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Wie Google Maps unser Leben revolutionierte

Digitale Karten sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Mit dem Smartphone navigieren wir mit ihnen durch die Stadt, erkunden weit entfernte Urlaubsdestinationen und suchen nach der besten Pizzeria, die es in der unmittelbaren Umgebung gibt. Und natürlich wollen wir auch manchmal nachsehen, wie der tujenheckengeschützte Garten oder die Dachterrasse des Nachbarn aus der Vogelperspektive aussieht.

Im Mittelpunkt dieser Entwicklung steht einmal mehr der Technologiekonzern, der unser modernes Informationszeitalter mit am eindringlichsten geprägt hat: Google. Vor genau 15 Jahren startete der Internetkonzern seinen Kartendienst Google Maps. Ursprünglich nur für den Computer vorgesehen, fand die digitale Karte als Smartphone-App bald ihren Weg in Milliarden Hände und Hosentaschen. GPS-Ortung, Kompass und die für Echtzeitdaten notwendige Internetanbindung lieferten die leistungsstarken Smartphones gleich mit.

Vom Artefakt zur Schnittstelle

Googles Einstieg war eine Revolution, die eine neue Ära der Kartografie eingeläutet hat“, sagt Georg Gartner, Kartografieprofessor an der TU Wien, zur futurezone. „Ging es bis dahin um das Produzieren einzelner Artefakte – also statischer, physischer Karten, die für die Ewigkeit gedacht waren – wurde die Karte jetzt plötzlich zur interaktiven Schnittstelle, die auch Dienstleistungen abbildet und nach eigenen Bedürfnissen personalisiert werden kann.“

Diese Service-Orientiertheit von Google und anderen Technologiekonzernen, die später mit ihren eigenen Kartendiensten auf den Markt kamen, habe den Fokus der modernen Kartografie und auch das Berufsbild nachhaltig verändert, sagt Gartner. "Ein Kartograf muss heute nicht nur ein Grafikdesigner, sondern auch ein Informatiker sein. Darüber hinaus muss er Kognitionswissenschaftler sein und verstehen, wie Menschen dargestellte Informationen im Kopf verarbeiten und verbinden."

Eine Milliarde Kilometer pro Tag

Die von Google kommunizierten Zahlen sind tatsächlich beeindruckend. Über eine Milliarde Kilometer legen Autos mithilfe von Google Maps pro Tag zurück. Da die in den Autos mitfahrenden Handys ihre Standortdaten ständig an Google melden, weiß der Kartendienst praktisch in Echtzeit, wo es staut und schlägt im Zweifel andere Routen vor. Wie einfach das System überlistet werden kann, bewies der Berliner Künstler Simon Weckert vergangene Woche, indem er einen Handkarren mit 99 Android-Handys hinter sich herzog und so einen virtuellen Stau erzeugte.

Bei Google nimmt man den Vorfall mit Humor. „Die Kreativität hat uns in dem Fall wirklich beeindruckt. Ein Handkarrenmodus ist derzeit aber nicht geplant“, sagt Google-Maps-Chefin Jen Fitzpatrick im Gespräch mit der futurezone. Solche Erkenntnisse würden aber dabei helfen,  Funktionen wie die Stauvorhersage weiterzuentwickeln. Darüber hinaus will Google das veränderte Fortbewegungsverhalten stärker berücksichtigen und Angebote wie Carsharing, E-Roller und Leihfahrräder in der Routenplanung abdecken.

Mit der Option „Live View“ sollen sich Fußgänger  im Straßengewirr besser zurechtfinden. Dabei werden Richtung und Entfernung des anvisierten Ziels einfach eingeblendet, während man mit der Handykamera durch die Straßen läuft. Im Modus „Pendeln“ plant Google nicht nur Echtzeitdaten inklusive Verspätungen bei Öffis anzuzeigen, sondern auch auf Basis von Rückmeldungen vorherzusagen, wie überfüllt Waggons sind und wie kalt oder warm es auf der Reise ist. Weitere Informationen, wie der barrierefreie Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln, sollen ebenfalls stärker abgebildet werden.

Restaurants und Geschäfte

Auch beim Essen und Einkaufen gehen führt an Google Maps mittlerweile kaum ein Weg vorbei. 200 Millionen Firmen und Lokale sind im Kartendienst verzeichnet, die meisten inklusive Kundenbewertungen und Fotos. „Dass jeder Mensch Zugang zu hochwertigem Kartenmaterial hat und sich so auf der ganzen Welt orientieren kann, hat die Nutzung in gewisser Weise demokratisiert“, sagt Kartograf Gartner.

Bei der Suche nach der nächsten Pizzeria werde es aber komplizierter: „Das bestimme ja nicht ich mithilfe der Karte, sondern der Google-Algorithmus, der mir einen Eintrag vorschlägt.“ Dirk Burghardt vom Institut für Kartografie an der TU Dresden findet noch deutlichere Worte: „Google ist als kommerziell orientiertes Werbeunternehmen nur bedingt an einer ausgewogenen  Darstellung interessiert. Restaurants, Hotels und Geschäfte, die bei Google mehr für Werbung ausgeben, profitieren auf der Plattform von einer besseren Sichtbarkeit.“

Als Positivbeispiel für frei verfügbares Kartenmaterial verweist Burghardt auf alternative Gratisdienste wie OpenStreetMap, das von Nutzern befüllt wird.

Privatsphäre und Datenschutz

Ein heikles Thema bleibt die Privatsphäre. So fließen bei Google mittlerweile so viele Daten zusammen, dass der Konzern nicht nur genaue Persönlichkeits-, sondern auch Bewegungsprofile erstellen kann. Konkurrent Apple hat das erkannt und bewirbt seinen Kartendienst offensiv mit besserem Datenschutz. Auch Google will den Modus, mit dem man inkognito unterwegs ist sowie die Möglichkeit, die eigene Bewegungsdaten zu löschen, künftig stärker ins Bewusstsein seiner User rücken.

„In der wissenschaftlichen Kartografie ist das ein großes Thema – wie man personalisiert Kartenmaterial nutzen kann, ohne zu viele sensible Informationen preisgeben zu müssen", sagt Burghardt. Das sei früher kaum ein Thema gewesen, da die visuelle Darstellung einer Karte von einzelnen Informationen stark abstrahierte. "Kartendienste sind heute nicht nur Ausgabe-, sondern auch Eingabemedien. Daher weiß Google in Kombination mit unserem Suchprofil extrem viel über uns - wo wir uns befinden, wo wir hinfahren, was uns interessiert, welche Hotels wir bevorzugen."

Verlust der räumlichen Orientierung

Ebenfalls spannend ist die Frage, ob die Nutzung digitaler Kartendienste die menschliche Fähigkeit zur Orientierung auf Dauer verbessern oder gar verkümmern lässt. "Natürlich war es noch nie so einfach, sich von fast jedem Ort der Erde ein Bild zu machen und praktisch nahtlos von einer globalen Sicht auf Straßenniveau hineinzuzoomen. Das hat die räumliche Wahrnehmung und Vorstellungskraft sicherlich verbessert."

Auch wenn man eine Bergtour mache, der Nebel aufziehe und man sich über die digitale Karte am Handy orientieren könne, sei das natürlich von Vorteil. Andererseits sollte man auch in der Lage sein, sich zurechtzufinden, wenn der Akku in die Knie gehe und man auf sich selbst und Hilfsmittel wie eine Papierkarte angewiesen ist.

"Das ist wie mit den Grundrechnungsarten. Natürlich kann man alles mit dem Taschenrechner rechnen. Dennoch sollten wir nicht völlig von der Technologie abhängig sein und zumindest grob im Kopf überschlagen können, ob das Ergebnis stimmen kann. Das ist bei der Orientierung das gleiche", ist Burghardt überzeugt. Das sieht Gartner von der TU Wien ähnlich: "Wo immer Menschen durch ein System determiniert sind, etwa wenn sie völlig passiv einem Navi folgen und diesem blind vertrauen, kann es schnell gefährlich werden."

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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