Dark Season 2

Dark, Season 2

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Netflix: Warum Amerikaner plötzlich deutsche Serien schauen

Altbackene deutsche Krimi-Serien, die im Hauptabendprogramm mit hölzernen Dialogen und bemühten Handlungssträngen auf die alternde Stammseherschaft losgelassen werden, waren gestern. Angestachelt durch den globalen Erfolg von europäischen Produktionen wie der deutschen Sci-fi-Mystery-Serie Dark, investiert Netflix kräftig in Film- und Serienprojekte außerhalb der USA und ordnet damit die TV-Landschaft neu. Und das offenbar mit Nachdruck: 90 Prozent der Dark-Seher sind außerhalb Deutschlands zu finden.

Unter den zehn neuen europäischen Produktionen, die am Mittwoch in Rom bekanntgegeben wurden, ist eine Serienadaption des 2008 gedrehten deutschen Erfolgsfilms "Die Welle". Nach „Dark“ und der in Kürze startenden Serie „Dogs of Berlin“ ist es bereits die dritte Produktion, die in Deutschland für Netflix produziert wurde. Dass internationale Produktionen erstmals auch im US-Markt über ein Nischenpublikum hinaus Millionen von Sehern finden, verblüfft selbst europäische Schauspielerpersönlichkeiten, die den Sprung nach Hollywood bereits geschafft haben.

Daniel Brühl: "Einfach unglaublich"

„Dass Amerikaner jetzt TV-Serien auf Deutsch mit Untertitel schauen, ist einfach unglaublich“, sagt Daniel Brühl zur futurezone. Als jemand, der mit sehr mittelmäßigem nationalen Fernsehen aufgewachsen sei, schätze er diese Entwicklung ganz besonders. „Das ist eine großartige Möglichkeit für die vielen Talente, die es natürlich auch bei uns gibt. Viele Beteiligte an ‚Dark‘ oder ‚Dogs of Berlin‘ sind Freunde und Kollegen von mir. Zu wissen, dass deren Arbeit nun auf der ganzen Welt gesehen und geschätzt wird, ist einfach nur toll“, sagt Brühl, der selbst als Hauptdarsteller der neuen Netflix-Serie "The Alienist" am Start steht.

Daniel Brühl

Deutschland ist nicht das einzige Land, das im aktuellen internationalen Netflix-Line-up prominent vertreten ist. Ebenfalls noch in diesem Jahr wird mit "1983" die erste polnische Serie veröffentlicht, die in einer fiktiven Parallelwelt ausleuchtet, was ohne Zusammenbruch des eisernen Vorhangs geschehen wäre. In der ebenfalls geplanten Serie „Protector“ findet sich erstmals eine in der Türkei gedrehte Serie, in der Superheld Hakan Istanbul vor bösen Mächten beschützen muss. Italienische ("Suburra", "Baby", "Luna Nera"), spanische ("La Casa de Papal", "Elite", "Paquita Salas") und französische Serien (unter anderem "Mortel") sowie die erste dänische ("The Rain") und eine noch namenlose holländische Produktion runden das internationale Netflix-Angebot ab.

„In Polen, wie auch im Rest von Europa war die TV-Landschaft bisher ziemlich langweilig. Alles ist ein bisschen provinziell, man bleibt, wo man ist, reist nicht und schaut folglich auch nicht über den eigenen Tellerrand“, sagt die Oscar-nominierte polnische Regisseurin Agnieszka Holland, welche bei „1983“ zusammen mit ihrer Tochter Kasia Adamik Regie führt. Mit Netflix, das hervorragende technische Produktionsstandards, aber auch hochqualitative Drehbücher mitbringe, würden diese nationalen Produktionen auf ein neues Level gehoben. „Die Kunst bleibt, ein globales Publikum anzusprechen und dabei aber nicht die eigene nationale Identität zu verlieren“, sagt Holland.

Aha-Effekt für US-Seher

Die Ausstrahlung von vielen nicht englischsprachigen Netflix-Produktionen in den USA hat einige spannende Nebeneffekte. Denn waren internationale Filme in Originalsprache mit Untertitel zumindest als Nischenthema etabliert, wurden derartige Produktionen praktisch nie ins Englische synchronisiert. Anders als in Europa, wo das Synchronisieren seit Jahrzehnten gang und gäbe ist, war das Konzept in den USA fremd. Auch der etwa im deutschsprachigen Raum sehr professionell betriebene Berufszweig existierte in den USA praktisch gar nicht. Das war auch mit ein Grund, warum fremdsprachige Produktionen es nie zu einem amerikanischen Massenpublikum schafften.

Durch Netflix ändert sich das nun: Die deutsche Serie „Dark“ wird in den USA von 80 Prozent der Zuschauer in englischer Sprache verfolgt. Der nicht unbeträchtliche Rest schaut aber tatsächlich auf Deutsch oder auf Deutsch mit englischen Untertiteln. Im Fall der in Kürze verfügbaren dänischen Serie „The Rain“ griffen die Produzenten auf die Englischkenntnisse der Schauspieler zurück. Im Anschluss an die Dreharbeiten in dänischer Sprache synchronisierten die Originalschauspieler ihre Rollen auf Englisch. Netflix-User können - unabhängig von ihrem Länder-Profil - auswählen, in welcher Sprache und welchen Untertitel (sofern verfügbar) sie eine Produktion sehen wollen.

Wenn Englisch doch cooler ist

Dass aber auch nicht automatisch immer die eigene Muttersprache die bessere Wahl ist, wenn es darum geht, eine Serie bei heimischem Publikum zu vermarkten, fanden die Netflix-Verantwortlichen im Rahmen von einigen Tests heraus. So sprach der Serientitel „Friends from College“ 21 Prozent mehr Nutzer in den Niederlanden und immerhin noch 14 Prozent mehr Leute in Frankreich an, als eine entsprechende Übersetzung in holländisch oder französisch. Beim spanischen Titel „Las Chicas del Cable“ war es hingegen umgekehrt. Der übersetzte Titel „Cable Girls“ sprach 22 Prozent mehr US-Amerikaner als die spanische Version an. Und auch der deutsche Titel „Die Telefonistinnen“ lockte immerhin noch 16 Prozent mehr Seher an als der Originaltitel.

In den kommenden Jahren will Netflix die Investitionen in internationale Produktionen weiter vorantreiben und so die Sprach- und Kulturgrenzen der Film- und TV-Industrie weiter aufbrechen. Aktuell sind Netflix zufolge 35.000 Menschen in über 100 Projekten in Europa, dem Nahen Osten und Afrika beschäftigt. Die Plattform verfügt über 125 Millionen Haushalte, in denen Netflix genutzt wird. Insgesamt beläuft sich die Zahl an Nutzerprofilen auf etwa 300 Millionen, teilte Netflix am Mittwoch mit.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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