Jeff Bezos (Amazon), Sundar Pichai (Google) und Elon Musk (Tesla) bei der Angelobungsfeier für den US-Präsidenten am 20. Januar 2025.

Big Tech ist eng mit Trump verbandelt: Jeff Bezos (Amazon), Sundar Pichai (Google) und Elon Musk (Tesla) bei der Angelobungsfeier für den US-Präsidenten am 20. Januar 2025.

© via REUTERS / Shawn Thew

Netzpolitik

Alternativen aus Europa: Wie man von US-Software unabhängig wird

„In der Techbranche ist man viel zu stark von US-Unternehmen abhängig“, sagt Constantin Graf. Weil ihm die Recherche nach Alternativen so mühsam vorkam, startete der heute 28-jährige Wiener im Oktober 2021 das Projekt european-alternatives.eu.

Die Webseite versammelt europäische Alternativen zu bekannten US-amerikanischen Digitalservices, von Suchmaschinen und E-Mail-Anbietern bis zu spezifischen Anwendungen für Software-Versionsverwaltung oder Content Delivery. Jeder Eintrag stellt das entsprechende Service und vor und zeigt, wo genau es gehostet ist.

Vom Nischenthema zum breiten Interesse

„Am Anfang war es ein Nischenprojekt für Leute, die sich stark mit dem Thema befassen, für Datenschutz-Interessierte zum Beispiel“, erinnert sich Graf. Das spiegelte sich auch in der Zusammenstellung der Services auf der Webseite wider. Der Fokus lag auf Digitalprodukten für Unternehmen, vor allem mittelständische Betriebe.

Nach verschiedenen Urteilen, zum Beispiel der Entscheidung der österreichischen Datenschutzbehörde im Jahr 2022, dass Google Analytics nicht EU-datenschutzkonform sei, verzeichnete European Alternatives immer wieder mal höhere Zugriffszahlen. „Aber was seit Dezember 2024 etwa passiert ist, mit Trump, ist extrem!“, meint der Softwareentwickler. Während vorher nicht einmal 30.000 Nutzerinnen und Nutzer monatlich seine Seite aufriefen, waren es im Januar 2025 schon knapp 200.000 und im März 2025 sogar 750.000.

Trump-Wiederwahl als Anstoß

„Es gab in den letzten 10 Jahren immer wieder rechtliche Probleme mit dem Datentransfer zwischen USA und EU, man denke nur an die NSA-Affäre. Das ist ein Risiko für Unternehmen“, erklärt Graf. Wenn man von vornherein auf europäische Anbieter setze, sei man als Unternehmen auf der sicheren Seite. Seit der Wiederwahl von Donald Trump und den daraus resultierenden geopolitischen Verwerfungen wollen sich aber auch immer mehr Privatleute von US-Services distanzieren.

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Das Interesse an europäischen Alternativen dränge immer stärker in den Mainstream, beobachtet der Softwareentwickler. E-Mail-Provider, Suchmaschinen und Navigationsapps seien auf seiner Webseite zuletzt relevanter geworden.

Porträt von Constantin Graf

Der Wiener Softwareentwickler Constantin Graf hat "European Alternatives" gestartet.

Hauptkriterium: Sitz in Europa

Das wichtigste Kriterium, um bei european-alternatives.eu gelistet zu werden, ist der Unternehmenssitz. Dieser muss in Europa sein, am besten innerhalb der EU – dann gelten nämlich auch die DSGVO und andere konsumentenfreundliche Gesetze. Ein Service, dessen Mutterkonzern außerhalb Europas gelistet ist, wie bei der Amazon-Tochter AWS Europe, kommt nicht infrage.

Graf führt in seiner Übersicht außerdem an, welche Nachhaltigkeits-Anstrengungen ein bestimmtes Service unternimmt, oder ob der Code Open Source ist, also von unabhängigen Dritten überprüft werden kann. Der Softwareentwickler betont, dass Made in EU natürlich nicht automatisch ein Qualitätskriterium für digitale Produkte sei. Dennoch: „Europäische Unternehmen haben eine Tendenz, ethische Themen eher anzusprechen. Es gibt hier wesentlich mehr Cloud-Anbieter, die zum Beispiel Open Source vorantreiben, oder ihre Server mit erneuerbarer Energie betreiben.“

Oft mehr Kompatibilität

Auch der sogenannte vendor lock-in sei bei vielen europäischen Digitalservices seltener, sagt Graf. Sie böten häufig offene Schnittstellen sowie gute Export- und Import-Optionen. Das heißt, Nutzerinnen und Nutzer werden nicht so oft innerhalb einer Anwendung „eingesperrt“, indem diese nur proprietäre Technologien verwendet, die nicht mit denen der Konkurrenz kompatibel sind.

Ein Beispiel dafür ist Microsoft. Auf einem Großteil der Computer in Österreich läuft Windows, viele nutzen die Office-Programme und die Cloud OneDrive. Alles aus einer Hand zu beziehen ist praktisch – bis der Anbieter eine Änderung einführt, die man nicht haben will.

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Der Aufwand und die Kosten, alle diese Services plötzlich von einem anderen Anbieter zu beziehen, sind hoch. Möglicherweise zu hoch, dass ein Wechsel infrage kommt – und schon ist man „locked-in“.

Nicht alles ist gut ersetzbar

Während die US-amerikanischen Marktführer in der Regel mit den Daten ihrer Nutzerinnen und Nutzer Geld verdienen, müssen sich die europäischen Alternativen anders finanzieren. Gmail und die unzähligen damit verbundenen Services sind zum Beispiel gratis nutzbar. Die meisten europäischen E-Mail-Anbieter verlangen eine monatliche Gebühr. Bei Posteo aus Deutschland, Proton Mail aus der Schweiz oder Mailfence aus Belgien bleibt man zwar vor Werbung und Tracking verschont, muss man dafür jeden Monat ein paar Euro hinlegen, um die Vollversion nutzen zu können.

Screenshot von european-alternatives.eu

European Alternatives sammelt Mail-Anbieter, Navigations-Apps und vieles mehr aus Europa auf seiner Webseite.

„Dienste, die in einer Nische sind, wo es keinen riesigen Markt dafür gibt, sind schwer ersetzbar“, sagt Graf. Für spezielle Business-Anwendungen, zum Beispiel das Fehler-Tracking-Tool Sentry, gebe es keinen guten Ersatz. Das liege schlicht daran, dass es sich für europäische IT-Firmen nicht lohne, ein Produkt für eine kleine Nutzergemeinde, die mit dem bestehenden Marktführer ohnehin zufrieden ist, zu entwickeln.

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Suchmaschine lässt sich leicht wechseln

Wer Distanz zu US-Techgiganten sucht, kann das teilweise recht einfach umsetzen: „Das mit Abstand Niedrigschwelligste ist, die Suchmaschine zu wechseln. Da gibts Ecosia, Startpage und so weiter“, sagt Graf. Man müsse lediglich die Voreinstellung im Browser ändern und schon sei der Wechsel erledigt.

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Den E-Mail-Anbieter zu wechseln sei ebenfalls nicht schwer, nur etwas mühsam. Denn man muss danach bei allen Accounts die neue E-Mail-Adresse angeben. „Von der Dropbox wegzukommen, ist auch ganz leicht“, findet der Softwareentwickler. Europäische Alternativen für den File-Hoster sind zum Beispiel Internxt aus Spanien, Cozy aus Frankreich oder cryptee aus Estland.

Europäische Alternativen für Suchmaschinen, E-Mail-Anbieter, Navigations-Apps und KI

European Alternatives listet und kommentiert digitale Services in mehr als 50 Kategorien. Hier eine kleine Auswahl.

Suchmaschinen

E-Mail-Anbieter

Navigations-Apps

Generative KI

Nicht zu streng mit sich sein

Beim Thema Social Media sei der Wechsel technisch auch recht einfach, „doch das ist eine Bubble-Angelegenheit“, meint der Softwareentwickler. Wenn die eigenen Freunde alle noch bei X sind, bringt es kaum etwas, sich bei Mastodon oder Bluesky anzumelden, denn die Services sind nicht untereinander kompatibel.

Graf selbst ist bei der eigenen Nutzung nicht so streng: „Ich versuche natürlich im Privaten europäische Alternativen zu nutzen, aber wenn es keine gibt, das ist das halt so“. Als Informatiker falle es ihm zwar vergleichsweise leicht, zu technisch komplizierteren Lösungen zu wechseln, aber das hilft nicht in allen Fällen.

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„Bei Messengern ist es sehr hart, nur Europäische zu verwenden, da muss man ordentliche Einschnitte machen. Wenn man Freunde hat, die nur WhatsApp verwenden, kann man das schwer durchziehen“, sagt Graf. Im geschäftlichen Kontext biete er selbstverständlich auch zuerst europäische Alternativen an, doch wenn ein Kunde lieber einen US-Service nutzt, sei das dessen Entscheidung.

In Zukunft: hoffentlich noch mehr europäische Alternativen

European Alternatives ist ein Hobbyprojekt. Während der selbstständige Softwareentwickler zu Beginn noch einen Tag pro Woche in die Arbeit an der Webseite stecken konnte, habe er derzeit wegen anderer Aufträge kaum Zeit dafür. Durch das stark gestiegene Interesse wurde er in den vergangenen Wochen mit Feedback und neuen Vorschlägen für europäische digitale Produkte überflutet. Das sei zwar ein „Riesenglück“, aber einfach zu viel für ihn allein.

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Er will deshalb als Nächstes ein System bauen, über das Nutzerinnen und Nutzer systematisiert Vorschläge machen können, sodass die Erweiterung der Webseite weniger Aufwand für ihn wird. Graf hofft außerdem auf Sponsoren, die zum Beispiel einen Teilzeit-Angestellten finanzieren könnten, der sich um die Instandhaltung kümmert.

Mehr Bewusstsein

Darüber hinaus wünscht er sich noch mehr allgemeines Bewusstsein zur Abhängigkeit von US-Tech-Giganten. „Wenn Unternehmen weiter monatlich tausende Euros an AWS oder Google zahlen, statt diese in die europäische Wirtschaft zu stecken, wird es immer schwieriger, hier eine Konkurrenz aufzubauen“, sagt Graf.

Doch er ist optimistisch: „Früher war das stärkste Argument für einen Wechsel der Datenschutz und das ist ja eher ein leidiges Thema." Mit Trump sei jetzt ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor bei amerikanischen Services dazugekommen. Vor allem innerhalb mittlerer und größerer Unternehmen gibt dieser Faktor vielleicht doch den Ausschlag, zu einem europäischen Service zu wechseln. Und Rückmeldungen auf Social Media zufolge steigen auch immer mehr Privatleute um, freut sich Graf.

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Jana Wiese

interessiert sich besonders für die gesellschaftlichen Auswirkungen von Technologie und Wissenschaft. Mag das offene Web, Podcasts und Kuchen, (food-)bloggt seit 2009.

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