Mit gezüchteten Mini-Herzen Krankheiten erforschen
Weltweit zählen Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den häufigsten Krankheiten. Über 17 Millionen Menschen sterben jährlich an deren Folgen, wie das Sozialministerium berichtet.
Die Erforschung von Wirkstoffen zur Behandlung von Herzkrankheiten gestaltet sich bis heute schwierig, zumal Modelle für Herzerkrankungen, die in der Präklinik, also der Phase, in der neue Wirkstoffe etwa in Zellkulturen getestet werden, der Physiologie des menschlichen Herzens nicht ausreichend ähneln. Ihnen mangelt es nicht nur an einer Zellinteraktion sowie einer natürlichen Struktur, auch kann ohne Nachbildung der menschlichen Herzkammer die Pumpfunktion nicht gemessen werden.
Das Wiener Biotech-Start-up HeartBeat.bio – ein Spin-off des Instituts für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) – entwickelt daher eine Screening-Plattform für die Arzneimittelentwicklung bei Herzerkrankungen, die auf Herzorganoide ("Kardioide“) aufbaut. Dabei handelt es sich um gezüchtete Herz-Modelle in einer Zellkultur, die sich aus Stammzellen nachbilden und differenzieren.
Kardioide beginnen zu schlagen
Etwa 8 Tage dauert es, bis sich die Herzkammer ausgebildet hat und die wichtigsten Zelltypen wie Muskelzellen, Blutgefäßzellen, Fibroblasten (Bindegewebszellen) des Herzens ausdifferenziert sind. „Die Kardioide fangen ungefähr zu diesem Zeitpunkt auch an, wie ein Herz zu schlagen. Das stimmt im Übrigen zeitlich auch mit der Herzentwicklung überein. Und genau da haben wir unsere Inspiration genommen“, sagt Pablo Hofbauer, Mitbegründer von HeartBeat.bio, gegenüber der futurezone.
Um die Mini-Herzkammern züchten zu können, wurden den Stammzellen Signale gegeben, die ein sich entwickeltes Herz auch während der normaler Herzentwicklung im Mutterleib bekommen würde. „Das heißt, wir geben zum Beispiel die richtigen Proteine (sogenannte „Growth Factors“) zum richtigen Zeitpunkt der Entwicklung hinzu und lenken so die Entwicklung der Stammzellen in die richtigen Bahnen“, erklärt Hofbauer.
An diesen komplexen 3D-Gewebsmodellen in der Petrischale können neue Medikamente getestet werden. Im Fokus stehen Erkrankungen wie Herzinsuffizienz oder die Herzmuskelerkrankung Kardiomyopathie.
Bildung von Narbengewebe verhindern
Zusätzlich könne das Kardioid-System auch eingesetzt werden, um toxische Effekte von anderen Medikamenten – insbesondere Krebsmedikamente oder Chemotherapie zeigen laut Hofbauer oft negative Herz-spezifische Nebenwirkungen – schon während deren Entwicklung auszuschließen. „Oder aber bei bereits zugelassenen Krebsmedikamenten, die möglicherweise einen Tumor bekämpfen aber einen Herzschaden herbeiführen, kann man neue Therapiemöglichkeiten erforschen, um den Schaden so gering wie möglich zu halten“, sagt er.
Daneben öffnet sich laut Hofbauer eine Reihe zusätzlicher medizinisch wichtiger Applikationen. „Zum Beispiel haben wir auch zeigen können, dass wir in der Lage waren, die Verletzungsreaktion des Herzens nach einem Infarkt zu rekapitulieren“, sagt er. Wie auch bei einem Patientenherzen waren erste Stadien der Narbenbildung sichtbar. Diese Narbenbildung führt schließlich zu einer Herzinsuffizienz, weil die Narbe verlorene Muskelzellen ersetzt, sich aber nicht kontrahieren kann. „Indem wir das in einer Schale nachbilden, können wir nach Möglichkeiten suchen, die Bildung von Narbengewebe zu reduzieren oder zu verhindern“, so der Experte.
Rückschlüsse auf Pumpfunktion
Mithilfe der Technologie lassen sich künftig auch Rückschlüsse auf die Pumpfunktion ziehen. „Wir haben zwar vorerst nur die Kontraktionen als auch die elektrischen Signale gemessen, welche die Kontraktionen auslösen – nachdem wir aber nun tatsächlich zum ersten Mal eine flüssigkeitsgefüllte Kammer haben, könnte man die Flüssigkeitsbewegungen messen“, so Hofbauer. Was den Kardioiden aber fehlt, ist ein Flüssigkeitsabfluss. Das bedeutet, dass eine Kammer, aber kein ganzes Herz nachgebildet werden kann.
Im Labor von Hofbauers Kollegen Sasha Mendjan am IMBA wird nun daran gearbeitet, das Kardioidsystem weiterzubringen. So wird auch daran geforscht, das System dem echten, erwachsenen Herzen noch näher zu bringen. „Zum Beispiel könnte man in Zukunft ein Zweikammern-System entwickeln“, sagt der Fachmann. Aktuell befassen sich die Forscher auch mit den Auswirkungen von SARS-CoV-2 auf das Herz.
Künftig weniger Tierversuche nötig
Generell bewegt sich die präklinische Forschung immer mehr in Richtung der Verwendung von komplexen humanen Organoidsystemen. „Einerseits werden dadurch in Zukunft immer weniger Versuchstiere notwendig und andererseits haben wir gemerkt, dass es Sinn macht, menschliche Erkrankungen auch in menschlichen Modellsystemen zu erforschen“, so Hofbauer. Daneben haben Kardioide den großen Vorteil, dass sie reproduzierbar sind und kostengünstig hergestellt werden können.
Das Projekt wird mit einer Preseed-Förderung des Austria Wirtschaftsservice (aws) unterstützt.
Dieser Artikel entstand im Rahmen einer redaktionellen Kooperation zwischen futurezone und aws.