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TALENTHOUSE

"Alles dreht sich um Kollaboration"

Seit Ende Oktober 2009 gibt es mit Talenthouse.com eine internationale Online-Plattform für die Kreativszene, die dort Werke aus den Bereichen Musik, Film, Design, Fotografie und Mode präsentieren kann. Sogenannte "Creative Invites" sind das Kernstück des Modells. Aktuelle Ausschreibungen umfassen etwa die Gestaltung eines Plakats für die Filmemacherin Tiffany Shlain, das Design eines Lautsprechers für die Firma Kanto, sowie die Gestaltung eines neuen Outfits für Florence Welch, der Bandleaderin von Florence & the Machine.

Im Hauptquartier in Palo Alto arbeiten derzeit 25 Leute an dem Projekt, in der vor wenigen Wochen in Los Angeles eröffneten Zweigstelle zwölf, drei Mitarbeiter sind jeweils in London und New York beschäftigt. Die Programmierung der Website erfolgt mit insgesamt 12 Mitarbeitern in Linz, Oberösterreich. Bisher war es medial allerdings eher ruhig um die Plattform. Im Gespräch mit der FUTUREZONE erklärt Scharf warum - und wie sich das im nächsten Jahr ändern könnte.

FUTUREZONE: Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung von Talenthouse im ersten Jahr?

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Scharf: Es ist viel passiert in diesem Jahr. Wir haben ingesamt 150 Projekte durchgeführt. Währenddessen haben wir die Plattform ständig verbessert, optimiert, aber auch Dinge ausprobiert und verworfen. Wir haben uns dabei sehr still verhalten, weil wir sehen wollten, wie das Portal von selbst wächst. Ich wollte etwas gestalten, was von sich aus viral ist, ohne dass irgendwer Hand anlegt. Bei Jajah ging es erst nach einem Presseartikel los, in dem wir als der "Skype-Killer" bezeichnet wurden. Das haben wir bei Talenthouse bewusst vermieden.

FUTUREZONE: Es sind allerdings auch immer wieder bekannte Namen dabei. Wie werden bei Talenthouse die Projekte ausgewählt?

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Scharf: Wir schauen uns die Projekte immer einzeln an. Derzeit kommen wir etwa auf fünf Millionen Unique Visitors pro Monat. Bei dem Projekt mit Stan Lee, dem für seine 87 Jahre noch recht umtriebigen Comiczeichner, haben ingesamt 32 Millionen Menschen als Teilnehmer fungiert, in dem sie für Künstler über Facebook und Twitter abgestimmt haben. Lee hat eine Stiftung gegründet, um seinen Nachlass zu regeln. Der Sieger des Projekts, AJ Marti aus der Dominikanischen Republik, wurde in New York bei der Comic-Konferenz ausgezeichnet.

Für Marti ist das ein richtiger Karriereschritt, der nachhaltig sein Einkommen beeinflusst, der könnte nicht glücklicher sein. Dass er sich eine halben Tag hinsetzt und ein Logo entwirft, erscheint ihm ok. Währenddessen herrscht in den gesättigteren Ländern eine andere Grundstimmung. Da lehnen sich alle zurück in ihrer Couch und machen ohne 500 Euro pro Stunde gar nichts.

FUTUREZONE: Europa ist Ihrer Meinung nach also kein Zukunftsmarkt für kreative Talente?

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Scharf: Indien und China sind wichtige Zukunfts- und Wachstumsmärkte. Für uns hat sich in Indien ein Zugang mit einem strategischem Partner ergeben, der dort zu den größten Unternehmen zählt und der 200 Millionen Menschen als Mobilfunk- und Internet-Kunden hat. Alle Inder und Chinesen packen für den "Gott des Comics" ihre Koffer und setzen sich hin und zeichnen. Deutsche Professoren hingegen schreiben zurück, dass das unbezahlte Arbeit ist und jeder 2.000 Euro kriegen müsste, der etwas einschickt. Die verstehen den Gedanken dahinter nicht.

Es gibt aber Künstler, die ohne uns international keine Chance haben. Die Gewinnerin des Florence & the Machine-Projekts ist etwa eine Volksschullehrerin, die aus einer persischen Familie stammt und in England aufgewachsen ist und ihr Leben lang Modedesignerin werden wollte. Jetzt hat sie von einer der wichtigsten Modeschöpferin der Gegenwart ein Angebot für einen Job bekommen. Es kann also tatsächlich Leben verändern.

FUTUREZONE: Das heißt Österreich oder Deutschland sind derzeit keine interessanten Märkte für Talenthouse?

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Scharf: Man muss nach Mumbai und Shanghai fahren, um zu sehen, wohin sich die Welt dreht. Die Wachstumsraten von Internet- und Handy-Nutzern sind enorm. Die wichtigsten Märkte sind derzeit Indien und China gefolgt von Brasilien und Russland.

Deutschland und Frankreich hat man halt auch im Portfolio, aber da gewinnt man keinen strategischen Blumentopf mehr damit. Österreich ist Internet-mäßig ein ganz mickriger Markt und schwimmt mit Deutschland mit.

Die indische Website von Talenthouse wird nach sechs Monaten genauso viel Traffic haben wie die internationale Talenthouse-Website nach eineinhalb Jahren.

FUTUREZONE: Wird es in Folge auch regionalisierte Inhalte geben?

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Scharf: Derzeit kann man noch von überall an den Projekten teilnehmen, man bekommt allerdings je nach Spracheinstellung im Browser und IP-Adresse den Inhalt in der richtigen Sprache angezeigt. Für die Zukunft planen wir aber auch regionalisierte Inhalte.

FUTUREZONE: Wer entscheidet bei den Projekten, wer gewinnt?

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Scharf: Der Host entscheidet, wer gewinnt. Wir haben pro Projekt zwischen 500 und 20.000 Einsendungen. Die werden auf der Website ihrer Popularität entsprechend angezeigt. Das Ranking entsteht durch den Traffic auf Social Networks, einer Mischung aus Votings und Besuchern. Der Host sieht sich normalerweise die beliebtesten an und entscheidet dann, was ihm am besten gefällt.

Jeder Künstler, der mitmacht, hat während der gesamten acht Wochen alllerdings 80-prozentige Zuwächse bei seinen Facebook-Freunden und Twitter-Followern. Es geht daher nicht nur ums Gewinnen.

FUTUREZONE: Welche Kreativbranche ist auf Talenthouse derzeit am stärksten vertreten?

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Scharf: Derzeit dominiert Musik, allerdings wollen wir eine Vielfalt schaffen. Wir versuchen allerdings zu vermeiden, dass es einseitig wird. Die ganze Kunst ist sehr kollaborativ und wir glauben, dass das Internet bald in eine dritte Phase eingehen wird.

Die erste Phase war die der Information, die zweite Phase ist die der Kommunikation. Wir glauben, dass jetzt allerdings langsam die nächste Phase heranbricht und da dreht sich alles um Kollaboration.

Mit den neuen Geräten im Mobile-Bereich ist das Netz so omnipräsent in unserer Welt, dass es jetzt möglich wird, etwas gemeinsam zu tun. Nicht nur Inhalte reinzustellen, die abrufbar sind, sondern etwa an einer Musikproduktion gemeinsam zu arbeiten, an einem Script oder Design.

Wir wollen künftig mehr Projekte machen, bei denen es nicht nur darum geht, dass man einen Gewinner hat, sondern dass es Leute gibt, die zusammen etwas kreieren. Das wird eine spannende Lernkurve in den nächsten Jahren.

FUTUREZONE: Was wird sich in naher Zukunft im Netz noch alles verändern?

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Scharf: In Zukunft dreht sich alles darum, wieviel konstantes Online-Publikum du hast. Die Zahl der Facebook-Freunde wird für Künstler wichtiger sein als die Zahl der verkauften Singles. Früher hat man fünf Millionen CDs verkauft, ob das jetzt 10.000 oder 15.000 sind, spielt keine Rolle mehr. Eine hohe Zahl an Facebook-Freunden und Twitter-Followern legt sich automatisch in Werbeeinnahmen um.

FUTUREZONE: Gilt dieses Konzept nicht nur für Superstars?

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Scharf:: Nein, der kleine Indie-Musiker hat auf regionaler Ebene die gleichen Möglichkeiten, nur gibt es derzeit noch keine Plattform, die das ermöglicht. Bei den Großen gibt es Agenturen, die die entsprechenden Verbindungen herstellen. Für die Blues-Band aus St. Pölten gibt es das noch nicht, aber es könnte eine technische Plattform geben, die diesen Job zum Nullkostentarif übernimmt. Dann kann etwa die lokale Bank Künstler unterstützen.

Zuerst fokussieren wir uns bei Talenthouse aber auf die großen Projekte. Wir versuchen durch Partnerschaften einen konstanten Strom an großen Projekten zu erzeugen. Wir sind derzeit in Verhandlungen mit den größten Rockbands und Hollywood-Stars der Welt. Die Plattform kann aus technischer Sicht eine Million Invites machen. Es fängt gerade erst an...

(Barbara Wimmer)

Roman Scharf ist seit März 2009 bei der von Amos Pizzey gegründeten Plattform dabei - und zwar als CEO und Investor. Er streckte das Kapital für die ersten eineinhalb Jahre Betrieb vor. Seit dem Sommer gibt es weitere Investoren.

Davor fungierte Scharf als Mitbegründer von Jajah, einem IP-Telefonie-Provider für webbasierte Telefonie, der für 145 Millionen Euro von der Telefonica übernommen wurde.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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