Mit technischem Wissen die Gesundheitsversorgung verbessern
Die Ausbildungen für Berufe im Gesundheitswesen und technische Berufe sind momentan noch weitgehend getrennt voneinander. Fachwissen in beiden Bereichen zu besitzen, wird allerdings im Zuge der Digitalisierung immer wichtiger. An der FH Campus Wien wurde deshalb eine von der Stadt Wien geförderte Stiftungsprofessur für Healthcare Engineering geschaffen. Die Informatikerin Eveline Prochaska will damit in mehreren Studienrichtungen technisches Know-how und gesundheits- und pflegewissenschaftliche Anforderungen verknüpfen.
Verständnis schaffen, Interesse wecken
"Das Arbeitsfeld von Menschen in Gesundheitsberufen ändert sich rasant", meint Prochaska zur futurezone. "Sie brauchen digitale Kompetenzen, denn Digitalisierung kann – richtig eingesetzt – dabei unterstützen, die Qualität der Versorgung zu verbessern. Fachkräfte im Gesundheitsbereich werden außerdem immer mehr zu Vermittelnden. Sie müssen es z.B. schaffen, Patient*innen den Umgang mit technischen Hilfsmitteln beizubringen." An der Schnittstelle zwischen Technik und Gesundheit gebe es also große Potenziale und Herausforderungen.
Prochaska versucht, bei Studierenden ein grundlegendes Verständnis für Technik zu schaffen und so Interesse zu wecken. "Meiner Erfahrung nach hat nur ein Bruchteil aller Studierenden in der Pflegewissenschaft jemals eine Virtual-Reality-Brille getragen. Wer die technischen Möglichkeiten nicht kennt, kann weder mögliche Potenziale abschätzen, noch sich an künftigen Entwicklungen beteiligen. Ich möchte da Gedankenschranken überwinden." Erfahrungen hätten gezeigt, dass dann schnell Ideen entstehen können.
Hardware-Innovationen
Ein Ziel bei Healthcare Engineering ist es auch, Prototypen anzufertigen. Bisher wurden mit Studierenden etwa Geräte entwickelt, mit denen Funktionstests durchgeführt werden - etwa für die Physiotherapie. Ein Beispiel ist der 9-Hole-Peg-Test, eine digitale Variante eines analogen Tests, mit dem konkrete Handfunktionen , z.B. bei Schlaganfallpatient*innen, überprüft werden. Für die Mobilisierung der Hand entstand auch ein Fingertrainer, der gleichzeitig Spiele-Controller ist. "Damit kann man die Therapietreue erhöhen, weil es einfach nicht so langweilig ist", meint Prochaska.
Eine weitere Idee, die interdisziplinär entstand und umgesetzt wurde, ist ein Sensorstift, der die Kraftdosierung beim Schreiben misst. Dabei gab es auch Überschneidungen mit einem anderen FH Campus Wien-Forschungsprojekt, über das die futurezone bereits berichtet hat: SensoGrip. Für den Prototypenbau wird ein Stereolithografie-3D-Drucker angeschafft. Damit werden u.a. auch Hilfsmittel für körperlich beeinträchtigte Personen hergestellt. "In der Ergotherapie gibt es dafür ein breites Anwendungsfeld", sagt Prochaska. Die individuell von Therapeut*innen angefertigten Hilfsmittel umfassen etwa Tragehilfen, Halterungen und Griffe für ganz alltägliche Tätigkeiten wie das Aufsperren einer Haustür, das Öffnen einer Flasche oder das Halten von Gegenständen. 3D-Druck kann hier eine Möglichkeit sein, die Fertigung zu erleichtern bzw. den Aufwand für Anpassungen oder Neuproduktionen zu minimieren.
Apps programmieren und bewerten
Abgesehen von Hardware geht es bei Healthcare Engineering auch um die Entwicklung von Software. Prochaska bietet Programmierkurse für Nicht-Techniker*innen an, denn auch in diesem Bereich kann der Zugang sehr niederschwellig sein. Prochaska: "Eine meiner Studentinnen baut derzeit eine App über ein Baukastensystem. Da muss man nicht programmieren können." Die Forscherin selbst arbeitet daran, eine Leitlinie zur Bewertung von vorhandenen Apps für Fachkräfte im Gesundheitsbereich zu erstellen.
"98 Prozent aller Apps in diesem Bereich haben keinen direkten, belegbaren Nutzen für die Gesundheitsversorgung. Weniger als ein Prozent sind Medizinprodukte." Laut Prochaska sei der Informationsbedarf groß. Eine Leitlinie soll u.a. Ärzt*innen und Therapeut*innen vermitteln, dass man WhatsApp nicht im klinischen Alltag benutzen sollte. "Wenn Fachkräfte und Patient*innen über WhatsApp kommunizieren, werden höchst sensible Daten ausgetauscht. Eigentlich müssten sich z.B. Ärzt*innen absichern und ihre Dienste nur über einen Kanal anbieten, der den rechtlichen Ansprüchen gerecht wird."
Ein Beispiel für die Problematik sei die Übermittlung von Fotos an Kinderärzte für Ferndiagnosen. "Für Patient*innen ist es attraktiv, eine unsichere Vorgehensweise zu übernehmen, weil es praktisch ist. Aber eigentlich darf man die Verantwortung nicht auf Patient*innen abwälzen. Das ist nicht in Ordnung."
Vorträge und Wissensdatenbank
Die Aktivitäten, die im Rahmen der Healthcare Engineering Stiftungsprofessur initiiert werden, sollen eine möglichst große Verbreitung finden. Aus diesem Grund gibt es einen starken Fokus auf Öffentlichkeitsarbeit. Vorträge für interessierte Menschen ohne Vorwissen sind etwa ein Mittel dazu. "Wir wollen damit niederschwellig die normale Bevölkerung ansprechen", meint Prochaska. Außerdem sei eine Wissensdatenbank geplant, in der Studierende ihre Projekte im Blog-Format beschreiben. Das soll künftigen Studierenden die Gelegenheit geben, von ihren Erfahrungen zu profitieren und einen leichteren Zugang zu bestimmten Themen zu finden.
Prochaska zeigt sich begeistert darüber, welche Türen die Vielfalt von Healthcare Engineering öffnet. "Das Interesse ist groß, es sind bereits viele Projekte im Laufen. Der Zusammenschluss von Technik, Gesundheit und Pflege ermöglicht die Implementierung digitaler Kompetenzen als Querschnittsthema in die Ausbildung. Die Stadt Wien Stiftungsprofessur trägt wesentlich dazu bei, dass die digitale Transformation des Gesundheitswesens durch Lehre und Forschung gestärkt wird."
Dieser Artikel ist im Rahmen einer Kooperation zwischen futurezone und FH Campus Wien entstanden.