Künstliche Intelligenz rückt der Raucherlunge zu Leibe
Raucherhusten am Morgen und Atemnot beim Stiegensteigen: Bei diesen Anzeichen könnte es sich um eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) handeln. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO leiden schätzungsweise 65 Millionen Menschen weltweit an einem mäßigen oder schweren Verlauf. In Österreich sind etwa 400.000 Menschen betroffen.
Primär wird COPD durch regelmäßigen Tabakkonsum ausgelöst. Etwa 20 Prozent der Raucher entwickeln die Lungenerkrankung. Dabei verschlechtert sich der Zustand der Lunge nach und nach, der Husten wird im Laufe der Zeit hartnäckiger. Wird die Raucherlunge nicht behandelt, kann es zu einem Lungenemphysem, also zu einer Zerstörung des Lungengewebes kommen, wodurch die Lebenserwartung kürzer wird.
Hilfe bei Behandlungsentscheidung
Mit der richtigen Therapie kann COPD verlangsamt oder gelindert werden. Das Erkennen der Krankheit stellt sich jedoch als schwierig heraus, zumal die Auswirkungen je nach Patient unterschiedlich sein können. Laut dem Computerbiologen Dieter Maier von der deutschen Firma Biomax könne bei einigen die Atmung eingeschränkt und Luftaufnahme limitiert sein, andere wiederum entwickeln zusätzlich Herz- und andere Organprobleme.
Bei einem gewissen Teil der Betroffenen können auch psychische Leiden und Depressionen auftreten. Nicht jede Behandlung schlägt daher bei allen Patienten gleich gut an. Auch verfügen nicht alle Mediziner und Kliniken über das gleiche Know-how.
Das soll sich bald ändern. Im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts namens SysMed-COPD, das vom österreichischen Wissenschaftsfonds teilfinanziert wird, entwickelt das Team rund um Maier eine künstliche Intelligenz (KI). Diese bewertet die beste individuelle Therapie und unterstützt Mediziner damit bei der Behandlungsentscheidung.
Software-Empfehlung
Sie soll etwa vorhersagen können, welche Raucher COPD entwickeln wird und welche Therapie bei welchem Patienten am besten anschlagen wird. „In dem Projekt versuchen wir, bestimmte Gruppen von Patienten zu erkennen und für diese Gruppen wiederum einen Zusammenhang, mit welcher Behandlung man welches Ergebnis erreichen kann“, sagt Maier gegenüber der futurezone.
Dies diene dem Arzt oder dem medizinischen Personal zur Einordnung. Der Mediziner wisse damit, in welche Gruppe der jeweilige Patient fällt und welche Behandlungserfolge es in dieser Gruppe gibt. „Die Software empfiehlt aber auch, ob Zusatzuntersuchungen gemacht werden sollen, wenn es etwa in der jeweiligen Gruppe auch eine Untergruppe mit Risikopatienten gibt“, sagt der Experte. Wenn etwa aufgrund eines erhöhten Risikos eine besondere Diagnostik empfohlen wird, würde der Arzt an einen Mediziner für bildgebende Verfahren oder ein bestimmtes Testverfahren weiterverwiesen.
Analyse von Patientendaten
Die KI wurde anhand von Patienten- und Behandlungsdaten der niederländischen CIRO-Klinik trainiert – eine auf Rehabilitationsmaßnahmen für COPD spezialisierte Klinik. Sie wurden per maschinellem Lernen analyiert und jene Patienten und -gruppen identifiziert, die von gewissen Behandlungsmethoden besonders profitieren.
Diese Ergebnisse werden nun mit größeren Daten der klinischen Studie „Cosyconet“ der Universität Marburg mit über 2.700 Probanden mit Behandlungserfolg abgeglichen. „Die ersten vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass die Gruppen, die wir ursprünglich identifiziert haben, auch in der klinischen Studie, die über mehrere Jahre durchgeführt wurde, wiederzufinden sind. Das bedeutet, dass das System relativ stabil ist“, sagt der Computerbiologe.
Validierungsstudie
Im nächsten Schritt soll ermittelt werden, inwieweit sich die Gruppen im langfristigen Behandlungserfolg unterscheiden. Ziel ist es schließlich, die gesamten Daten in eine Software zu verpacken, sodass sie in der klinischen Praxis angewandt werden kann. „Für eine Zertifizierung als Medizinprodukt müssen wir die jetzigen Analysen abschließen und dann in die Validierungsstudie gehen. Aktuell schauen wir nach hinten, analysieren also nachträglich. Für die Validierungsstudie müssen wir eine Vorhersage nach vorne machen und aufzeigen, wie die Software im klinischen Betrieb laufen kann“, sagt Maier.
Diese Studie werde etwa ein Jahr dauern. Zunächst soll die Software im DACH-Raum und den Benelux-Staaten zur Anwendung kommen, da auch die Patientendaten aus diesem Raum stammen. Die könnte in etwa 3 Jahren der Fall sein. „Danach lassen sich sicher weitere Validierungseinsätze breiter in Europa und vielleicht auch weltweit machen", so der Fachmann. Auch könnte das Tool in Zukunft weitere Anwendungsfelder finden, etwa bei der Therapiewahl für Krebspatienten.
Lebensnahe „Lunge-auf-Chip“ entwickelt
Die Lunge führt dem Körper Sauerstoff zu und Kohlendioxid ab. Hunderte Millionen Lungenbläschen sind für den Gasaustausch zwischen Blut und Luft zuständig, sodass der gesamte Körper mit Sauerstoff versorgt werden kann. Umfasst werden die Lungenbläschen von einem feinen Netzwerk aus dünnen Blutgefäßen – den sogenannten Lungenkapillaren.
Aufgrund ihrer komplexen Struktur und ihres zellulären Aufbaus ist die Nachbildung der menschlichen Lunge für wissenschaftliche Zwecke ein äußerst schwieriges Unterfangen. Forschern des Artorg Centers for Biomedical Engineering Research an der Universität Bern ist es in Zusammenarbeit mit den Universitätskliniken für Thoraxchirurgie und Pneumologie und dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung München kürzlich gelungen, eine lebensnahe, rein biologische „Lunge-auf-Chip“ zu entwickeln.
Generell ahmt ein künstlich erzeugtes „Organ-on-a-Chip“ in Form eines Biochips das jeweilige menschliche Pendant in einer Zellkultur nach. Es simuliert Aktivitäten, Mechanik und physiologischen Reaktionen des eigentlichen Organs.
Lebensgroß
Die Lunge-auf-Chip besteht aus 400 Millionen Lungenbläschen, die mit je 250 Mikrometer Durchmesser fast lebensgroß sind. Zudem besteht das Produkt aus einer dehnbaren Membran aus Kollagen- und Elastin-Molekülen. Die kommen auch in der menschlichen Lunge vor. Dadurch, dass die Membran so elastisch ist, können sogar Atembewegungen durch mechanisches Dehnen der Zellen simuliert werden. Die Oberfläche kann wochenlang kultiviert werden, sowohl mit gesunden als auch mit erkrankten Lungenbläschen-Zellen.
Aufgrund ihrer Größe und Ähnlichkeit zum echten Lungengewebe kann die Innovation der Erforschung von Lungenerkrankungen wie die idiopathische Lungenfibrose (IPF) oder chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) dienen. Auch eignet sie sich zum Testen von Medikamenten und zur Identifizierung der besten, individuellen Therapie.