Besuch im kassenlosen Supermarkt: So gut funktioniert Amazon Go
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Es ist ein seltsames Gefühl: Man betritt ein Geschäft, nimmt etwas und geht, scheinbar ohne zu bezahlen. Erst ein paar Minuten später trudelt die Rechnung per Mail ein. Dort ist alles aufgelistet, was man genommen hat, der Geldbetrag wird vollautomatisch durch eine vorab gewählte Zahlungsmethode abgebucht.
Genau das ist in den USA bereits Realität: Anfang vergangenen Jahres hat Amazon seinen ersten kassalosen Supermarkt in seiner Heimatstadt Seattle eröffnet. Mittlerweile sind es bereits 13 Standorte in den USA, ein 14. wird demnächst dazukommen. Amazon plant auch, das Konzept auszuweiten. Bis 2021 will der Online-Händler 3000 Stores eröffnen.
Wir haben zwei Geschäfte in San Francisco besucht und uns ein Bild gemacht, wie Amazon Go funktioniert.
In der Praxis
Die Nutzung des kassenlosen Supermarktes ist sehr einfach: Wer einkaufen gehen will, muss zuerst die entsprechende Amazon-Go-App herunterladen. Einmal installiert, meldet man sich dort mit seinem Amazon-Konto an. In welchem Land das Konto erstellt wurde, spielt dabei keine Rolle, man kann jedes Amazon-Konto mit Go verknüpfen.
Der Store selbst ist mit einer Zugangsschranke versehen, ähnlich wie man sie auf Flughäfen kennt, bevor man den Abflugbereich betritt. Die "Eintrittskarte" ist in diesem Fall ein QR-Code, den die Amazon-Go-App anzeigt.
Scannt man den Code, öffnet sich die Schranke und man kann das Geschäft betreten. Im ersten Moment kann man den Amazon-Supermarkt kaum von einem gewöhnlichen Geschäft unterscheiden. Die Regale sind gefüllt mit allerlei Lebensmittel und Produkten des täglichen Bedarfs.
Sortiment
Die Stores befinden sich jeweils in den innerstädtischen Geschäftsvierteln, das spiegelt sich auch in dem Angebot wider. Jenes ist auf Büroarbeiter ausgerichtet, die sich schnell in ihrer Mittagspause etwas zu essen holen. Im Angebot dominieren also Fertiggerichte wie Sandwiches, Salate sowie Getränke und Süßes. Im Eingangsbereich befindet sich außerdem ein Bereich, in dem man die Speisen direkt essen kann.
Gleichzeitig finden sich im Sortiment auch einige Haushalts- und Hygieneartikel. Die Einrichtung der Geschäfte ist minimalistisch und modern.
Auch wenn das Geschäft ohne Kassen auskommt, kommt es nicht ohne Personal aus. So steht am Eingang ein Mitarbeiter, der die Schleuse überwacht (und dabei freundlich grüßt). Außerdem müssen Regale händisch befüllt, sortiert und geputzt werden.
Totale Überwachung
Spannend ist der Blick an die Decke der Amazon-Supermärkte. Dort sieht man dutzende Kameras, die das Herzstück des Funktionsprinzips darstellen. Betritt man das Geschäft, verknüpft das System den per QR-Code gescannten Account mit dem eintretenden Menschen. Anschließend wird jede Bewegung überwacht. Nimmt man ein Produkt aus dem Regal, wird das registriert und der Rechnung hinzugefügt. Stellt man es zurück, wird es wieder gestrichen und nicht verrechnet.
Das Funktionsprinzip führt auch zu einem etwas kuriosen Hinweis in der App: Man soll anderen Kunden keine Waren aus dem Regal reichen, weil sie dann dem eigenen Konto zugerechnet bzw. dort abgerechnet werden.
Damit der Supermarkt funktioniert, muss das System jeden Schritt und jeden Handgriff der Kunden registrieren. Das wirft natürlich zahlreiche Fragen hinsichtlich Speicherung und Verwendung der Daten auf.
Natürlich könnte man argumentieren, dass etwa durch Kundenkarten, Geschäftsinhaber ohnehin genau wissen, was wer kauft. Und auch ohne Kundenkarten können Käufer bei bargeldloser Bezahlung theoretisch überwacht werden. Hier muss man aber bedenken, dass man als Kunde immer die Wahl hat, ob man Kundenkarten verwendet bzw. ob man nicht lieber Bar bezahlt. Bei Amazon Go ist die totale Überwachung grundlegendes Funktionsprinzip. Ohne sie zu akzeptieren, kann man nicht einkaufen.
Die Informationen, die Amazon potenziell sammeln und verwerten können, gehen sehr weit: So weiß der Konzern, wie viel Zeit man in welchem Gang verbringt, welche Produkte man in die Hand genommen, aber dann doch zurückgelegt hat. Man könnte anhand der Sensoren und Algorithmen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auswerten, wie lange man welchen Artikel angesehen hat und wie man darauf reagiert.
Diese Daten sind nicht nur für Amazon potenziell interessant. Auch die Hersteller von Produkten könnten daran interessiert sein, wer ihr Produkt in der Hand hatte und wieder zurückgestellt hat. Entsprechend ausgewertete Informationen könnte Amazon theoretisch auch teuer verkaufen. Besonders dann, wenn die geplantenTausenden Filialen Realität werden, entsteht hier ein riesiger Pool an bislang nie dagewesenen Informationen zu Einkäufen in Geschäften.
Fazit: Es funktioniert einfach
Abseits der Datenschutzbedenken ist es dennoch erwähnenswert, wie gut Amazon Go funktioniert. Bei mehreren Einkäufen an zwei Standorten in San Francisco hat das System immer alles genauso abgerechnet, wie es genommen wurde. Mehrere bewusst aufgegriffene und wieder zurückgestellte Artikel wurden gleichzeitig korrekt nicht verrechnet. Insgesamt fühlt sich die Nutzung durchaus wie ein Stück Zukunft des Einkaufens an.
Die Aussicht auf keine Schlange an der Kasse motiviert auch tatsächlich, schnell das Geschäft aufzusuchen und sich im Vorbeigehen ein Getränk oder einen Snack zu holen. Das ist zwar schlecht für die eigene Geldbörse, aber natürlich gut für den Händler.
Bei aller Bequemlichkeit bleibt dennoch ein etwas mulmiges Gefühl. Es ist kein behagliches Gefühl, wenn theoretisch jeder Schritt und jeder Handgriff potenziell zu Marketingzwecken analysiert und ausgewertet werden könnte.
Ob oder wann Amazon die Supermarktkette auch international ausweitet, ist aktuell noch unklar. Inwieweit Amazon Go in Europa aufgrund der teilweise strengeren Datenschutzbedingungen als in den USA überhaupt jemals starten wird, ist ebenfalls aktuell noch schwer abschätzbar.
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