"Gerade die Eliten haben am meisten zu verlieren"
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Radermacher ist derzeit Professor für Datenbanken und künstliche Intelligenz an der Universität Ulm. Der promovierte Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler setzt sich schon seit langem für eine Ökosoziale Marktwirtschaft ein und ist einer der Mitbegründer der Global Marshall Plan Initiative, die eine ausbalancierte Form der Globalisierung fordert.
Im Interview mit der futurezone spricht Rademacher über die Auswirkungen von immer fähigeren Maschinen auf die Gesellschaft und mögliche Wege, drohende Ungerechtigkeiten in Zaum zu halten.
F.J. Radermacher:Es spricht viel dafür, dass es gravierende Auswirkungen geben wird. Es könnte dahin kommen, dass eine große Anzahl von Arbeitsplätzen analytischen Typs für Personen mit hohen Bildungsabschlüssen, etwa im Bereich Finanzberatung, medizinische Bildverarbeitung und Diagnosen oder auch im Bereich der Rechtsberatung durch Maschinen, übernommen werden wird. Das wäre dann eine völlig neue Situation. Maschinen übernehmen die Arbeitsplätze Hochqualifizierter.
Glauben Sie, dass eine starke künstliche Intelligenz realisierbar ist?
Probleme bestehen hier für mich bereits in der Begriffsbildung. Was ist eine starke künstliche Intelligenz? Ich halte vieles für möglich, aber die Entfaltung eines vollen Kognitionspotenzials wie beim Menschen ist, wenn dies denn überhaupt gelingen sollte, noch weit entfernt. Und eines ist aus heutiger Sicht für mich auch klar: Maschinen können keine Gefühle haben wie Menschen oder Tiere und auch der Teil des Bewusstseins, der mit der Wahrnehmung von Gefühlen verbunden ist, ist Maschinen damit verschlossen. Das schließt nicht aus, dass Maschinen relativ glaubwürdig so werden tun können, als würden sie etwas fühlen, zum Beispiel „frieren“, aber sie würden eben nicht wirklich „frieren“, sondern sich nur in einem so klassifizierten Zustand befinden, den sie als „frieren“ bezeichnen. Sehr wahrscheinlich resultieren aus diesem Defizit auf Dauer enorme Unterschiede zwischen intelligenten Maschinen und Menschen. Was das für die Organisation unseres gesellschaftlichen Lebens bedeutet, ist ein eigenständiges Thema.
Ich ordne Sie dem konservativen Lager zu. Viele der Konzepte, die heute zur Verhinderung einer steigenden Verteilungsungerechtigkeit und möglicher steigender Arbeitslosenzahlen herangezogen werden, wurden ursprünglich von konservativen Ökonomen propagiert - etwa bedingungsloses Grundeinkommen oder Helikoptergeld. Wie kommt es, dass sich das konservative Lager trotzdem oft schwer tut mit der Idee einer gerechteren Verteilung von Arbeitslast und Geld?
Ich wundere mich, dass ich aus Ihrer Sicht dem konservativen Lager zugeordnet werde, häufig werde ich auch ganz woanders eingeordnet. Für den Kern Ihrer Frage ist dieser Aspekt aber auch nachrangig. Der Grund, warum kluge Menschen balancierte Einkommensverhältnisse bevorzugen, ist die daraus resultierende größere Stabilität einer Gesellschaft und ihre höhere Wertschöpfungsfähigkeit. Ein Problem liegt allerdings darin, dass viele Menschen Balance mit einer Bewegung in Richtung Gleichverteilung der Einkommen verwechseln, davor haben Vertreter der konservativen Seite ebenso wie Vertreter der Eigentümerseite Angst. Wichtig: Gesellschaften funktionieren nicht gut, wenn es ein Zuviel, aber ebenso wenig, wenn es ein Zuwenig an sozialer Balance gibt. In dem einen Fall nähert man sich kommunistischen Verhältnissen an, in dem anderen Fall den Verhältnissen in typischen Zweiklassengesellschaften - zum Beispiel in Südafrika oder Brasilien. Beide Typen gesellschaftlicher Organisation funktionieren nicht gut und beide Typen beinhalten Potenzial für soziale beziehungsweise gesellschaftliche Verwerfungen. Konservative müssen hier dazulernen. Es geht um die Verhinderung beider Extreme und um die Stärkung der Mitte im Sinne von Balance.
Wie könnte eine Welt aussehen, in der Maschinen einen Großteil der Arbeit leisten?
Man könnte ohne weiteres argumentieren, dass auch heute schon Maschinen den Großteil der Arbeit leisten. Gemeint ist wohl eine Welt, in der viele Menschen kaum noch bezahlte Arbeit übernehmen, so wie das heute noch ganz überwiegend der Fall ist. Es gibt viele Möglichkeiten, wie Menschen ihre Zeit verbringen können. Neben selbstbestimmten, intellektuell, künstlerisch oder sportlich ausdifferenzierten Möglichkeiten bleiben auch viele Varianten von „Brot und Spiele“. Mit der weiteren Digitalisierung, den Möglichkeiten der virtuellen Welt und eventuell leistungsfähigen neuen Drogen ist hier noch viel mehr in wirkungsvoller und preiswerter Weise denkbar. Ich glaube deshalb nicht, dass Menschen Probleme haben werden, ihre Zeit zu verbringen. Für mich viel kritischer ist eine andere Frage: Wenn wir weiter hochqualifizierte Menschen haben wollen, zum Beispiel Quantenphysiker oder Mathematiker, und wenn wir als Gesellschaft solche Menschen brauchen, um die intelligenten technischen Systeme zu kontrollieren, dann wird es schwierig werden. Wenn wir meinen, dass wir solche Menschen brauchen, stellt sich die Frage, wie wir den lebenslangen Prozess der Anstrengungen im Bereich der Gehirnentwicklung gesellschaftlich organisieren und motivieren können, der Voraussetzung dafür ist, dahin zu kommen.
Wie könnte die Wertschöpfung, die durch Maschinen geleistet wird, verteilt werden?
Der generelle Ansatz besteht darin, über Steuern, Abgaben und Transfers genügend viel erzeugte Wertschöpfung zu allen Bürgern zu leiten. Hier bietet insbesondere die Erbschaftssteuer interessante Ansatzmöglichkeiten. Klugerweise wird man die genannten Transfers abhängig machen von Qualifikationen und Beiträgen der entsprechenden Personen zum gesellschaftlichen Prozess. Für die heutige Welt wissen wir, dass die Einkommensverteilungen vernünftigerweise im Bereich von Werten des Gini-Koeffizienten zwischen 0,25-0,35 - sogenannter „productive inequality range“ - liegen sollten. Was zukünftig einmal die richtige „productive inquality range“ sein könnte, wird man empirisch herausfinden müssen, das lässt sich heute nicht bestimmen.
Falls die Maschinen wirklich je so intelligent werden, dass sie höhere kognitive Aufgaben übernehmen können, droht der Menschheit nicht Siechtum, weil es dann auch in Kultur und Forschung nur noch wenig beizutragen gibt?
Das muss so nicht sein, es spielen heute immer noch Menschen miteinander Schach, obwohl Rechner das viel besser können. Und es produzieren immer noch Menschen Musik live, auch wenn wir alles als Konserve haben können. Solange die Menschen die Macht auf dieser Welt haben, können sie auch selbst entscheiden, was sie machen wollen, auch wenn eine Maschine fast alles besser können sollte als wir.
Welche Änderungen an Gesellschaft, Wirtschaft und politischem System wären notwendig, um eine Situation zu meistern, in der sehr viele Menschen keiner geregelten Arbeit mehr nachgehen?
Im Sinne eines Primats der Politik sollte die Gesellschaft dem ökonomischen Bereich auch heute schon die Regeln setzen, die ökologisch und sozial vernünftige Verhältnisse nach sich ziehen. Das ist in Teilen ja auch der Fall. Und so sollte es bleiben. Gemäß der heutigen Technologie werden dabei nach wie vor die meisten Menschen in beruflichen Aufgabenfeldern gebraucht, um die Wertschöpfung, die wir haben, zu erzeugen. Die Besteuerung und die Sozialsysteme sind heute darauf ausgerichtet, dass die meisten Menschen derartig beschäftigt sind und dort Einkommen erzielen. Dort finden sich für viele auch Teile des Lebenssinns und die Organisation der individuellen Weiterentwicklung. Sollte das einmal nicht mehr so sein, weil Maschinen noch sehr viel mehr Aufgaben übernehmen, wird die Gesellschaft in diesem Bereich aktiv werden müssen. Entweder führt der Weg in Richtung einer Zweiklassengesellschaft, in der die meisten Menschen auf ein bedingungsloses Grundeinkommen, das niedrig ist, zurückgeworfen werden und die Eigentümerseite noch viel reicher sein wird als heute. Oder aber es gelingt über politische Mehrheiten eine dann sinnvolle, sehr viel stärkere Besteuerung der Eigentümer der intelligenten Maschinen durchzusetzen. Aus den so gewonnen finanziellen Mitteln könnten dann differenzierte Transfers finanziert und gegebenenfalls gesellschaftliche Formen organisierten Zeitvertreibs für die, die das wünschen oder brauchen, bereitgestellt werden.
Welche Optionen sehen Sie, um in einer Welt mit vielen Menschen ohne Job etwas gegen den möglichen Neid jener zu tun, die immer noch arbeiten müssten?
Ich habe hier schon ein Problem mit der Stoßrichtung Ihrer Frage. Solange es eine deutliche Differenzierung in der finanziellen Ausstattung bei den wenigen gibt, die noch arbeiten „müssen“ im Verhältnis zu den vielen, die das nicht müssen, beziehungsweise nicht mehr dürfen oder können, erwarte ich keinen entsprechenden Neid, mal ganz abgesehen davon, dass man eine interessante Arbeit als sinnstiftend und beglückend wahrnehmen kann und mancher einen Zustand ohne geregelte Arbeit, selbst wenn er über genügend Finanzierung verfügt, nicht als angenehm empfinden wird. Der Neid könnte also eher in die andere Richtung gehen.
Was halten Sie vom Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens?
Ich halte ein bedingungsloses Grundeinkommen heute nicht für geeignet, weil wir extrem viele Jobs haben, die von der Aufgabenstellung her nicht besonders attraktiv und zudem schlecht bezahlt sind und die dennoch für das Funktionieren unserer gesellschaftlichen Prozesse erforderlich sind. Schon bei einem bedingungslosen Grundeinkommen von vielleicht 1000 Euro im Monat könnte es schwierig werden, solche Jobs zu besetzen. Deutlich darüber hinausgehende Volumina an Grundeinkommen sind unter heutigen Bedingungen nicht finanzierbar. Worum man sich heute kümmern sollte, ist, dass Menschen, die keine Jobs finden, unkomplizierter zu ihrem Geld kommen und finanziell besser ausgestattet sein sollten, als das heute in Deutschland mit den Hartz-IV-Lösungen der Fall ist. Diese Lösungen sind in Teilen mit Menschenwürde nur begrenzt kompatibel.
Woran liegt es, dass sich viele Menschen hauptsächlich über ihren Job definieren und wie könnte man das ändern?
Menschen definieren sich gerne über Dinge, die sie können und in denen sie gut sind. Wer sich in politischen Theorien auskennt, definiert sich gerne darüber. Und wer ein guter Sportler ist oder beispielsweise wer sich als gute Eltern von funktionierenden Kindern versteht, der definiert sich darüber. Andere machen wesentliche Erfahrungsfortschritte kontinuierlich in der Arbeit, teils weil sie das wollen, teils weil die Arbeit sie auch dazu zwingt. Die aus dem Arbeitszwang resultierende Disziplin bringt uns dann vorwärts. Und indem wir dieses Vorwärts wahrnehmen, wird es zu einem wichtigen Element von dem, worüber wir uns definieren.
Ökonomische Macht ist heute stark konzentriert. Wie würden Sie die diesbezüglichen Eliten davon überzeugen, dass sie auf Einfluss verzichten müssen?
Ökonomisch Macht ist in der Tat stark konzentriert. Das ist in einem gewissen Sinne auch unvermeidbar, wenn das Ziel hohe Innovationsanstrengungen sind, um eine Gesellschaft vorwärts zu bringen. Die entsprechenden Eliten haben einen großen Einfluss. Trotzdem haben wir eine soziale Marktwirtschaft und viele Vertreter der Eliten finden das auch gut so. Anfang diesen Jahres wurde auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos die sich öffnende Schere als eines der größten Probleme identifiziert, mit denen die offene weltweite Markt- und Gesellschaftsstruktur konfrontiert ist. Gerade die Eliten haben am meisten zu verlieren, wenn diese offene globale Struktur unter Druck kommt, wie sich das heute teilweise andeutet. Insofern ist für diese Eliten zumindest klar, dass eine ausreichende finanzielle Basis für alle Bürger sicherzustellen ist. Dafür argumentieren auch Google, Facebook, Amazon und andere große internationalen Player im IT-Bereich. Wobei diese allerdings sehr gut darin sind, viel und gut zu verdienen, aber nicht viel Steuern zu zahlen, auch nicht die Steuern zur Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens bereitzustellen. Das sollten dann schon die anderen machen.
Sehen Sie heute in Europa politische Kräfte, die ihre Vision teilen und wenn ja wo und welche?
Die internationale, wie insbesondere die europäische Position in Bezug auf das Ökonomische ist heute die sogenannte „green and inclusive economy“. Von UN über Weltbank und IWF bis hin zur Organisation der reichen Staaten, der OECD, ist das die Ausrichtung. Das entspricht einer weltweiten Ökologisch-sozialen Marktwirtschaft, für die ich seit Jahren eintrete und deren wichtigster Vertreter und Initiator im Beriech der Politik der frühere österreichische Vizekanzler Josef Riegler ist. Diese intellektuelle Positionierung alleine reicht aber nicht aus. Denn die gültigen rechtlichen Gegebenheiten stammen in der Regel aus der Zeit vor der Finanzkrise, sind also stark von der Idee des „freien“ Marktes her geprägt. Sie werden damit dem intellektuellen Anspruch einer green and inclusive economy nicht gerecht. Auf der Ebene der politischen Positionen ist aber grün und inklusiv heute immerhin der internationale Standard-Denkrahmen für das Ökonomische. Für Überlegungen von der Art, wie ich sie hier beschrieben haben, kann man insgesamt feststellen: diese sind heute Mainstream. Es gibt kaum Akteure, die gegen diese Art von Positionierung argumentieren. Die Probleme liegen im Detail, sie liegen in der Umsetzung und bei den Problemen internationaler Abstimmung beziehungsweise in Mechanismen internationaler Steuervermeidung, die starke Akteure gerne nutzen, und den Zumutungen durch Steuerparadiese. Das alles ist schwer zu verändern, obwohl in der Politik praktisch alle angeblich diese Änderungen begrüßen würden. Einiges ist in internationalen Anstrengungen auch passiert, aber der Teufel liegt im Detail und es ist noch viel zu tun.
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