Industrie 4.0: Jedes Jahr fünf Prozent mehr Produktivität
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In Kooperation mit der Plattform Industrie 4.0 hat Austrian Standards am Mittwoch, 14. März 2018, den zweiten Fachkongress Industrie 4.0 in Wien veranstaltet. In einem ganztägigen Vortrags- und Diskussionsprogramm ging es darum, Einblicke in erfolgreiche Digitalisierungsstrategien zu erhalten, über die wichtige Rolle von Standards und Normen im Industrie-Kontext zu erfahren und einen Ausblick auf zukünftige Produktionsprozesse und sogar auf die Entwicklung der gesamten Menschheit zu ergattern. "Wir möchten Industrie 4.0 für Sie erlebbar machen", meinte Austrian-Standards-Direktorin Elisabeth Stampfl-Blaha zum Auftakt.
Die digitale Lage der Nation
Der Begriff " Digitalisierung" kommt im Programm der aktuellen Bundesregierung insgesamt 89 Mal vor. Sektionschef Matthias Tschirf schilderte in Vertretung von Digitalministerin Margarete Schramböck, die aktuelle Lage Österreichs auf dem Gebiet und die anvisierten Ziele der Politik. In internationalen Ranglisten zur digitalen Ökonomie (DESI- und NRI-Index) liege Österreich derzeit im Mittelfeld. "Wir haben in vielen Bereichen Aufholbedarf", meint Tschirf. Wo das Land unbedingt rasche Verbesserungen benötige, sei bei der Verfügbarkeit neuer Technologien (z.B. 5G), bei E-Commerce, E-Business und der Arbeitsmarktregulierung.
Besonders schlecht schneide Österreich bei der Schnelligkeit von Firmengründungen ab. Die Regierung hat sich in diesen Punkten einiges vorgenommen. Unter anderem sollen Behördengänge künftig einfach am Smartphone abzuwickeln sein, die Rechtssicherheit bei Digitalisierungsthemen soll gestärkt werden und eine umfassende Aus- und Weiterbildungsstrategie ist geplant. "Digitalisierung muss man strategisch erfassen", ist überzeugt. "Wenn wir nicht gestalten, werden es andere tun."
Interoperabilität
Welch maßgebliche Rolle die Verwendung von Standards und Normen im Industrie-4.0-Kontext hat, darüber sprachen am Fachkongress unter anderem Yves Leboucher vom deutschen Standardization Council, Markus Weber von der schweizen Plattform Industrie 2025, Richard Valenta vom österreichischen Verband für Elektrotechnik und Karl Grün von Austrian Standards. "Die Normung hält öfter mit der Entwicklung nicht Schritt", gibt Leboucher zu bedenken. Dennoch sei es aus Gründen der internationalen Vermarktbarkeit und Interoperabilität von Produkten notwendig, Standards und Normen zu verwenden. International werde intensiv an der Harmonisierung der verschiedenen Standardisierungs-Bemühungen in unterschiedlichen Weltregionen gearbeitet.
Um es österreichischen Unternehmen einfacher zu machen, sich im Dschungel der Normen zurechtzufinden, hat Austrian Standards den Normungskompass entwickelt, mit einem
Webdienst, der stets aktuell gehalten wird. Der Normungskompass wird auch in der Schweiz von Industrie 2025 angeboten.
Karl Grün von Austrian Standards ermutigt Unternehmen, die Chancen der Digitalisierung mit Hilfe von Standards wahrzunehmen: "Industrie 4.0 wird oftmals als bedrohliche Wolke wahrgenommen. Vielleicht bringt sie aber einen warmen Frühlingsregen und lässt die Ernste sprießen."
Losgröße eins
Dass das Bild der sprießenden Ernte auf reale Industrie-4.0-Projekte absolut zutrifft, davon zeugten beim Fachkongress die Best-Practice-Beispiele zahlreicher Unternehmen. Roland Henn von Müller Martini, dem Weltmarktführer für Maschinen zur Weiterverarbeitung von Druckprodukten, schildert etwa den schmerzhaften, aber erfolgreichen Transformationsprozess seines Unternehmens. Dank massiver Investments des Eigentümers sei es aber gelungen, die gesamte Geschäftsstrategie umzustellen. Was man Kunden heute biete, seien hochvernetzte Maschinen, die dank Standards einfach mit bestehenden Systemen zu verbinden sind.
Die Anforderung an die Produktion ist, wie bei vielen anderen Industrie-4.0-Lösungen: Losgröße eins. Damit gemeint sind hochgradig individualisierte Produkte, von denen jeweils nur ein Exemplar gefertigt wird. Henn bringt hier etwa das Beispiel eines Fotobuchs, das online bestellt wird. Auch der Book-on-Demand-Markt erfordere derartige Produktionsprozesse. "Für Arbeitnehmer ist das vielleicht nicht so positiv", meint Henn, denn ein Job-Abbau sei so unvermeidlich, "aber so kleine Losgrößen sind anders wirtschaftlich nicht mehr herstellbar."
Best Practice
Best-Practice-Beispiele wurden am Fachkongress auch von einigen anderen Unternehmen präsentiert. Michael Kiel von EVVA präsentierte etwa die NFC-Zugangslösung AirKey und dahinterliegende Digitalisierungsprojekte in Produktion und Verkauf des Wiener Unternehmens. Rockwell Automation, eines der größten Automatisierungstechnik-Unternehmen der Welt aus den USA, zeigte, wie die eigene Produktion durch Digitalisierung effizienter gemacht wurde. Siegfried Klug von Rockwell Automation: "Wir haben dadurch eine Produktivitätssteigerung von vier bis fünf Prozent - jedes Jahr."
Roman Froschauer von der FH Oberösterreich gab einen Einblick in das Center for Smart Manufacturing am FH-Standort Wels. Studenten und Partnerunternehmen werde darin ein "Spielplatz" zur Erprobung innovativer Lösungen, etwa kollaborativer Roboter, zur Verfügung gestellt. Froschauer betont, dass Robotik nicht unbedingt viel Kosten muss. "Wir haben beim Audi Autonomous Driving Cup mitgemacht und sind mit einfachsten Mitteln unter die Top Ten gekommen. Auch für KMUs sind autonome Roboter leistbar", ist der FH-Professor überzeugt. Verbesserungspotenzial sieht er bei der Standardisierung des Datenaustauschs: "Derzeit macht das noch jeder Hersteller anders."
Auch am Nachmittag wurden beim Fachkongress zahlreiche Beispiele für die erfolgreiche Umsetzung von Industrie-4.0-Projekten präsentiert, da allerdings in zwei parallelen Praxis-Sessions. In Session eins ging es um Dinge wie Predictive Maintenance, Künstliche Intelligenz, 3D-Druck und Videoanalyse. In Session zwei gab es zeitgleich Vorträge und Diskussionsrunden zu Datensicherheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Den Vortrag über 3D-Druck in der Praxissession eins ergänzte eine Live-Demonstration. Dabei formte ein Roboterarm ein Objekt aus Ton. Ähnliches, aber mit Beton, soll künftig die Konstruktion komplexer Bauteile in kürzester Zeit ermöglichen.
Zukunft der Menschheit
Zum Abschluss des Fachkongresses gaben Regisseur Markus Mooslechner und der Wirtschaftsinformatiker Fabian Schneider einen Ausblick auf Menschheit der Zukunft. Mooslechner zufolge wird der Mensch durch die immer weitreichendere Verschmelzung mit Technologie zum "Super Sapiens". Eine gleichnamige Doku des Regisseurs ist derzeit auf Festivaltour und soll in rund einem halben Jahr in die Kinos kommen. Eine Szene aus dem Film habe ihn selbst besonders berührt, erzählt der Regisseur.
Darin wird ein Freiwilliger mit einer Elektrodenhaube ausgestattet, die bestimmte Hirnregionen gezielt mit Mikroströmen stimuliert. Damit wird es ihm möglich, sich intensiver und konzentrierter als je zuvor mit visuellen Inhalten - in dem Fall einer Spiele-App am Smartphone - auseinanderzusetzen. Dadurch konnte er mehrere neue Bestwerte in dem Spiel erreichen. Mooslechner ist der Überzeugung, dass ähnliche Dinge in Zukunft alltäglich werden: "Es wird einen neuen Menschen geben."
Einer dieser "neuen Menschen" soll Fabian Schneider sein. Er hat mehrere künstliche Implantate im Körper, um seine Sinne und Fähigkeiten zu erweitern. Ein RFID-Chip in der Hand dient etwa zum Freischalten seines Smartphones. Ein Magnet, der in einer Fingerkuppe steckt, erlaubt es ihm, elektronische Geräte zu spüren. "Jeder Transformator erzeugt ein elektromagnetisches Feld. Ich spüre das im Finger", meint Schneider. Dass Mensch und Technik immer mehr zusammenwachsen sieht er als logischen evolutionären Schritt. Dass die Vorstellung vielen Menschen Angst macht, kann Schneider nachvollziehen, aber: "Jedes Werkzeug kann für etwas Positives oder etwas Negatives verwendet werden. Ich glaube, das Positive überwiegt extrem."
Die futurezone war Medienpartner des Fachkongress Industrie 4.0 von Austrian Standards.
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