3D-Druck in der Industrie: "Es braucht ein Umdenken"
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Die Corona-Krise hat gezeigt wie verwundbar globale Lieferketten sind. Viele Unternehmen hatten mit Produktionsengpässen und Ersatzteilknappheit zu kämpfen, weil Fabriken von Zulieferern in anderen Teilen der Welt still standen. Einen Ausweg aus dem Dilemma sehen viele im 3D-Druck und additiven Fertigungstechnologien.
"3D-Druck kann zu gesteigerter Krisensicherheit beitragen", sagt auch der 3D-Druck-Experte Arko Steinwender von Fraunhofer Austria. Etwa wenn es um die Ersatzteilversorgung bei kritischen Infrastrukturen oder Produktionsengpässe gehe. Im Bereich der medizinischen Ausrüstung müsse man aber vorsichtig sein. "Um medizinische Produkte fertigen zu dürfen, benötigt man eine Zertifizierung. Das passiert nicht im Handumdrehen", sagt Steinwender. Deshalb sei es während der Corona-Krise hierzulande auch nicht möglich gewesen, freie Kapazitäten etwa zur Herstellung von Beatmungsgeräten zu nutzen.
Enormes Potenzial
Das wirtschaftliche Potenzial additiver Fertigungstechnologien ist jedenfalls enorm. Eine Studie des Finanzdienstleister Ing Diba geht in einem Szenario davon aus, dass additive Fertigungsmethoden bis 2040 50 Prozent der gesamten Produktionswirtschaft ausmachen könnten. Man müsse bei solchen Vorhersagen vorsichtig sein, meint Steinwender. Der Bereich sei in den vergangenen Jahren aber stark gewachsen: "Man kann davon ausgehen, dass sich auch in den nächsten Jahren einiges tun wird."
Noch ist der Anteil der Technologie bescheiden und beträgt laut dem in der Branche hochangesehenen Wohlers Report weniger als ein Prozent. Zum Einsatz kommen additive Fertigungsmethoden heute vor allem beim Bauen von Prototypen, auch in der Ersatzteilfertigung sind sie Thema. Darüber hinaus schrecken viele Unternehmen aber noch vor dem Einsatz der Technologie zurück.
Umdenkprozess
"Unternehmen ersetzen gerne Technologien. Additive Fertigung ist aber keine Substitutionstechnologie", erläutert Steinwender. "Ein Produkt, das ich konventionell fertige, werde ich ohne Anpassungen der Konstruktion oder der Prozesse nur in wenigen Fällen mit additiven Methoden wirtschaftlicher fertigen können." Um die geschäftlichen Potenziale der Technologie erkennen zu können, brauche es ein Umdenken, sagt der Experte.
Es gehe darum, das gesamte Wertschöpfungssystem - von der Produktentwicklung bis zum Vertrieb - in die Rechnung miteinzubeziehen. "Geschäftsfälle gibt es in vielen Bereichen, nicht nur beim Produkt und den Herstellungskosten", sagt Steinwender. Das Potenzial könne sich an unterschiedlichen Stellen zeigen, etwa beim Mehrwert für den Kunden durch Individualisierung der Produkte oder in der Prozessoptimierung und der Reduzierung von Lagerbeständen sowie dem Einsparen von Lieferwegen beim Produzenten.
Digitale Geschäftsmodelle
Additive Fertigungsmethoden seien auch dazu geeignet, digitale Geschäftsmodelle voranzutreiben und die Automatisierung der gesamten Prozesskette in die Wege zu leiten. Start-ups würden sich naturgemäß leichter tun, ihre Strukturen dahingehend auszurichten, meint Steinwender. Als Beispiel nennt er die US-Firma Invisalign, die pro Tag 420.000 individuelle Zahnschienen für Zahnfehlstellungen herstellt. "Keine gleicht der anderen", sagt der Experte: "Manuell ist das gar nicht machbar. Von der Datenaufnahme mittels Intraoralscanner über die Fertigung bis hin zum Versand läuft alles automatisiert ab."
Ein solches Modell sei für Industrieunternehmen zwar nicht 1:1 umsetzbar, aber auch für sie würden sich durch additive Fertigung viele Potenziale ergeben.
Für welche Branchen sind additive Fertigungstechnologien interessant? Potenzial sieht Steinwender überall dort wo Individualisierung und der Leichtbau komplexer Strukturen gefragt seien. Etwa in der Medizintechnik oder in der Luft- und Raumfahrt. Aber auch in der Automobil- oder der Schmuckbranche spiele Individualisierung zunehmend eine Rolle. Anwendungsfälle gebe es auch im Maschinenbau und der Baubranche. Davon abgesehen gebe es quer durch produzierende Unternehmen Potenziale: "Es gibt viele Bereiche, in denen additive Fertigung wesentliche Mehrwerte und Vorteile bringen kann", sagt Steinwender.
"Mit der Technologie beschäftigen"
Worauf aber sollen Unternehmen achten, die additive Fertigungstechnologien einsetzen wollen? Steinwender empfiehlt ihnen, sich zunächst mit der Technologie zu beschäftigen. Dazu genüge es häufig, einen günstigen 3D-Drucker anzuschaffen und sich intensiv damit auseinanderzusetzen. Mit diesem sei es zwar nicht immer möglich, auch Serienteile zu produzieren, jedoch könne er maßgeblich bei den ersten Schritten des "additiven Denkens" unterstützen.
Wichtig sei, im Unternehmen ein Kernteam zu bilden, das Anwendungsfelder ausfindig mache und anschließend in Workshops Ideen entwickle und sie den einzelnen Bereichen - vom Prototyping, über den Werkzeugbau, der Ersatzteil- und Serienproduktion bis hin zu innovativen Produkten, die für die Zukunft relevant sein können - zuordnet und sich über die Implementierung der Prozesse Gedanken macht. Die Erfahrung aus Projekten zeige auch, dass die Bewusstseinsbildung in Unternehmen einen wichtigen Faktor darstelle. Darüber hinaus sollte der konstanten Umsetzung mehr Bedeutung beigemessen werden als der Erwartung an schnelle Ergebnisse. Steinwender: "Diese Schritte brauchen Zeit."
Zu Chancen und Herausforderungen additiver Fertigungsmethoden wird Arko Steinwender auch beim Austrian 3D-Printing Forum sprechen, das am 22.Oktober im Wiener Tech Gate und auch virtuell stattfindet.
Disclaimer: Dieser Artikel entstand im Zuge einer Kooperation mit Succus Wirtschaftsforen.
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