Flirten gegen Bezahlung: Wie Tinder-Ghostwriter arbeiten
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Die Suche nach einem Beziehungspartner kann anstrengend sein. Online-Dating-Dienste wie Tinder und OkCupid sollten diesen Prozess eigentlich vereinfachen, doch oftmals wird auch über diese geklagt. In den USA scheint Online-Dating für viele Menschen derart anstrengend zu sein, dass sie sogar professionelle Agenturen beschäftigen, die ihr Online-Dating verwalten - von der Suche nach interessanten Kandidaten bis zum Vereinbaren des ersten Dates übernehmen die Ghostwriter alles. Lediglich auf das Date muss man selbst gehen.
Die US-Amerikanerin Chloe Rose Stuart-Ulin arbeitete bei einer dieser Agenturen, dem Unternehmen ViDA (kurz für Virtual Dating Assistant). Sie gab beim Online-Magazin Quartz erstmals einen Einblick darin, wie diese Unternehmen arbeiten
Rechtlich erlaubt, moralisch bedenklich
Das Unternehmen beschäftigt drei verschiedene Arten von Mitarbeitern. „Profile Writers“ sind dafür zuständig, ein möglichst attraktives und interessantes Profil zu erstellen, das viele „Matches“ generiert. ViDA bedient laut dem Bericht jede bekannte Dating-Plattform. Die „Matchmakers“ sind wiederum dafür zuständig, potenziell interessante Dating-Partner zu suchen und diese mit vorgefertigten Antworten zu kontaktieren. Wird diese beantwortet, springen die sogenannten „Closer“ ein, die die Konversation am Laufen halten und bei Interesse ein Date vereinbaren sollen.
Stuart-Ulin war ein „Closer“. Sie musste vorgeben, ein männlicher, 45 Jahre alter Texaner zu sein, der vor allem nach jungen Frauen sucht. Für jede Telefonnummer, die sie ergattern kann, erhält sie eine Provision in der Höhe von 1,75 US-Dollar. Der Stundenlohn beträgt zwölf US-Dollar. Bereits beim Einstellungsgespräch wurde sie intensiv auf ihre Aufgabe vorbereitet und dazu befragt, ob sie moralische Probleme damit hätte, in die Rolle einer anderen Person zu schlüpfen.
Obwohl sich diese Dienste auf einem moralischen Graubereich bewegen, seien sie aber rechtlich unbedenklich, auch da die Person die Einwilligung erteilt. Bereits früh macht Stuart-Ulin negative Erfahrungen. Ein Match erzählte ihr, dass sie gerade ihren Hund einschläfern lassen musste. Sie verfasste eine Antwort, in der sie ihr Beileid ausdrückte, doch ihr Vorgesetzter lehnte diese ab. „Alpha-Männchen entschuldigen sich nicht“, schrieb ihr Vorgesetzter als Feedback zurück. Stattdessen antwortete sie mit einer fröhlichen Geschichte über zwei Hunde eines Kunden. Trotz der scheinbar unsensiblen Antwort erhielt sie wenig später die Telefonnummer der Frau.
"Nicht zu viel nachdenken lassen"
Scott , der Gründer des Unternehmens, bezeichnet sich selbst als Dating-Experte und hat unter anderem Bücher mit Titeln wie „Women on Demand“ (Frauen auf Abruf) und „The Automatic Date Transition“ verfasst. Diese dienten laut Stuart-Ulin auch als Inspiration für die unternehmensinternen Handbücher. Darin finden sich aber auch zahlreiche fragwürdige Aussagen. So würden Frauen stets das „Alpha-Männchen“ bevorzugen und fühlen sich vom „Leitwolf“ angezogen. „Das Alpha-Männchen wird nicht ausgewählt, er ist derjenige, der auswählt“, heißt es etwa darin.
Bereis Regel Nummer 1 des von ihm verfassten Handbuchs sollte ebenfalls für Skepsis sorgen: „Sorge nicht dafür, dass sie zu viel nachdenken muss.“ Die erste Nachricht soll eine „geringe kognitive Last“ darstellen und möglichst einfach beantwortbar sein. Eine der vorgefertigten Fragen lautet beispielsweise: „Du wirkst wie jemand, der viel Selbstvertrauen hat. Was ist dein Geheimnis? a) ein Shampoo, das auch ein Conditioner ist, b) ballaststoffreiche Ernährung oder c) Photoshop“
Kurioserweise ist eine der wichtigsten Regeln des Unternehmens, dass man nicht lügen soll. „Wenn man seinem Date erzählt, man sei ein 1,85 Meter großer Astronaut, wenn man tatsächlich lediglich ein 1,80 Meter großer Versicherungsverkäufer ist, wird sie das herausfinden“, heißt es im Handbuch. Dass das Unternehmen selbst, das gegen Bezahlung in die Rolle seiner Kunden schlüpft, mit seinem Geschäftsmodell gegen diese Regel verstößt, scheint man übersehen zu haben.
Zudem scheint es auch bei ViDA nicht unüblich zu sein, zu lügen. Laut Stuart-Ulin verlangte ein 33-jähriger Kunde, dass man ihn als 25-Jährigen präsentiere. Laut dem Unternehmen seien derartige Fälle selten und man stelle sicher, dass es niemand übertreibe.
Mit Zahlen zum Erfolg
Valdez sieht sich selbst als Pionier im Online-Dating. Bereits vor Apps wie Tinder machte er es sich zum Hobby, Anmachsprüche in Massen zu versenden und deren Effizienz mithilfe von Tabellen zu dokumentieren. Er bezeichnet Online-Dating als „Zahlenspiel“ und will dieses nach eigenen Angaben effizienter gestalten. Auch heute wird noch mit vorgefertigten Antworten gearbeitet, deren Effektivität in einem automatisierten System gespeichert wird. Mitarbeiter müssen lediglich Stichwörter eingeben, um eine möglichst passende Aussage zu finden.
Die Idee für ViDA kam Valdez 2009, als er „60 bis 70 Stunden pro Woche gearbeitet habe und keine Zeit für Online-Dating hatte“. Das Geschäft scheint lukrativ zu sein, das Unternehmen beschäftigt derzeit 80 Mitarbeiter und zählt mehr als 2500 Kunden. Diese bezahlen, je nach Dienst, zwischen 495 und 1695 US-Dollar pro Monat. Die meisten Kunden seien wohlhabende Männer in ihren Dreißigern, die „mehr Geld als Zeit haben“. Verheiratete Männer und Frauen werden nicht akzeptiert, so Valdez.
Unwürdiges Verhalten
Stuart-Ulin hat das Unternehmen mittlerweile verlassen. Sie kritisiert, Unternehmen wie ViDA würden lediglich Geschlechterstereotypen verstärken und dafür sorgen, dass Online-Dating für viele Menschen eine unangenehme Erfahrung bleibt. So hätten sich des öfteren Frauen, denen "Closer" die Telefonnummer abgerungen hatten, gemeldet, weil sie nie von den Kunden der Agentur kontaktiert wurden. Dieses als "Ghosting" bekannte Verhalten - die andere Person meldet sich einfach nicht mehr - ist mittlerweile weit verbreitet.
"Indem wir das Werben um potenzielle Partner an Roboter (und Roboter-ähnliche Menschen) abgeben, mögen wir uns vielleicht kurzfristig etwas Schmerz ersparen, aber es entwürdigt und vereinfacht uns und wird uns nicht dabei helfen, jemanden zu finden, der unsere Fehler akzeptiert", so Stuart-Ulin.
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