Nach Russlands Rückzug droht der ISS das vorzeitige Aus
Der neue Chef der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos, Juri Borissow, hat verkündet, „nach 2024“ die Arbeit auf der Internationalen Raumstation (ISS) einzustellen. Das Symbol für weltweite Zusammenarbeit sollte eigentlich bis 2030 betrieben werden, 10 Jahre länger als ursprünglich geplant.
Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine änderte sich aber auch die Zusammenarbeit im Weltall. Roskosmos teile mit, eine eigene Raumstation namens ROSS in den Orbit bringen zu wollen. 2025 soll das erste Basismodul starten. Die ersten Menschen sollen dort 2026 eintreffen.
Wann Russland die ISS wirklich verlässt, wurde später laut Reuters jedoch wieder relativiert. Auf der Roskosmos-Webseite wurde ein Interview mit Vladimir Solovyov veröffentlicht, dem Flugdirektor des russischen Segments der ISS. Ihm zufolge müsse Russland mindestens so lange auf der Station bleiben, bis ROSS in Betrieb sei. Demnach könne man die bemannten Flüge davor nicht jahrelang einstellen.
Steuerung nicht möglich
Für den Weiterbetrieb der ISS kann der russische Ausstieg entweder unerheblich sein oder das frühzeitige Ende einläuten. Das Servicemodul "Swesda", mit dem die Station navigiert wird, und die zugehörigen Triebwerke sind in russischer Hand. Denn alle Instrumente werden von der Besatzung des jeweiligen Landes gesteuert
Wird mit dem Navigationsmodul nicht regelmäßig die ISS angehoben, kann sie nicht im Orbit bleiben und stürzt ab. Außerdem muss die ISS immer wieder Weltraumschrott ausweichen. Im November 2021 stand sie deshalb kurzzeitig vor der Evakuierung:
Auch für die Stilllegung der ISS ist die Zusammenarbeit mit Russland nötig. Geplant ist aktuell, sie 2030 in die Erdatmosphäre eintreten zu lassen. Ohne das russische Navigationsmodul wäre das nur unkontrolliert möglich. Anstatt in den sogenannten Raumschifffriedhof "Point Nemo" im Südpazifik könnte sie auf bewohntes Gebiet abstürzen.
Selbst wenn Russland sein Modul nicht abdockt, wie es bereits zuvor angedroht hat: Weigert sich Russland, Kosmonaut*innen zur ISS zu schicken, fehlt der „Steuermann“.
Fortsetzung der gemeinsamen Flüge
Zudem bringt Roskosmos Astronaut*innen und Versorgungsmaterial zur ISS. Zwar fliegt auch SpaceX mittlerweile Raumfahrer*innen zur Raumstation. Allerdings hat das Unternehmen von Elon Musk nicht genügend Kapazitäten, um alle nötigen, bemannten Flüge allein zu stemmen.
Laut der europäischen Weltraumorganisation ESA, gibt es aber keinen Grund zur Sorge: „Roskosmos hat bestätigt, seine Verpflichtungen gegenüber den internationalen Partnern zu erfüllen“, heißt es auf Anfrage der futurezone. Die Sicherheit zukünftiger Operationen sei garantiert.
Die NASA und Roskosmos unterzeichneten erst kürzlich ein Abkommen, gemeinsam Raumfahrende zu transportieren (futurezone berichtete). Demnach soll die Kosmonautin Anna Kikina im September als erste Russin mit einer SpaceX-Rakete zur ISS starten. Die NASA und ESA wollen den Betrieb auf der ISS jedenfalls „zum Wohle der Wissenschaft“ weiterzuführen.
Keine Überraschung
Die Partner wurden vorab nicht über die Entscheidung Russlands informiert. Eine Überraschung war es trotzdem nicht. Wie die ESA der futurezone mitteilt, sei das „nichts Neues“. Roskosmos habe den Ausstieg bereits 2021 angekündigt.
Wie der ehemalige NASA-Astronaut Scott Kelly auf Twitter anmerkte, könnte die vage getroffene Aussage über den Zeitpunkt des Ausstiegs bloß Propaganda sein.
NASA hat jedenfalls bereits Aufträge im Gesamtwert von 415 Millionen Dollar für eine neue Raumstation vergeben. ESA und NASA arbeiten zudem an Stationen auf und um den Mond. Auch China und Russland kooperieren für solche Weltraum-Stützpunkte.