"Fahrräder bei Ampeln zu bevorzugen ist nur fair"
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„Es war das Dümmste, das die Menschheit je gemacht hat: Autos in Städte zu bringen. Autos sind keine effiziente Form des Transports.“ Diese Ansicht vertritt der dänisch-kanadische Mobilitätsexperte Mikael Colville-Andersen bei der Urban Future Konferenz in Graz. Dort diskutierten diese Woche 1600 Personen über die Zukunft der Städte. Colville-Andersen tritt mit "Copenhagenize" für die Rückeroberung von öffentlichem Raum ein – und zwar mithilfe von Fahrrädern. Er hilft als Stratege Städten weltweit dabei, den Verkehr in Städten umweltfreundlicher zu gestalten und den Radverkehrsanteil zu erhöhen. Wie das gelingt, erzählt er im Gespräch mit der futurezone.
Colville-Andersen:Wenn man sich anschaut, wie viel Platz ein Auto braucht, um eine faule Person von Ort A nach B zu bringen in einem Auto, ist das einfach undemokratisch. Das ist mein Hauptkritikpunkt.
Das heißt, sie plädieren für die Nutzung des Fahrrads in der Stadt?
Fahrräder wurden bereits in der Vergangenheit häufig genutzt und ich glaube auch, dass sie die Zukunft in der Stadt sein werden. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin kein Fahrrad-Geek, überhaupt nicht. Aber jedes Kind lernt heutzutage noch immer Fahrradfahren und es wäre, rational betrachtet, das sinnvollste Fortbewegungsmittel in Städten. Also müssen wir damit den urbanen Raum zurückerobern.
Sie leben in
Kopenhagen, wo es einen Radanteil von 63 Prozent gibt.
Das stimmt, in Kopenhagen funktioniert das Modell äußerst gut. Auch bei Schnee und im Winter. Das liegt an verschiedenen Dingen. Die Stadt hat viel dafür getan. Es gibt etwa eine gesetzliche Verpflichtung, dass im Winter die Radfahrwege spätestens um 8 Uhr Früh vollständig vom Schnee befreit sein müssen. Die Menschen benutzen dann sogar bei einem heftigen Schneesturm das Rad.
Wie konnte der Radanteil aber auf eine derartige Zahl hochgeschraubt werden?
Hier gibt es ein einfaches Prinzip, das man befolgen muss: Radfahren muss immer der schnellste Weg sein, um von A nach B zu kommen. Nur dann wird es von den Menschen als Verkehrsmittel ernst genommen. In Kopenhagen ist das Rad in jedem Fall das schnellste Verkehrsmittel, schneller als das Auto. Umweltargumente hingegen ziehen bei der Bevölkerung kaum. Ohne Zeitersparnis wären die Kopenhagener nicht aufs Rad umgestiegen.
Was wurde in der Stadt gemacht, um die Zeitersparnis zu erreichen?
Die Infrastruktur dafür wurde geschaffen. Das hat aber auch bedeutet, den Autos Platz in der Stadt wegzunehmen. Einerseits Spuren auf der Straße, andererseits Parkplätze. Außerdem haben wir seit 2006 eine „Grüne Welle“ für Radfahrer, also bei einer Geschwindigkeit von 20 km/h. Jetzt wird aber gerade die „Grüne Welle 2.0“ getestet. Das bedeutet: Wenn eine Gruppe von fünf Radfahrern auf der Hauptroute unterwegs ist, schalten die Ampeln automatisch auf grün. Die Radfahr-Gruppe wird dabei mit Sensoren, die in der Ampel verbaut sind, identifiziert. Dasselbe wird auch bei Bussen gemacht, der öffentliche Verkehr ist neben Fahrrädern ein wichtiger Bestandteil einer jeden Stadt, auch in Kopenhagen.
Das heißt, Fahrradfahrer und der öffentliche Verkehr sollen klar bevorzugt werden?
Das ist nur fair. Über eine Autospur können pro Stunde rund 1300 Personen transportiert werden, eine Radspur mit einer Breite von 2,5 Meter schafft 5000 Personen pro Stunde. Das ist Demokratie. Das Verkehrssystem mit den Ampeln stammt überall auf der Welt aus den 1950er-Jahren und es wurde kaum etwas daran geändert. Wenn man die Infrastruktur verändern will, muss man auch dieses Konzept aufbrechen und andere Wege finden. Ich bin froh, dass Kopenhagen hier so experimentierfreudig ist. Dazu gehört nämlich Mut.
Apropros Mut.
Wien hat sich zum Ziel gesetzt, den Radanteil am Gesamtverkehrsaufkommen von derzeit rund sieben Prozent bis 2025 auf zehn Prozent zu steigern. Ist das ambitioniert genug?
Ich bin schon ab und zu in Wien mit dem Rad gefahren. Rund um den Ring ist es nett, aber dann hören die Fahrradwege plötzlich auf und man landet mitten auf einer Straße zwischen drei Autos. In Wien wurde zwar viel in die Werbung fürs Radfahren investiert, aber die Infrastruktur fehlt. Es wurde nichts getan, um den Autos Platz wegzunehmen. Es wurde nichts ausgebaut. In den 1980er-Jahren hatte Wien eine schöne Vision. Wien war Vorreiter und Visionär. Leider wurde nichts davon umgesetzt.
Eigentlich hätte der Fahrrad-Anteil bereits 2015 zehn Prozent betragen sollen, aber die Ziele wurden wieder zurück geschraubt.
Ja, Wien ist verrückt und das ist eine Schande für eine Stadt, die so eine gute Ausgangsbasis hat. Es passt auch nicht zu dem Image, dass die Stadt sonst so hat. Statt mehr Platz für Fahrräder zu schaffen, wird es zwischen die Autos reingequetscht. Aber ein Fahrradnetz muss ebenso gut funktionieren wie ein Öffi-Netz – und zwar nicht nur in der Innenstadt und um den Ring, sondern auch in den Außenbezirken. Sonst nutzen es die Menschen nicht.
Es mutet auch ein wenig seltsam an, weil man sich in der Smart City-Strategie vorgenommen hat, bis 2050 in der Innenstadt frei von Privatautos zu sein und dann den Radfahrer-Anteil nicht entsprechend zu erhöhen...
Das Ziel ist auch ein wenig witzig. Oslo hat vor zwei Monaten bekannt gegeben, dass sie im Jahr 2019 in der Innenstadt autofrei sein wollen. Das Zentrum ist etwa gleich groß wie die Wiener Innenstadt. Helsinki hat gesagt, dass sie bis 2030 auf ein Carsharing-Modell in der Innenstadt umstellen wollen und keine Privatautos mehr erlaubt sein werden. Es ist bizarr, bis 2050 zu warten, wenn man das praktisch über Nacht beschließen könnte. Andere Städte als Wien haben da mehr Visionen und machen mehr Druck.
Das heißt, Wien fällt, was den urbanen Verkehr betrifft, stark zurück?
Ja. In Buenos Aires hat man beispielsweise innerhalb kürzester Zeit 140 Kilometer an Fahrradspuren errichtet und 5000 Personen sind aufs Rad umgestiegen. In der spanischen Stadt Sevilla hat man den Radanteil in nur vier Jahren von 0,2 Prozent auf sieben erhöht. Das ist kein verrückter Traum von Städten. Es funktioniert. Wien war früher einmal sehr ambitioniert, daher ist es besonders traurig, dass hier nichts weitergeht. Wien muss wieder umdenken, sonst wird es Modernisierungsverlierer beim Verkehr.
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