"Klarnamenpflicht ist die billigste Lösung"
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
Dass Diskussionen im Internet kein Kindergeburtstag sind, zeigten in Österreich in den vergangenen Monaten Shitstorms, die über Frauenministerin Heinisch-Hosek oder die Ö3 Moderatorin Elke Lichtenegger hereinbrachen. Obwohl viele der unappetitlichen Meinungsäußerungen im Zusammenhang Töchtern in der Bundeshymne und österreichische Musik auf Ö3 durchaus unter Klarnamen getätigt wurden, forderte eine Altherrenriege aus der Medien- und PR-Branche die Einführung einer Klarnamenpflicht in den Foren österreichischer Online-Medien. Die Online-Ausgabe des Nachrichtenmagazins "profil" hält seine Nutzer seit Anfang August dazu an, unter ihrem richtigen Namen zu posten.
"Die Klarnamenpflicht ist ein erster Schritt und ein Signal", sagte "profil"-Journalist Sebastian Hofer am Donnerstag beim Internet Summit des Verbandes der österreichischen Internet-Anbieter (ISPA) in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Man hoffe dadurch, bessere Debatten zu erreichen. Die Klarnamenpflicht werde aber sicherlich keine Shitstorms verhindern oder Trolle verjagen, räumte Hofer ein. Zwar sei es zu früh, um die Maßnahme zu evaluieren, einen Einbruch der Nutzerzahlen in den profil-Foren habe es aber nicht gegeben.
"Klarnamen lösen keine Probleme"
Die Klarnamenpflicht werde deshalb gefordert, weil sie die billigste Lösung sei, sagte die "Falter"-Journalistin Ingrid Brodnig, die sich in ihrem im Februar veröffentlichten Buch "Der unsichtbare Mensch" mit der Anonymität im Netz auseinandersetzt (futurezone-Interview). Probleme löse sie aber keine.
"Anonymität ist nicht der einzige Grund, warum wir den Hass online sehen", sagte Brodnig zuvor in ihrer Keynote. Es sei an der Zeit Unterhaltungen im Internet zu überdenken. Dass immer die zuletzt geposteten Kommentare an erster Stelle zu finden seien, sei ein Relikt aus den 90er Jahren. "Wir müssen es schaffen, differenzierte Stimmen sichtbar zu machen." Website-Betreiber und Online-Medien müssten sich auch die Frage stellen, warum sie überhaupt Foren betreiben und was sie damit erreichen wollen. "Viele Betreiber glauben, Foren würden sich selbst organisieren. Das funktioniert aber nicht."
Alternativ-Modelle
Lösungen seien etwa das Moderieren von Foren anhand von Regeln, die für die Nutzer nachvollziehbar seien, wie es etwa bei der Zeit online passiere, oder die Unterstützung von fixen Online-Identitäten: "Die Leute sollen auf ihr Pseudonym stolz sein."
Zur Sprache kam auch ein vor kurzem von der Online-Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung" eingeführtes Modell, das vorsieht, dass täglich nur zu drei Artikel Foren aufgemacht werden, in denen die Redaktion auch moderiert. "Das ist ein ehrlicher Umgang", sagte Brodnig. Meinungsfreiheit bedeute nicht, dass man an jedem Ort Gehör finden müsse. "Die Süddeutsche Zeitung möchte dort, wo es für sie wichtig ist, eine Debatte führen, bei der vielleicht etwas rauskommt." Klarnamen würden dazu aber nicht verlangt.
"Aus Klarnamen erwachsen Nachteile"
"Aus der Klarnamenpflicht erwachsen jedem Einzelnen Nachteile", sagte der Berater Jonas Westpahl, der im Programmbeirat "Digitale Gesellschaft" des Parteivorstands der SPD sitzt: "Sie muss abgelehnt werden."
Mit Online-Foren gebe es eine neue Dimension von Öffentlichkeit, die anders funktioniere wie die klassische Öffentlichkeit, sagte Westpahl: "Wir müssen uns überlegen, wie wir damit umgehen. Wir brauchen neue Formate, in denen Diskussionskultur gelebt wird."
Die Gesellschaft brauche auch ein Recht auf Pseudonyme, meinte der Berater. "Um den Einzelnen vor Überwachung zu schützen, ist technisch mehr Anonymität notwendig."
Denn nach den Enthüllungen über die Internet-Überwachung durch Edward Snowden sei das Netz "eine groteske Übertreibung von Orwells 1984". Alles könne gefunden werden. Daten würden gesammelt, analysiert und für "später" aufbewahrt. Die Welt nach Snowden sei weder pseudonym noch anonym: "Big Data macht die Suche nach der Nadel im Heuhaufen möglich."
"Daten nicht zu schützen"
Jörg Bauer von der Suchmaschine Ixquick, die die Daten ihrer Nutzer nicht erfasst oder speichert, gab zu bedenken, dass die Daten der Nutzer nicht zu schützen seien. "Allein unter diesem Aspekt ist eine Klarnamenpflicht abzulehnen."
Pepi Zawodsky von der Austrian Privacy Foundation, warnte vor dem umfangreichen Nutzer-Tracking im Netz. Nutzer könnten auch aus anonymisierten Daten identifiziert werden. "Es gibt enorme Möglichkeiten, Profile über Personen zu erstellen. Für Nutzer ist es schwer, sich davor zu schützen." Die Massenüberwachung durch Internet-Firmen und Geheimdienste könne aber erschwert werden, sagte der System Administrator. Etwa durch Verschlüsselung. Die Benutzbarkeit von Kryptosoftware müsse jedoch verbessert werden. "Viel ist für die breite Masse nicht tauglich."
Man müsse früh anfangen, und bereits in der Schule entsprechende Fertigkeiten vermittelten, sagte Ixquick-Sprecher Bauer. Mit Kindern anzufangen sei ein guter Ansatz, entgegnete Zawodsky: "Das gibt Hoffnung, dass es auch die Eltern von ihnen doch noch lernen."
Kommentare