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Antonella Mei-Pochtler, Leiterin des ThinkTank Austria

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Digital Life

Corona-Bekämpfung mit App: "Demokratie ist immer wichtiger"

Die Verwendung von Mobil-Applikationen, um Infektionsketten zurückverfolgen zu können, wird international als ein wichtiger Faktor im Kampf gegen das Coronavirus gesehen. Bei der Online-Konferenz WeAreDevelopers Live Week diskutierten deshalb am Mittwoch Experten über die Frage, bis zu welchem Grad Apps im Kampf gegen das Virus helfen können. Per Videokonferenz am Online-Panel dabei waren Antonella Mei-Pochtler, die Leiterin des Think-Tanks ThinkAustria, Michael Zettel, der Country Manager von Accenture Austria, sowie Thomas Arnoldner, CEO der A1 Telekom Austria Group.

Zeitdruck und Hürden

Im Zentrum der Debatte stand die heimische Anti-COVID-19-Strategie und damit die "Stopp Corona"-App, die in den vergangenen Wochen für viel Gesprächsstoff gesorgt hatte. Das Ausmaß der öffentlichen Debatte hatte Michael Zettel, dessen Firma Accenture die App für das Rote Kreuz entwickelt hat, nicht vermutet: "Wir haben sofort viel Aufmerksamkeit bekommen. Wir waren überrascht, dass das so ein politisches Thema war." Wie Zettel betonte, wurde die App unter großem Zeitdruck entwickelt: "Am 9. März haben wir einen Anfruf vom Roten Kreuz erhalten. Wir haben die App dann in nur zweieinhalb Wochen designt, getestet und veröffentlicht."

Dass die App anfänglich nur schwer zu nutzen war und zum Teil immer noch ist, liegt für Zettel auf der Hand: "Smartphones sind eigentlich nicht für diesen Einsatzzweck ausgelegt." Einige technische Probleme, allen voran die mangelhafte Nutzbarkeit auf iPhones, seien noch immer nicht gelöst. Man baue dabei auf die Zusammenarbeit von Apple und Google, um eine einheitliche Lösung zum Umgang mit der Bluetooth-Signalstärkenmessung zur Feststellung von Distanzen in Mobil-Betriebssystemen einzuführen. In puncto Datenschutz sei man dagegen auf einem guten Weg.

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Moderator Benjamin Ruschin (li. oben) mit Michael Zettel, Antonella Mei-Pochtler und Thomas Arnoldner (im Uhrzeigersinn)

Verbreitung in der Bevölkerung

In einem nächsten Schritt sei es laut Zettel wichtig, die Nutzerzahlen der App von derzeit 600.000 deutlich zu erhöhen. "Es gibt viele Ideen dazu. Durch eine neue Funktion kann man die App etwa Freunden empfehlen. Eine weitere Idee ist eine großangelegte Informationskampagne." Unterdessen stehe Accenture in regem Austausch mit App-Entwicklern in der EU, um eine länderübergreifende App-Lösung für das "Contact Tracing" zu kreieren.

Antonella Mei-Pochtler, deren Think-Tank der Bundesregierung Ideen liefert, betonte die Wichtigkeit der allgemeinen Akzeptanz der "Stopp Corona"-App in der Bevölkerung: "Wir werden niemals volle Kontrolle über diese Krise bekommen, wenn die Menschen nicht mithelfen, damit wir sie auf bestmögliche Art managen können." Es gelte, Verantwortungsbewusstsein in der Bevölkerung zu schaffen, aber auch dafür zu sorgen, dass die App leicht nutzbar ist, die Privatsphäre der Nutzer schützt und interoperabel mit länderübergreifenden Lösungen ist.

Höchstes Gut Demokratie

Dass ein möglichst hoher Prozentsatz der Bevölkerung die App nutzt, sei gar nicht wichtig, so Mei-Pochtler: "Wichtiger ist, dass die App dort eingesetzt wird, wo das Risiko von Super-Spreadern am höchsten ist." Die Beraterin, die in engem Kontakt zu Bundeskanzler Sebastian Kurz stehen soll, hat unlängst durch eine Bemerkung in einem Interview mit der Financial Times aufhorchen lassen, wonach Maßnahmen "am Rande der demokratischen Arbeitsmodelle" notwendig sein könnten, um die Corona-Krise zu stemmen.

Bei der WeAreDevelopers-Diskussion stellte Mei-Pochtler klar: "Demokratie ist immer wichtiger als alles andere." Dinge wie Datenschutz seien nicht verhandelbar für eine Anti-Corona-App. Gleichzeitig merkte die Expertin an: "Es gibt viele kommerzielle Apps, über deren Datenverwendung die Nutzer nichts wissen. Wir müssen eine ernsthafte Diskussion darüber führen."

Globale und lokale Ebene

Im Financial-Times-Interview sprach Mei-Pochtler auch davon, Touristen zur Nutzung der "Stopp Corona"-App zu bewegen. Die freiwillige Nutzung der App zweifelte sie während der Online-Debatte nicht an. "Touristen kommen nach Österreich, weil sie eine fantastische Zeit haben wollen, nicht um in Quarantäne zu sein." Es sei deshalb wichtig, Touristen auf die Existenz und Sinnhaftigkeit der App aufmerksam zu machen, "etwa in Form einer großangelegten Kampagne".

Zur Entwicklung einer europa- oder weltweiten Contact-Tracing-Lösung meinte Mei-Pochtler: "Man muss das auf einer globalen und einer lokalen Ebene behandeln." Das Vorgehen verschiedener Staaten sei sehr unterschiedlich. "Wir müssen beachten, was in unserem sozialen, gesellschaftlichen und politischen Kontext funktioniert." In erster Linie sei es wichtig, eine funktionsfähige App zu betreiben. Das multilaterale Vorgehen komme erst an zweiter Stelle.

Vorurteile abbauen

A1-Chef Thomas Arnoldner betonte die Notwendigkeit von technischen Lösungen im Kampf gegen COVID-19 und verwehrte sich gegen Vorurteile: "Bei dem Gedanken Big Data zur Krisenbewältigung einzusetzen, gab es sofort viel Widerstand, anstatt eine überlegte Entscheidung zu treffen. Ich war schockiert. Nicht jeder Gebrauch von Daten bedeutet eine Verletzung von Grundrechten."

Das für seine Bewegungsanalysen für den Corona-Krisenstab der Regierung in Kritik geratene A1, sowie das Grazer Unternehmen Invenium, hätten stets darauf geachtet, persönliche Freiheiten nicht zu verletzen. "All die Technologien, die wir verwenden, zielen darauf ab, Einflüsse auf die Grundrechte zu verringern." Auch die Verwendung einer Contact-Tracing-App könne Freiheiten erhalten, und nicht beschränken, meinte Arnoldner - etwa, indem dadurch Versammlungen ermöglicht werden. "Was würde man uns erzählen, wenn wir diese technologischen Möglichkeiten nicht nutzen würden?"

In den Köpfen vieler Menschen werden Contact Tracing und Bewegungsanalysen in einen Topf mit tiefergehenden Überwachungsmaßnahmen geworfen, wie man sie aus anderen Ländern kenne. Ein Zwang zur Nutzung von Technologien, etwa Apps, sei aus seiner Sicht der völlig falsche Weg. "Es geht ja darum, das Verhalten von großen Menschenmengen zu verändern. Das funktioniert nicht von oben herab." Freiwillige Lösungen seien das Beste, und um deren Erfolg zu fördern, sei es maßgeblich, Vertrauen zu schaffen.

Die futurezone ist Medienpartner der WeAreDevelopers Live Week.

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Energie, Mobilität und Klimaschutz. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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