MP3-Erfinder Karlheinz Brandenburg im Interview mit der futurezone
MP3-Erfinder Karlheinz Brandenburg im Interview mit der futurezone
© /Fraunhofer IDMT

Karlheinz Brandenburg

MP3-Erfinder: „Guter Klang ist oft Einbildung"

futurezone: Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit digitaler Klang- und Musikwiedergabe. Was bedeutet perfekter Klang für Sie?
Brandenburg: Der „perfekte Klang“ ist natürlich eine Kunstidee. In Wahrheit geht es darum in einem Raum eine derart perfekte Illusion zu erzeugen, dass der Hörer nicht mehr unterscheiden kann, ob das Gehörte reproduziert oder live erlebt wird.

Wie gut gelingt das heute schon?
Bei monauralen Aufnahmen, also Aufnahme und Wiedergabe über einen Kanal, geht das schon problemlos. Schwieriger wird es, wenn man mit dreidimensionalen Ton- und Klangeffekten arbeitet, etwa um eine Dschungelsituation oder ein Gewitter in einem Raum so glaubhaft zu erzeugen, dass man tatsächlich glaubt, man sitzt draußen im Freien.

Geht das in die Richtung, die Dolby mit Atmos eingeschlagen hat?
Ja, wenngleich Dolby in diesem Fall leider nicht unsere Technologie lizenziert hat. Wir waren ursprünglich eigentlich vor Dolby dran, aber gegen 150 Millionen Dollar PR-Budget kommt man als Fraunhofer-Institut schwer an. All diesen Entwicklungen gemein ist, dass wir uns immer noch in der Einführungsphase befinden.

Sind Ihre 3D-Audiotechnologien schon irgendwo im Einsatz?
Ja, vorwiegend im Profi-Bereich, etwa in den Bavaria Filmstudios, in Planetarien und einzelnen 4D-Erlebniskinos sowie auf den Seebühnen der Bregenzer Festspiele und in Mörbisch. Dort geht es darum, dass die Sänger von den 7000 Zuschauern an der Stelle der teils riesigen Bühnen zu hören sind, wo sie sich auch tatsächlich befinden. Darüber hinaus wird der aufgenommene Gesamtklang wie ein virtueller Konzertsaal gerechnet, inklusive fiktiver Wandreflexionen. Das gehört zum Konzertsaalerlebnis einfach dazu.

Das klingt aber auch ein Stück weit nach antrainiertem Hörerverhalten.
Hören ist kontextsensitiv, das exakt selbe Audiosignal in unterschiedlicher Umgebung lässt Menschen tatsächlich völlig andere Dinge hören. Das beweist auch der sogenannte McGurk-Effekt: Wird die Audioaufnahme einer Silbe mit einem Video kombiniert, das eine abweichende Mundbewegung zeigt, hört man plötzlich eine andere Silbe, als wenn man die Audioaufnahme mit geschlossenen Augen anhört. Das hat mit der Verarbeitung von Klängen im Gehirn zu tun.

Das heißt, Klang kann man sich auch einbilden?
Wenn ich für 2000 Euro Kabel für eine Stereoanlage kaufe und das wohlige Gefühl habe, dass es besser klingen wird, dann werde ich den besseren Klang auch tatsächlich so wahrnehmen. Blindtest darf man halt keinen machen.

Was halten Sie von Neil Youngs Pono-Projekt, das unkomprimierter digitaler Musik mit eigenem Player und Lossless-Store zum Durchbruch verhelfen soll.
Bei der Diskussion um digitale Formate und Musikqualität wird viel Unsinn erzählt. Aber wenn jemand für das Falsche Geld ausgeben möchte, habe ich kein Problem damit. Ich persönlich würde ja eher in Lautsprecher oder neutral klingende Kopfhörer investieren. Lossless hat für Archivzwecke Berechtigung, da ich später einmal die Freiheit habe, mit der Datei zu machen, was ich will.

Offenbar ist das Bedürfnis bei vielen Menschen aber da, Musik auch im digitalen Zeitalter in bestmöglicher Qualität zu hören – das zeigt ja auch, dass Pono das dritterfolgreichste Kickstarter-Projekt aller Zeiten wurde.
Da hab ich sehr viel Sympathie dafür und wenn aus dieser Begeisterung im Gehirn ein besserer Genuss der Musik entsteht, warum nicht? Wissenschaftlich und technisch gesehen, macht es allerdings keinen Sinn. Das ist vergleichbar mit der Wirkung, die manche Marken auf Konsumenten haben. Das hat allerdings viel mehr mit Psychologie als mit Technik zu tun.

Neben dem Lossless-Format FLAC propagiert Neil Young auch Hi-res-Audio mit 192 kHz und 24 bit, was auch die Qualität von herkömmlichen CDs (44,1 kHz, 16 bit) übertreffen soll. Wie berurteilen Sie die auch in der Fachwelt emotional geführte Diskussion?
Das ist seit langem ein Glaubenskrieg. Es gibt gute Gründe, warum das bei der Aufnahme im Studio Sinn macht, einfach auch um Spielraum bei der Weiterverarbeitung, etwa als Aussteuerungsreserve, zu haben. Fakt ist aber auch, eine Wiedergabe mit 44,1 oder 48 kHz und 16 bit ist so nahe an der theoretischen Grenze der Hörfähigkeiten des Menschen, dass der zusätzliche Aufwand eigentlich nicht notwendig ist.

Kann das menschliche Ohr Frequenzen jenseits der 50 kHz überhaupt hören?
In jungen Jahren können Menschen einzelne laute Töne bis maximal 21 kHz hören. Im Tongemisch ist es aber so, dass im Normalfall schon ab 16 kHz Schluss ist und in Testversuchen statistisch nicht erwiesen werden konnte, dass eine 20-kHz-Aufnahme von einer 16-kHz-Aufnahme unterschieden werden kann.

Auch wenn Hi-res-Audio umstritten sein mag – können MP3s für audiophile Hörer jemals eine Alternative sein?
Wenn das Ausgangsmaterial passt und die Bitrate hoch genug ist, ja. Wenn ich etwa im Auto oder im Zug unterwegs bin, reichen oftmals schon 128 kbit, ab 192 kbit tun sich sehr viele Leute schon schwer, den Unterschied zu einer CD zu hören. 256 kbit sind bei MP3 das höchste, was sinnvoll ist, danach wird es nicht mehr viel besser.

Und das reicht für eine teure Musikanlage mit guten Boxen?
Da würde ich persönlich auf AAC (das MP3-Nachfolgeformat, Anm.) setzen, da das Format noch besser skaliert. Bei Bitraten von 256 kbit ist es selbst für trainierte Ohren praktisch ausgeschlossen, einen Unterschied zu unkomprimierter Musik wahrzunehmen. Dazu kommt: Wenn der Raum bzw. das Zusammenspiel der Lautsprecher nicht passt, ist es egal, ob ich eine 20.000-Euro-Anlage besitze. Und dann ist auch die Diskussion über Hi-res-Audio müßig.

Woher erklären Sie sich das negative Image der MP3 bei audiophilen Personen?
Immer noch sind wie etwa im Webradio-Streaming teilweise Files mit schauderhafter Qualität – etwa MP3, 64 kbit – im Umlauf. Zudem beeinflusst die negative Erwartung, wie bereits erwähnt, auch die Wahrnehmung. In Wahrheit ist es aber so, dass selbst wenn Leute unterwegs MP3 mit nur 192 kbit hören, sie immer noch eine höhere Tonqualität genießen, als es früher mit portablen Abspielgeräten, wie Walkmans, jemals möglich war.

MP3-Erfinder Karlheinz Brandenburg sagt dem Format eine lange Zukunft voraus
Kann der empfundene Qualitätsverlust beim Klang von Musik auch damit zu tun haben, dass heute von vornherein für kleine Kopfhörer und portable Musikplayer abgemischt wird und solche Musikstücke auf guten Anlagen generell weniger Nuancen aufweisen?
Tatsächlich ist es so, dass durch den Boom im FM-Radiobereich, wo die einzelnen Sender über Lautstärke auf sich aufmerksam machen müssen – Stichwort „Loudness Wars“, die Dynamik künstlich ruiniert wurde. Mittlerweile wird auch für CD-Aufnahmen fast immer voll ausgesteuert, der mittlere Unterschied zwischen maximaler und mittlerer Lautstärke ist viel geringer als früher, Pianissimos gibt es überhaupt keine mehr. Auch da gibt es aber bereits eine Gegenbewegung, welche die Dynamik zurück in die Musik bringen will.

Rückblickend betrachtet, gibt es Momente, in denen Ihnen der weltweite Siegeszug der MP3 als bedeutendstes digitales Musikformat unwirklich vorkommt?
Manchmal ist es wirklich noch so, dass ich mich in den Arm zwicke und mich frage, stimmt das wirklich, waren wir das? Tatsächlich musste ja alles zusammenspielen. Die beste Fraunhofer-Technik hätte nicht gereicht, wenn die Konkurrenten den Markt verstanden und nicht das Falsche getan hätten.

Was hat Fraunhofer richtig gemacht?
De facto haben wir schon 1994 auf die Mechanismen des Internets gesetzt, Demoprogramme verteilt sowie später auch nichts gegen die kostenlose Verbreitung von Abspielprogrammen unternommen. Firmen, die Programme gegen Bezahlung verbreiten wollten, wurden mit einer relativ niedrigen Einmalzahlung lizenziet. Und auch der Social-Media-Aspekt war schon mit dabei – durch unsere aktive Präsenz in Netnews-Foren.

Zur Person

Karlheinz Brandenburg gilt als einer der Vorreiter bei der Musikverbreitung im Internet. Mit Kollegen des Fraunhofer Instituts entwickelte er ab den 1980er- Jahren Kompressionsverfahren für digitale Musik, aus denen schließlich das MP3- und AAC-Format hervorgingen. Diese ermöglichen wesentlich kleinere Dateien bei kaum wahrnehmbaren Einbußen der Audioqualität.

Veranstaltungstipp:

Karlheinz Brandenburg ist am 23. Oktober um 18.15 im Rahmen der Hedy Lamarr Lectures im Festsaal der Akademie der Wissenschaften in Wien als Vortragender zu Gast.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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