Wie trifft der Mensch finanzielle Entscheidungen?
Wie trifft der Mensch finanzielle Entscheidungen?
© Marc Dietrich Fotolia

Bei Finanzgeschäften ist zu viel Emotion im Spiel

"Bei Finanzgeschäften ist zu viel Emotion im Spiel"

Wer kennt die Bilder nicht? Menschenmassen stürmen einen Elektronikmarkt, weil dieser in einem Sonderausverkauf mit scheinbar unschlagbaren Angeboten wirbt. Bekommt der Käufer im Geschäft dann noch den Ratenkredit nachgeworfen, gibt es für die meisten kein Halten mehr - unabhängig davon, ob sich der Kunde den neuen Fernseher um 2000 Euro überhaupt leisten kann oder tatsächlich ein neues Gerät benötigt.

Wie solche Kauf- und letztlich auch Finanzentscheidungen getätigt werden und wie man Menschen in solchen Situationen vor sich selbst schützen kann, versucht die von ING zusammen mit Microsoft, Dell EMC, Deloitte, Dimension Data und dem Centre for Economic Policy Research initiierte Think Forward Initiative zu ergründen. Im Rahmen des alljährlichen Summits zur Initiative wurden nun in München erste Ergebnisse, aber auch Apps und Projekte präsentiert.

Wie trifft man Finanzentscheidungen?

"90 Prozent des menschlichen Handelns passiert automatisiert ohne groß nachzudenken. Um finanzielle Entscheidungen besser verstehen zu können, muss man zunächst herausfinden, wo und wann dieser Prozess beginnt und welche Barrieren helfen können, um unvernünftige Entscheidungen wie am Black Friday zu verhindern", sagte Sille Krukow, die sich mit ihrem gleichnamigen Beratungsunternehmen auf verhaltensbasierte Design-Prozesse spezialisiert hat.

"Bankensprache ist oft zu komplex, die Langzeit-Auswirkung einer finanziellen Entscheidung zudem nur schwer begreifbar. Die Finanzbranche muss also versuchen, das in eine Sprache zu übersetzen, die der Kunde versteht - etwa durch visuelle Darstellungen", so Krukow. Das fehlende Feedback - etwa bei Kreditkartenzahlungen - sei ebenfalls ein Problem. "Früher griff man in die Geldbörse und sah sofort, ob man noch Scheine und Münzen hat. Heute zahle ich per Karte und bekomme aber null Feedback, was mein Kontostand ist bzw. was die Konsequenz aus dieser Zahlung ist. Da müsste man ansetzen", erklärt Krukow.

Bargeldloses Bezahlen

"Je mehr es in Richtung bargeldloses Bezahlen geht, desto mehr brauchen Menschen Werkzeuge, mit dem sie das eigene Budget und die Finanzen kontrollieren können", sagt auch Carsten Brzeski, Österreich-Chefvolkswirt der ING, zur futurezone. In Österreich und Deutschland sei man von einer bargeldlosen Gesellschaft zwar noch weit entfernt - aktuell werden immer noch 80 Prozent der Zahlungen bar getätigt. Wenn man in Zukunft aber mit nur einem Fingerabdruck oder einem kurzen Drüberwischen auf dem Handy bezahlen könne, so wie bei Amazon bereits mit einem Klick möglich, gehe auch das Geldausgeben um einiges leichter von der Hand, ist Brzeski überzeugt.

Dass das digitale Hantieren mit Geld aber auch Vorteile haben kann, zeige sich an der Art und Weise, wie Kunden ihr Online-Banking nutzen würden. "Während Deutsche und Österreicher im Schnitt etwa einmal im Monat ihre Bankfiliale aufsuchen - was europaweit ohnehin ein hoher Wert ist - steigen unsere User mehrmals täglich in ihren Online-Account ein, nur um ihren Kontostand zu prüfen. In Wahrheit ist genau das ein finanzielles Kontrollinstrument, das schon jetzt existiert und auch genutzt wird, um einen Überblick über die eigenen Finanzen zu bewahren", erklärt Brzeski.

Twitter als Kreditbremse

Die verschiedenen Projektteams wollen im Rahmen der Initiative darüber hinausgehen. So wird etwa daran geforscht, wie eine Auswertung des eigenen Twitter- oder Facebook-Profils in die Bewertung von finanziellen Entscheidungen einfließen kann. "Bei Finanzgeschäften ist oft zu viel Emotion im Spiel, eben weil unsere Entscheidungsfindung zu einem Gutteil irrational und emotional geleitet ist", sagt Kristin Glass. Sie arbeitet mit Rich Colbaug an einem digitalen Assistenten, der Käufer vor einer Investition ein kurzes Feedback geben soll.

Will man etwa ein Sofa oder ein Auto kaufen, analysiert das Plug-in oder eine entsprechende App, ob genügend Geld am Konto ist, aber auch, ob die Entscheidung emotional aufgewühlt getroffen wurde. Dafür werden die eigenen Twitter- und Facebook-Statusmeldungen ausgewertet. Forschern zufolge können Algorithmen schon relativ gut von solchen Postings abstrahieren, ob eine Person gerade eine emotional schwierige Phase durchlebt, glücklich oder frustriert ist. Ist der ermittelte Frustrations-Level zu hoch, warnt die Software den User vor einem "Frustkauf".

Gruppenzwang

Ein anderes Projekt macht sich den Umstand zunutze, das finanzielle Entscheidungen, die mit einem Partner getätigt wurden, meist vernünftiger ausfallen, als wenn eine Person allein entscheidet. Die Entwickler wollen diesen Prozess mit Visualisierungstools und einer App unterstützen, welche beide Partner in die Finanzplanung aktiv miteinbezieht.

Ein weiterer Ansatz ist, dass der Druck der von Freunden und Bekannten in einer Gruppe ausgeht, positiv für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Finanzen genutzt werden kann. "Wenn alle meine Freunde monatlich Geld auf die Seite legen und darüber reden, bringt das auch mich unter Zugzwang", erklärt Marieke Blom.

Emotion im Weg

"Natürlich gibt es eine gewisse Korrelation zwischen Einkommen und Finanzkompetenz. Wenn ich Monat für Monat schauen muss, wie ich über die Runden komme, wirkt der Anreiz auf den ersten Blick geringer, eine langfristige Finanzplanung anzugehen", sagt auch Volkswirt Carsten Brzeski. Aber auch nur zehn Euro pro Monat auf die Seite zu legen, könne auf lange Frist eine substanzielle Summe ausmachen. "Zu denken, dass das ohnehin nichts bringt - da sind wir dann wieder bei einer emotionalen Herangehensweise, die bei derartigen Finanzentscheidungen eigentlich nicht zielführend ist", ist Brzeski überzeugt.

Disclaimer: Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation mit der ING. Die redaktionelle Verantwortung obliegt alleine der futurezone-Redaktion.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

mehr lesen
Martin Jan Stepanek

Kommentare