfassen, das gesamte Auge 1,6 Milliarden. "Jeden Moment nehmen wir nur 10 Bit von den Billionen, die unsere Sinne erfassen und nutzen diese 10 um die Welt um uns herum wahrzunehmen und Entscheidungen zu treffen", sagt Meister.
Das Gehirn besitzt über 85 Millionen Neuronen, ein Drittel davon ist für komplexe Denkprozesse zuständig. Sie können leicht mehr als 10 Bit/s übertragen. "Das schafft ein Paradoxon: Was tut das Gehirn, um all diese Informationen zu filtern", fragt Meister. Auch die Fragen, warum es so viele Neuronen besitzt, obwohl wir so langsam denken, müsse in zukünftiger Forschung betrachtet werden.
Warum können wir nicht mehrere Gedanken gleichzeitig verfolgen?
Die Entdeckung der "Geschwindigkeitsbegrenzung" lässt eine weitere Frage aufkommen: Warum verarbeitet das Gehirn Gedanken nacheinander und nicht zeitgleich? Unsere Sinne können das. Wir können gleichzeitig sehen, riechen, schmecken, fühlen und hören. Ein Schachspieler kann sich aber seine nächsten möglichen Züge nur nacheinander vorstellen, nicht gleichzeitig.
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Die Antwort könnte in der Evolution des Gehirns liegen. Frühe Lebewesen hatte klare Ziele: Sich zur Nahrung hin- und von Feinden wegbewegen. Da das Gehirn aus so einfachen Systemen entstanden ist, sei es nur logisch, dass es auch weiterhin nur einem Gedankengang folgen kann.
10 Bit/s nur in Extremsituationen
"Menschliches Denken kann als eine Form der Navigation durch einen Raum an abstrakten Objekten gesehen werden", schreiben die Forscher in ihrer Studie. Tatsächlich würden die 10 bit/s nur in Extremsituationen erreicht, etwa wenn eine plötzliche Änderung in unserem Umfeld passiert.
Obwohl die Studie viele neue Fragen schafft, könnten die Ergebnisse für technische Entwicklungen wie Neuralink wichtig werden. Solche Gehirn-Computer-Schnittstellen sollen u.a. die Geschwindigkeit erhöhen können, mit der das Gehirn Aufgaben wie das Tippen von Text am Computer, schneller ausführt. Die neue Studie liefert aber Hinweise, dass diese Geschwindigkeit ebenfalls auf 10 Bit/s beschränkt bleibt. Die Ergebnisse sind im Fachmagazin Neuron erschienen.
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Vollständig vergleichbar sind Computerbits mit den hier berechneten Gehirn-Bits aber nicht. So werden in der Studie einzelne Aktivitäten und Informationen mit einem Bit zusammengefasst. Bei Computern entsprechen je nach System mehrere Bits einem Charakter, bei UTF-8 sind es z.B. 8 Bit.
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