Kinder und Medien

„Eltern fehlt die Internet-Kompetenz“

51 Prozent der befragten Kinder aus Österreich surfen täglich oder fast täglich im Netz, zwei Drittel haben ein Profil in einem Online-Netzwerk wie Facebook. 53 Prozent der befragten Kinder zwischen neun und 16 gelangen via Smartphone ins Internet, das sind 19 Prozent mehr als im EU-Schnitt. 78 Prozent der Befragten gaben hierzulande an, dass sie mehr über das Internet zu wissen glauben als ihre Eltern. Das zeigt die Studie EU Kids Online, für die im Sommer 2010 Kinder und Eltern aus 25 EU-Ländern befragt wurden.

Risiken überwiegen
Die Studie zeigt auch, dass österreichische Kinder viel häufiger mit Bildern sexueller Natur konfrontiert werden, als in anderen Ländern. 17 Prozent der Befragten haben im letzten Jahr pornografische Inhalte im Internet gesehen, in Deutschland waren es nur vier Prozent. Es glauben zudem nur sechs Prozent der österreichischen Eltern, dass ihre Kinder bereits mit derartigen Bildern im Netz konfrontiert worden sind.

43 Prozent der befragten Kindern sind der Meinung, dass es „Dinge im Netz gibt, die Kinder sehr beunruhigen können“ - im EU-Schnitt waren 55 Prozent der Befragten dieser Meinung. Die Studie zeigt daher deutlich, dass Eltern sowie Kinder in Österreich die Risiken der Webnutzung unterschätzen und gleichzeitig auch häufiger Risiken ausgesetzt sind als in anderen Ländern.

Die futurezone hat mit der Studienleiterin Paus-Hasebrink über diese Ergebnisse gesprochen.

futurezone: Woran liegt es, dass österreichische Kinder häufiger mit Risiken im Internet konfrontiert werden ?

Paus-Hasebrink: Die österreichischen Kinder unterliegen einer Fülle von Risiken, weil der mediale Diskurs in Österreich weniger stark ausgeprägt ist als in unseren Nachbarländern. Es gibt zwar das Bewusstsein dafür, dass Fernsehen positive und negative Wirkungen haben kann, aber vielen Eltern fehlt noch die spezifische Internet-Kompetenz. Sie können das Gefahrenpotential noch nicht richtig einschätzen.

Ist dies in anderen Ländern anders?

In Deutschland gibt es etwa einen viel stärkeren Risikodiskurs. Ich will aber keinesfalls damit sagen, dass es notwendig ist, einen Risikodiskurs zu führen, aber es braucht auf jeden Fall mehr öffentliche Aufmerksamkeit im Bezug auf die Chancen und die damit zwangsläufig verbundenen Risiken im Netz.

Insgesamt zeigt sich in der Studie, dass sich die österreichischen Eltern wenig dafür interessieren, was ihre Kinder im Internet tun. Außerdem glauben sie, dass nicht viel Problematisches passiert. Die österreichischen Kinder sind jedoch stärker mit Risiken konfrontiert als der EU-Schnitt.

Mit welchen Maßnahmen könnte man hier gegensteuern?

Die Maßnahmen müssen auf ganz vielen verschiedenen Ebenen angesetzt werden. Unsere Studie zeigt auch – und diese Ergebnisse gelten jetzt für ganz Europa -, dass sich fast alle Eltern eine Hilfestellung von den Schulen wünschen. Sie wünschen sich, dass ihre Kinder, die jeden Tag in die Schule gehen, dort mit Internetanwendungen konfrontiert werden und auf Risiken und Chancen hingewiesen werden.

Schulen sind ein zentrales Lebensumfeld, in dem sich Eltern wirklich Unterstützung wünschen. Wir können aber auch die Eltern nicht aus der Verantwortung entlassen, wir brauchen eine entsprechende Aufklärung und Elternbildung.

Für die beiden Dinge braucht man finanzielle Mittel und einen politischen Willen.

Richtig. Wir müssen auch auf die Politik einwirken und deutlich machen, dass hier ein gesellschaftlich relevantes Phänomen vorliegt. Wenn wir alle zwecks Networking online unterwegs sein sollen und unsere Chancen im Leben davon abhängen, wie gut wir mit Wissensangeboten umgehen können, müssen wir uns auch Gedanken darüber machen, wie wir Kindern, die in diese Welt hineinwachsen, auch vor problematischen Anwendungen im Netz schützen können. Da muss die Politik finanzielle Mittel freigeben, um Elternbildung zu betreiben und um Schulen zu unterstützen.

Sollte man nicht auch Anbieter von Online-Inhalten in die Pflicht nehmen?

Auf jeden Fall. Auch die Anbieter von Online-Netzwerken müssen dazu verpflichtet werden, ihre Inhalte klar und übersichtlich zu präsentieren. Es darf etwa nicht erst auf dem fünften oder sechsten Weg ersichtlich sein, wie man ein Profil auf „privat“ umstellt, wie es etwa bei Facebook der Fall ist.

Alle Ebenen müssen zusammenarbeiten, denn sonst kann so etwas wie das Internet, dass Teil unseres Alltags geworden ist und das über Ländergrenzen hinweg reicht, überhaupt nicht fruchtbar genutzt werden. Dann könnte es tatsächlich dazu kommen, dass Risiken überwiegen. Es braucht das Zusammenarbeiten der Stakeholder.

All das ist notwendig, um die Risiken zu minimieren?

Kinder wollen mit dem Internet ihre Identitätsgenese vorantreiben und Informationen finden und suchen - das darf nicht zu unguten Zwecken ausgenutzt werden. Da müsste es außerdem so etwas wie einen roten Knopf geben, der Kindern hilft, wenn sie tatsächlich einmal schlechte Erfahrungen im Netz gemacht haben.

Ein Art Notfallknopf?

Ja. Zusätzlich braucht man viele Ansprechpartner, an die sich Kinder vertrauensvoll wenden können. Wichtig ist insgesamt auch zu wissen, dass das, was im Netz passiert, seine Ursprünge in der Offline-Welt hat. Wie wir miteinander umgehen und auf Kinder zugehen, ob wir Kinder respektieren und ihnen ihren Freiraum lassen – all das ist entscheidend. Wenn ich in der Offline-Welt nicht mobbe, tue ich es auch in der Online-Welt nicht.

Wann ist Ihrer Meinung nach das richtige Einstiegsalter, um mit der Aufklärung zu beginnen?

Das kann nie zu früh sein. Wenn schon im Kindergarten vom Internet die Rede ist, und Kinder das Netz nutzen, sollten das auch die Erzieher schon aufgreifen und auf die Belange, die die Kinder selbst thematisieren, mit einem offenen Ohr eingehen.

Zur Studie:
Im Rahmen der Studie EU Kids Online wurden 25.142 repräsentativ ausgewählte Kinder im Alter von neun bis 16 Jahren, die das Internet nutzen, sowie je ein Elternteil in insgesamt 25 europäischen Ländern befragt. Die Studie wurde im Sommer 2010 durchgeführt, auch Österreich war dabei.

Zur Person:
Ingrid Paus-Hasebrink ist Vizedekanin der Kultur- und Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg. Unter ihrer Leitung wird seit 2006 die Studie EU Kids Online in Österreich durchgeführt. Paus-Hasebrink hat zudem Studien zum Umgang Heranwachsender mit dem Social Web durchgeführt.

Zum Kongress:
Paus-Hasebrink war am Donnerstag in Wien bei dem Internationalen Kongress "Kinder und digitale Medien" als Referentin zu Gast und hat mit Kollegen über das "Web 2.0 als Herausforderung für Lehren, Lernen, Erziehen und für die Identitätsfindung Jugendlicher" diskutiert.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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