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Interview

Start-ups: "Wien ist kein Finanzmarkt"

futurezone: Sie haben den ersten Fördercall ihrer Geschäftsführung unter das Motto Kooperation gestellt und wollen die Zusammenarbeit zwischen der klassischen Wirtschaft und der Kreativwirtschaft fördern. Wo sehen Sie Defizite?
Bettina Leidl: Viele Unternehmen der Kreativwirtschaft können nur nachhaltig wirtschaften, wenn sie Zugang zu Produktion, Vertrieb und somit zum Markt haben. Wir werden mit unserem focus-Call 2012 Kooperationen zwischen Kreativunternehmen und Unternehmen der klassischen Wirtschaft fördern und das Bewusstsein für die Vorteile einer solchen Zusammenarbeit schaffen. Durch Kooperationen entsteht ein Mehrwert für beide Seiten, etwa verbesserte Wettbewerbsfähigkeit. An diesem Call können alle Kreativbranchen teilnehmen. Erstmals werden Vermittler und Door-Opener eingesetzt, die den besten Projektideen zur Umsetzung verhelfen und diese begleiten.

Wie könnte eine solche Zusammenarbeit konkret aussehen?
Wir haben etwa das Serious-Game „Ludwig“ von Ovos gefördert, ein Physik-Lernspiel für die 5. bis 8. Schulstufe. Partner bereits während der Entwicklung des Projektes waren neben Fördereinrichtungen der Klima- und Energiefonds und der Verbund. Großes Potenzial sehe ich weiters in der Kooperation von Serious Games-Entwicklern mit dem Ausbildungs- und Gesundheitsbereich.

Wie beurteilen Sie die Situation von Start-ups in Wien? Wo sehen Sie Nachholbedarf?
Es gibt eine spannende Start-up-Szene in Wien, im Speziellen hat die lokale Gaming-Szene einen sehr guten internationalen Ruf. Ziel von departure ist es, diese Firmen in der Stadt zu halten. Dafür müssen wir wissen, wo es Schwierigkeiten gibt, um gezielt reagieren oder vernetzen zu können.

Die Zahl der Risikokapitalgeber oder Business-Angel ist im internationalen Vergleich bescheiden. Woran liegt das?
Wien ist - anders als London, Hong Kong oder New York - kein Finanzmarkt, dadurch ist das Investment in Start-ups weniger verbreitet. Die Anzahl der potenziellen Investoren, die in Start-ups investieren, ist gering. Szene-Netzwerke sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Start-ups und in Wien nicht entsprechend ausgeprägt. Durch die Wirtschafts- und Bankenkrise hat sich aber das Investitionsverhalten geändert: Das Investment in oder Beteiligungen an Start-ups ist attraktiver geworden als beispielsweise die Geldanlage in Aktien.

Berlin und Stockholm, wo die Finanzindustrie auch keine große Rolle spielt, haben sich den Ruf von Start-up-Hauptstädten in Europa erarbeitet. Was kann Wien von diesen Städten lernen?
In Österreich ist eine Unternehmensgründung mit hohen Kosten und hohem bürokratischen und zeitlichen Aufwand verbunden. Die Entstehung beispielsweise des Tech-Cluster in Berlin oder eine andere Grundeinstellungen von Investoren, in junge Unternehmen nicht nur bei Erwartung eines schnell erreichbaren positiven Cash Flows zu investieren, kann die Start-up-Szene positiv beeinflussen. Ebenso das städtische und persönliche Umfeld: Wer unterstützt bei der Firmengründung? Gibt es Leute im eigenen Umfeld, die Erfahrungen damit gemacht haben? Oder ist man ganz auf sich alleine gestellt?

In Wiener Hackerspaces und Co-Working-Spaces wie dem  Metalab, Sektor 5 und The Hub arbeiten Internet-Unternehmen mit Hackern auf alternative Weise zusammen. Wie wichtig sind solche Orte für die Kreativwirtschaft?
Netzwerke und Clusterbildung sind für die Kreativszene sehr wichtig, denn die Kreativwirtschaft arbeitet in ihren Netzwerken und der Austausch untereinander ist bei der Entwicklung und beim Aufsetzen von Projekten von großer Bedeutung. departure unterstützt diese Orte ebenso wie Netzwerkinitiativen wie zum Beispiel die Startup Week (umbenannt in Pioneers Festival, Anm.). Daher wird departure das Bewusstsein für den Erhalt und den Ausbau der Kreativcluster in der Stadt vorantreiben.

Viele Start-ups suchen erst gar nicht um Förderungen an, weil Ihnen der bürokratische Aufwand zu hoch ist. Wie könnte der Zugang zu Förderstellen niederschwelliger gestaltet werden? Ist das überhaupt sinnvoll?
Für departure ist es wesentlich zu analysieren, welche Form der Unterstützung in der jeweiligen Branche benötigt wird. Für Unternehmensgründer gibt es bei departure die Förderschiene departure pioneer. departure fördert Projekte und Produkte nicht zu 100 Prozent sondern mit maximal 60 Prozent. Wenn ich also 60.000 Euro bekomme, muss ich noch weitere 40.000 Euro aufbringen. Daher ist es ganz entscheidend, das eigene Geschäftsmodell klar zu konzipieren und sich gerade als junges Unternehmen die finanziellen Konsequenzen bewusst zu machen. Die von manchen als zu komplex empfundenen Einreichunterlagen sehe ich auch als Checkliste: Ist mein Projekt so fundiert, dass es auch umgesetzt werden kann? Die Hürden einer Einreichung haben auch den Sinn zu überlegen, ob man das Risiko eingehen kann.

departure will auch im Bereich EU-Förderungen vermitteln. Welche Möglichkeiten bieten sich dabei für Wiener Start-ups?
Zurzeit stehen vor allem die EU Struktur- und Regionalfonds für die Kreativwirtschaft zur Verfügung. Wir werden für die Periode 2014 bis 2020 verstärkt den Zugang zu diesen Fonds für die Wiener Kreativwirtschaft ermöglichen.

Was halten Sie eigentlich von Crowd-Funding-Initativen (Schwarmfinanzierung), wie sie auch in Österreich zunehmend zum Einsatz kommen?
Wenn man das richtige Projekt hat, ist Crowdfunding eine interessante Form der Finanzierung. Es funktioniert allerdings nicht ohne ein gutes Netzwerk, das die notwendige Multiplikatorwirkung erzeugt. Weiters tragen das Alleinstellungsmerkmal und die Identifikationswirkung eines Projektes maßgeblich zum Finanzierungserfolgt bei. Ein weiteres Stichwort in diesem Zusammenhang ist Community-Building, wo das Wiener Gartenbau Kino als Beispiel zu nennen ist: Hier wird Crowdfunding eingesetzt, um die Renovierung zu finanzieren. Vielen Leuten ist es einfach wichtig, dass das Kino erhalten bleibt. Ich finde, dass Crowdfunding-Projekte mit einem gesellschaftspolitischen Anliegen einen interessanten Ansatz darstellen und gute Aussichten auf Erfolg haben.

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Zur Person
Die Kunst- und Kulturmanagerin Bettina Leidl folgte im Dezember dem nunmehrigen MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein an der Spitze der Wiener Kreativwirtschaftsagentur departure nach. Davor war sie Geschäftsführerin der Kunsthalle Wien und Leiter der Kunst im öffentlichen Raum GmbH in Wien.

departure Die 2003 gegründete Kreativwirtschaftsagentur der Stadt Wien will innovative Produkte und Dienstleistungen ermöglichen und unterstützen. Bislang wurden an 356 Projekte 22,4 Millionen Euro vergeben.

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Patrick Dax

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Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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