Wie People Mover auf Bahnnebenstrecken eingesetzt werden könnten
Die Bedeutung der Bahn als einer der klimafreundlichsten Verkehrsträger und ihre Rolle zum Schutz des Klimas ist unumstritten. Mit der wachsenden Verantwortung kommen aber auch neue Herausforderungen auf das System Bahn zu: Kapazitäten sind zu erhöhen, die Produktivität zu steigern und die Qualität zu gewährleisten. Es sind daher intensive Anstrengungen nötig, um die neu entstandenen Möglichkeiten, die Automatisierung und Digitalisierung bieten, für das Bahnsystem bestmöglich zu nutzen.
Im Projekt "Towards Automated Railway Operations" (TARO) unter Leitung der ÖBB-Holding AG arbeitet deshalb eine breite Allianz aus Industrie, Forschung und Anwendern an einer umfassenden Automatisierung und Digitalisierung des Systems Eisenbahn. Im Arbeitspaket zur digitalen Abbildung von Eisenbahninfrastruktur beschäftigt sich ein Team von Forscher*innen der FH Campus Wien mit einer Simulation von so genannten People Movern.
Klein, autonom und bestellbar
People Mover kennt man normalerweise von Flughäfen oder anderen Orten, wo Menschen über relativ kurze Distanzen auf Schienen transportiert werden sollen. Die kleinen Fahrzeuge sind meist ohne Fahrer*in mit nicht allzu hoher Geschwindigkeit unterwegs. "Es gibt etliche stillgelegte Bahnstrecken in Österreich, die man revitalisieren könnte. Ein Regelbetrieb rechnet sich dort aber nicht. Auf diesen Strecken könnte man mehrere People Mover einsetzen", erklärt Hans Tschürtz vom Kompetenzzentrum Vienna Institute for Safety and Systems Engineering (VISSE), der das Projekt an der FH Campus Wien leitet. "So könnte man die Menschen auch dazu bewegen, vom Auto auf das Schienenfahrzeug umzusteigen."
Konkret geht es darum, einen Simulator zu entwickeln, mit dem sich ein autonomer Fahrbetrieb analysieren lässt. Autonome Schienenfahrzeuge können dabei von Menschen herbeigerufen und ein Fahrziel ausgewählt werden. Die People Mover organisieren sich dann auf der eingleisigen Strecke selbst und ermöglichen einen effizienten Fahrbetrieb. Durchgeführt wird dieser Teil des TARO-Projektes vom Vienna Institute for Safety and Systems Engineering (VISSE), einem Kompetenzzentrum der FH Campus Wien.
Tausende Szenarien durchspielen
"Ein People Mover soll 20 bis 25 Personen fassen. Personen, die mitfahren möchten, könnten den People Mover mittels App oder direkt bei der Station herbeirufen", erklärt Tschürtz. Der People Mover soll nicht schneller als 40 km/h fahren. So lassen sich einerseits größere Sanierungskosten auf der Strecke vermeiden und andererseits wird die Systemsicherheit erhöht. Da sich die Schienenfahrzeuge auf den eingleisigen Strecken in beide Richtungen bewegen, müssen sogenannte Ausweichgleise in die Strecke implementiert werden.
"In unserem Simulator können wir in kürzester Zeit mehrere tausende Szenarien durchspielen. Denn People Mover dürfen klarerweise nicht zusammenstoßen und es darf auch zu keinem 'Dead Lock' kommen, wo sich die Fahrzeuge auf der Strecke gegenüberstehen und nicht mehr weiterkommen, sich also gegenseitig behindern." Mit dem Simulator könne man laut Tschürtz genau analysieren, wie viele Fahrzeuge auf einer Strecke unterwegs sein müssen, wie viele Ausweichmöglichkeiten benötigt werden und wie viele Passagiere man transportieren kann, um einen effizienten Fahrbetrieb sicherstellen zu können. "Dadurch lässt sich feststellen, ob sich das Vorhaben rechnet und Eisenbahnunternehmen können den nächsten Schritt setzen."
Koordinieren und auf Gefahren reagieren
Der Detaillierungsgrad der Simulation ist so hoch, dass beispielsweise auch die Umschaltvorgänge von Weichen sowie die Bremszeiten der Fahrzeuge zeitlich genau nachgebildet werden. Simuliert werden auch die Rufvorgänge und ein eigener Dispatching-Algorithmus, der bereits in einem Vorgängerprojekt entwickelt wurde. Er sorgt dafür, dass die Passagiere am effizientesten an ihr gewünschtes Fahrziel gelangen. Er berechnet die kürzesten Routen, verteilt die Aufträge an die Fahrzeuge und gleicht die Routen so an, dass der Verkehr auf der Strecke möglichst flüssig läuft.
Auf der Strecke würden die People Mover vollautonom unterwegs sein und müssten auf viele unterschiedliche Gefahren reagieren. Deshalb sollen in weiterer Folge auch Objekte auf der Strecke rechtzeitig detektiert werden, wie zum Beispiel ein Wildwechsel auf der Strecke oder Fahrzeuge und andere Straßenverkehrsteilnehmer*innen auf Eisenbahnkreuzungen. Diese stellen die größte Gefahrenquelle dar. Hier kommt es statistisch am häufigsten zu Unfällen, etwa durch Kollisionen mit Straßenfahrzeugen. Um diesen schwerwiegenden Unfällen vorbeugen zu können, sollen sogenannte „Sensor-Domes“ eingesetzt werden, eine Idee die von Studierenden des Masterstudienganges Safety and Systems Engineering entwickelt wurde, den Tschürtz leitet.
Mitarbeit von Studierenden
Studierende der FH Campus Wien sind in das gesamte Projekt eingebunden. "In den Lehrveranstaltungen gibt es dazu etwa Gruppenarbeiten wie die Analyse von Eisenbahnkreuzungen", erzählt Tschürtz. "Es gibt dabei immer wieder Aspekte, die wir gut verwerten können. Die Vielfalt der Ideen unserer Studierenden wollen wir nutzen." Das Forschungsprojekt zur Simulation von People Mover-Systemen auf eingleisigen Bahnstrecken hat im Rahmen des Projektes TARO im Juni 2020 begonnen und soll bis 2023 laufen.
Konkrete Umsetzung geplant
Das Projekt TARO unter Leitung der ÖBB-Holding AG gliedert sich in die drei Themenfelder Digital Twin, Prozesse und Automated Train Operation und beschäftigt sich mit konkreten Lösungen zu u.a. digitalen Abbildung von Eisenbahninfrastruktur und Schienenfahrzeugen, der automatisierten Leerwagendisposition, der digitalen automatischen Kupplung für den Schienengüterverkehr, innovativen Lösungen für den Verschub sowie für die Regionalbahn.
Die Ergebnisse von TARO sollen in konkrete Umsetzungen münden und die Produktivität, Kapazität und Qualität des Systems Bahn erhöhen. Das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) fördert das Projekt mit insgesamt 3,5 Millionen Euro aus dem FTI-Programm "Mobilität der Zukunft", welches von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) abgewickelt wird.