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Wie Ionenantriebe für Satelliten getestet werden

Die Atmosphäre der Erde reicht weiter als man denkt. Selbst auf Satelliten, die im niedrigen Erdorbit stationiert sind, wirkt ein zwar sehr geringer, aber dennoch vorhandener Luftwiderstand. Er verlangsamt Satelliten und verringert ihre Flughöhe. Um nicht abzustürzen, benötigen Satelliten also einen Antrieb, der den Luftwiderstand kompensiert oder Satelliten immer wieder auf eine höhere Flugbahn bringt.

Ionenantriebe eignen sich für solche Aufgaben sehr gut, genauso können damit aber auch Raumsonden angetrieben werden, die in tief in das Sonnensystem vordringen. Im Vergleich mit chemischen Antrieben sind Ionentriebwerke sehr klein und kommen mit wenig Treibstoff (bzw. Stützmasse) sehr lange aus.

Wenig Kraft, viel Ausdauer

Der Schub, den sie erzeugen, ist sehr gering. Um von 0 auf 100 km/h zu beschleunigen, benötigen sie dann zwar mehrere Tage, dafür geht die Beschleunigung aber für lange Zeit weiter, wodurch Sonden im Endeffekt auf sehr hohe Geschwindigkeiten kommen. "Wenn Sie mit ihrem Auto im Stand Vollgas geben, ist der Tank nach spätestens eineinhalb Stunden leer. Bei unserem Ionenantrieb können Sie ein halbes Jahr lang Vollgas geben - und der Tank ist nur so groß wie eine Kinderfaust", sagt Werner Engel von der FOTEC Forschungs- und Technologietransfer GmbH.

In dem äußerlich unscheinbaren Gebäudekomplex hat FOTEC sowohl Werkstätten, in denen Antriebskomponenten gebaut werden, als auch Labors, in denen ihre Funktionen überprüft werden. Ein großer Saal beherbergt zwei große Vakuumkammern, die jeweils 2,4 Meter Durchmesser und 3 Meter Länge aufweisen. 14 Kubikmeter Luft können abgesaugt werden, um einen hochgradig luftleeren Raum zu schaffen. In einer der Kammern ist beim Besuch der futurezone ein Ionentriebwerk aktiv und "feuert" bei geringer Leistung. Auf einem Bildschirm sieht man das schwache bläuliche Glühen von Punkten in einem Kreis.

Ionenantriebe sind so klein und leicht, dass sie selbst in Nanosatelliten verbaut werden können

Soviel Schub wie ein Salzkristall

Das Glühen entsteht durch die Erzeugung von positiv geladenen Atomen, die mit einer Geschwindigkeit von mehreren hundert Kilometer pro Sekunde ausgestoßen werden und Schub erzeugen. Wieso wird der Deckel der Vakuumkammer bei einem solchen Vorgang nicht aufgerissen? "Weil der Schub ungefähr dem Gewicht eines Salzkristalls entspricht, den man sich auf die Haut legt", erklärt Engel. Mit 350 Mikronewton ist der Schub extrem gering. Auf der Erde würde man damit gar nicht vorwärts kommen, weil der Luftwiderstand zu groß ist, im Weltraum allerdings lässt sich damit viel anfangen.

Ionen aus porösen Nadelspitzen

Ionenantriebe funktionieren im Prinzip so, dass positiv geladene Teilchen durch ein elektrisches Feld stark beschleunigt werden. Anschließend werden die Ionen durch Zugabe von Elektronen wieder neutralisiert, also in ein Spannungsgleichgewicht gebracht - sonst würden sie sich wieder zum Antrieb zurückbewegen und nicht fortgeschleudert werden. Während man bei chemischen Antrieben Treibstoffe benötigt, die miteinander reagieren, braucht man für ein Ionentriebwerk lediglich elektrischen Strom und eine so genannte Stützmasse. Hauptsächlich wurde in der Vergangenheit das Gas Xenon dafür verwendet. Der Strom kommt meist von Photovoltaikmodulen, könnte aber auch von Radionuklidbatterien kommen, etwa für Regionen, in denen das Sonnenlicht nicht mehr stark genug ist.

Xenon muss in Hochdrucktanks mitgeführt werden. Die von FOTEC entwickelte Antriebsvariante verwendet allerdings das Metall Indium. Dieses harmlose Material wird in fester Form mitgeführt. Im Ionentriebwerk wird es bei etwa 155 Grad Celsius geschmolzen und durch poröse Wolfram-Nadeln geleitet. An der Spitze der Nadeln werden Indium-Atome durch das Anlegen einer positiven Spannung ionisiert. "Wie bei einem Blitzableiter ist die elektrische Feldstärke an den Nadelspitzen sehr hoch, was zur Feldemission führt", erklärt Engel. Wie bei einem Filzstift wird durch die Kapillaren des porösen Wolframs Indium quasi gesaugt.

Ursprünge bei Austromir-Mission

Im Vergleich mit Xenon-Ionenantrieben sei die FEEP-Variante (Field Emission Electric Propulsion) feiner regelbar. "Der Antrieb kann wie eine Lampe ein- und ausgeschaltet werden und die verwendete Stromstärke und damit der Schub ist exakt einstellbar", sagt Engel. Auch die Steuerung dieses Systems sei vergleichsweise einfach. Alleine die Steuereinheit für ein Xenon-Triebwerk sei etwa so teuer wie ein kompletter Indium-Antrieb inklusive Steuereinheit.

Das Verfahren wird von FOTEC seit über 30 Jahren weiterentwickelt. Seine Anfänge gehen zurück auf die Austromir-Mission 1991. Damals nahm Österreichs erster Raumfahrer, Franz Viehböck ein Ionenstrahl-Experiment mit zur russischen Raumstation Mir. Dabei ging es eigentlich darum, ein neues Materialtestverfahren auszuprobieren. Später wurde dieser Ionenstrahl dazu verwendet, die Aufladung des Satelliten GEOTAIL - durch Kollision mit Atmosphärenteilchen - zu neutralisieren. Dabei wurde festgestellt, dass ein geringer Schub entsteht. Während bei dem Experiment eine einzige Wolfram-Nadel mit Indium zum Einsatz kam, sind es bei den aktuellen FEEP-Antrieben 28 Nadeln, die im Kreis angeordnet sind.

Ein Finger ist zu stark

In einem Labor neben dem großen Saal mit den Vakuumkammern hantiert eine Mitarbeiterin gerade mit einem Teil des Antriebs, in dem die "Krone" aus Wolfram-Nadeln gut sichtbar ist. Berühren darf man diese Krone auf keinen Fall, meint Engel. "Die Nadeln würden sofort brechen, die mechanische Last ist zu groß." In einem anderen Nebenraum wird währenddessen lautstark "Achtung!" gerufen, daraufhin ertönt ein lauter Knall. Hier ist ein ganzes Ionentriebwerk auf eine Metallplatte montiert, auf die ein Gewicht fällt. Daneben gibt es einen Rüttelstand, auf welchem das Triebwerk anschließend wie auf einer Art überdimensioniertem Subwoofer durchgeschüttelt wird.

Mit dieser Art von Belastungen ist ein Triebwerk auch bei einem Raketenstart konfrontiert. Die ruppige Behandlung muss die Komponente freilich mühelos überstehen. Unglaubliche Vibrationen und Erschütterungen durch Explosionen - etwa beim Abtrennen von Raketenstufen - halten die Nadelkronen im Inneren der Ionentriebwerke also aus, nicht aber einen menschlichen Finger.

Weltraumkomponenten werden im Labor mehreren Tests unterzogen, unter anderen Belastungstests mit Erschütterungen und Vibrationen

Seit fünf Jahren im Dauerbetrieb

In einem weiteren Raum stehen mehrere kleinere Vakuumkammern. In einer davon läuft beim futurezone-Besuch gerade ein Ionenantriebstest - und zwar schon seit fünf Jahren. Die Stützmasse wird dabei immer wieder nachgefüllt. "Hier wird ein Triebwerk unter Dauerbelastung so lange getestet, bis es den Geist aufgibt", sagt Engel. Geschehen ist das bisher noch nicht. Auf einem Montagewerkteil, das in dem Raum liegt, sieht man schwarze Ablagerungen.

Dabei handle es sich um "Backsputtering", erklärt Engel. Der Ionenstrahl aus den Triebwerken ist zwar nicht stark genug, um die Vakuumkammer zu zerreißen, aber die Teilchen lösen Metallatome aus den gegenüberliegenden Wänden der Kammern, die sich dann auf Oberflächen ablagern. Aus diesem Grund werden Sichtfenster, durch die man mit dem bloßen Auge oder Kameras ins Innere der Kammern sehen kann, auch mit einer Blende verschlossen.

Geheime Kunden

Das blaue Glühen der Nadelkränze bekommen Wissenschaftler*innen, die bei FOTEC Tests durchführen, also nicht ständig zu sehen. Derzeit läuft eine Untersuchung für die europäische Raumfahrtbehörde ESA. Welche anderen Kunden FOTEC betreut, das unterliegt strengster Geheimhaltung. Der quasi Haus- und Hofkunde ist Enpulsion, ein Spin-Off von FOTEC, das FEEP-Antriebe vermarktet. Mit seinem Produkt hat das Unternehmen einigen Erfolg. Über 140 Stück der Antriebe aus Wiener Neustadt sind bereits im Weltraum unterwegs.

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Energie, Mobilität und Klimaschutz. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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