Netz-Initiative will mehr Frauen auf die Podien bringen
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Seit zwei Jahren gibt es mit speakerinnen.org eine Plattform im Netz, bei der sich Frauen eintragen können, die Vorträge auf Konferenzen und Events halten können und wollen. Mittlerweile sind auf speakerinnen.org mehr als 1000 Frauen gelistet. Initiiert wurde das Projekt von der deutschen Netzaktivistin und Politologin Anne Roth sowie Ruby on Rails-Entwicklerin und Projektmanagerin Maren Heltsche.
Die Plattform soll als Anlaufstelle für Veranstalterinnen und Veranstalter dienen, die Schwierigkeiten haben, Frauen für ihre Veranstaltung als Vortragende zu gewinnen oder zu finden. Dass Events oftmals noch reine Männerspielwiesen sind, zeigt zudem das Projekt "50 Prozent". In Berlin wird der zweite Geburtstag am 8. März auch gefeiert. Die futurezone bat die beiden Projekt-Initiatorinnen zum Interview gebeten.
futurezone: Seit zwei Jahren gibt es euer Non-Profit-Projekt Speakerinnen.org jetzt bereits. Wie kam es ursprünglich zu der Idee?
Anne Roth: Der Ursprung war die Unzufriedenheit damit, dass bei fast allen Events, Talkshows, Radio-Sendungen, bei denen es nicht explizit um Frauen, Familie, Pflege oder Kinder geht, viel mehr oder nur Männer reden. Ganz besonders natürlich bei IT-Themen. Ich zähle und dokumentiere das schon lange in einem Blog und mit dem Netzfeminismus kam auch eine Debatte zu diesem Thema auf.
Wenn du Veranstalterinnen und Veranstalter kritisierst, kommt meist ganz schnell die Rückfrage: Kennt ihr denn Expertinnen zum Thema XY, oft mit leicht vorwurfsvollem Unterton, weil das ja so schwierig sei. Kennen wir außer bei unseren eigenen Themen natürlich nicht, und so entstand die Idee, eine Datenbank anzubieten, auf die wir verweisen können, wenn die Frage mal wieder auftaucht.
Wie ging es dann an die Umsetzung des Projekts?
Anne: Es gab am Anfang ein öffentliches Treffen, und da kam Anja von den Railsgirls. Die Railsgirls-Gruppe Rubymonstas hat sich dann an die Arbeit gemacht und ein knappes Jahr später war das Projekt soweit, dass es starten konnte. Ein bisschen provisorisch sind wir am 8. März 2014 online gegangen.
Maren Heltsche: Das Ganze war ein Lernprojekt einer Gruppe von Frauen, die Programmieren lernten. Anja und ich begleiteten das Projekt dann weiter als Programmiererinnen.
Wie zufrieden seid ihr damit?
Maren: Es ist großartig zu sehen, wie das, wie das Projekt angenommen wird und wie viel positives Feedback wir darauf erhalten. Außerdem fühlt es sich auch toll an, unseren eigenen Lernfortschritt zu erkennen: im Programmieren, aber auch in der kollaborativen Zusammenarbeit an einem Open Source-Projekt.
Seit etwa einem Jahr haben wir auch Unterstützung von zwei Frauen, die das Projekt kommunikativ weiter voran bringen. Gerade hier merken wir, wie kleine kommunikative Maßnahmen helfen, größere Aufmerksamkeit für das Thema Frauen auf den Bühnen allgemein, aber auch konkret für die Datenbank herzustellen.
Zwei Jahre später haben sich mehr als 1000 Frauen registriert. Was ist als Feedback zurück gekommen?
Maren: Wir bekommen viele positive Rückmeldungen über erfolgreiche Vermittlungen zwischen Konferenzen und Sprecherinnen, aber auch zwischen Medien und Expertinnen. Tatsächlich nutzen auch viele Journalistinnen und Journalisten die Plattform für ihre Recherchen nach Gesprächspartnerinnen.
Hat sich auf den Podien dieser Welt schon etwas geändert?
Maren: Das ist schwer zu sagen, leider gibt es dazu ja keinen Zensus. Ich habe allerdings den Eindruck, dass sich im Denken und Bewusstsein darüber etwas bewegt. Selbst wenn es nur wenigen Konferenzen gelingt, eine 50/50-Verteilung ihrer Gäste hinzubekommen, gibt es doch immer mehr, die sich ehrlich darum bemühen und darauf hinarbeiten. Eine gut durchsuchbare Liste wie speakerinnen.org ist da schon ein guter Anfang. Abseits dessen hilft es natürlich offen über einen Call-for-Papers nach Sprecherinnen und Sprechern für eine Konferenz zu suchen und Frauen konkret zu ermutigen, teilzunehmen.
Ihr habt mit 50 Prozent auch eine weitere Initiative geschaffen – in der ihr plakativ aufzeigt, welche Veranstaltungen welchen Anteil an Rednern verzeichnen. Was wollt ihr damit erreichen?
Anne: Die 50-Prozent-Datenbank ist seit Dezember 2015 ein Teilprojekt der Speakerinnen-Liste, aber gezählt wird schon viel länger. Ich mache das, seit ich im Studium mal ein Buch darüber las, dass Lehrerinnen und Lehrer häufig den Eindruck haben, dass sie Mädchen und Jungen im Unterricht gleich viel dran nehmen, aber tatsächlich reden die Jungs in zwei Drittel der Zeit.
Damals habe ich angefangen nachzuzählen, wenn ich den Eindruck hatte, dass viel mehr Männer zu Wort kommen. Im April 2013 habe ich angefangen, die Zahlen in einem Blog zu dokumentieren, aber immer von einer richtigen Online-Datenbank geträumt. Ich bin sehr froh, dass wir die jetzt haben, weil es damit viel einfacher für andere ist, zu zählen und die Events gleich selbst einzutragen.
Wie reagieren die Veranstalter darauf, wenn sie auf die Tatsache, dass keine Frauen zu Wort kommen, aufmerksam gemacht werden?
Anne: Viele reagieren gar nicht. Die Standard-Antwort ist: Wir wollten ja, aber wir haben keine Frauen gefunden. Oder: Dafür haben wir ganz viele Frauen im Organisationsteam, oder: als Moderatorinnen. Viele sagen auch, dass sie Frauen gefragt haben, aber dass alle abgesagt haben.
Das stimmt vermutlich alles, aber dann heißt das eben, dass mehr Anstrengungen nötig sind, oder vielleicht einfach neue Konzepte, wie Veranstaltungen organisiert werden. Wenn wir nicht in einer Gesellschaft leben wollen, in denen Jungen und Mädchen, junge Männer und Frauen lernen, dass Männer viel mehr zu sagen haben, dann müssen wir darüber nachdenken, wie wir hinkriegen, dass mehr Frauen an die Mikros kommen.
Es gibt dafür Ansätze, aber die sind nicht sehr bekannt und kosten mehr Zeit und Mühe, schon allein, weil etwas Neues probiert werden muss. Mein Verdacht ist, dass sehr viele Veranstaltungen mit der immer gleichen Liste von Experten und guten Freunden der Veranstalterinnen und Veranstaltern geplant werden, der Old-Boys-Club.
Von 13.223 Vortragenden der gelisteten Events insgesamt waren davon 3548 Frauen. Das sind 26,83 Prozent. Warum seid ihr für eine 50 Prozent Quote?
Anne: Sind wir gar nicht erklärtermaßen. Das wollen wir tatsächlich allen selbst überlassen, Quoten-Diskussionen sind ja in der Regel eher unerfreulich. Wir stellen nur fest, dass Frauen von Natur nicht dümmer sind und dass es deswegen keinen Grund gibt, warum sie nicht zu 50 Prozent auf Bühnen zu finden sein sollten.
Maren: Ich finde die 50 Prozent eine gute Zielmarke. Frauen machen etwa 50 Prozent der Bevölkerung aus, warum sollten sie nicht auch zu 50 Prozent an öffentlichen Diskursen beteiligt sein. Sicher ist das in einigen Branchen schwieriger, in denen der Anteil der Frauen bereits sehr gering ist. Aber ich war auch schon auf einigen Tech-Konferenzen, die eine 50/50 Verteilung der Speakerinnen und Speaker hatten.
Frauen sehen sich oft selbst nicht von sich als potentielle Vortragende. Nur wenn sie sich ihrer Kompetenzen wirklich sicher sind, ziehen sie sich in Betracht, während Männer oftmals über alles sprechen und sich alles von vornherein zutrauen, ergeben Studien. Kann man diesem Phänomen entgegen wirken, also Frauen mehr Selbstvertrauen geben?
Anne: Ich glaube nicht, dass mangelnde Selbstsicherheit so ein entscheidender Grund ist. Klar, Männer sind oft mehr von sich überzeugt, das ist ja hinreichend beschrieben. Aber Frauen, die ein Thema haben, haben vielleicht noch andere Gründe, warum sie nicht sofort 'Hier' schreien, wenn in die Runde gefragt wird, wer dazu was vortragen möchte. Sie fragen sich eher: Lohnt sich das für mich? Die Anfrage ist vielleicht nicht genau zu ihrem Thema, sondern nur grob verwandt: um das vernünftig vorzustellen, ist einige Vorbereitungszeit nötig, die Bezahlung ist schlecht oder vielleicht gibt es auch gar kein Geld und die Zeit fehlt dann woanders. Wenn dann der Geltungsdrang weniger stark ist, dann lebt es sich ohne das Podium vielleicht einfach besser.
Im Umkehrschluss heißt das: Veranstaltungen müssen attraktiver werden, wenn sie weniger homogen und damit vielleicht ja auch interessanter werden wollen.
Maren: Mir kommt das Thema mangelndes Selbstvertrauen und eng damit verbunden wenig Übung mit Bühnenauftritten schon häufiger unter (auch bei Männern, die ich persönlich gerne mal auf der Bühne sehen würde). Dagegen kann man beispielsweise angehen, in dem man sich ein Netzwerk an Menschen schafft, die einen ermutigen und unterstützen. Ich bin auch bei den Digital Media Women aktiv, die genau das zum Ziel haben - Frauen in ihrem professionellen Umfeld sichtbarer zu machen. Dazu gehört auch, Umfelder zu schaffen, in denen man sich ausprobieren kann und Angebote, um die entsprechenden Skills zu erwerben.
Was sind die Zukunftspläne für speakerinnen.org?
Maren: Wir wollen auf jeden Fall noch weiter wachsen und noch mehr Frauen in unterschiedlichen Themenfeldern listen. Es wäre auch schön, wenn sich international noch mehr Frauen registrierten. Unsere 1000. Speakerin war eine Software-Entwicklern aus Indien. Das ist doch schon mal ein gutes Zeichen.
Sind für Speakerinnen.org noch Adaptionen technischer Natur geplant oder bleibt die Plattform so wie sie ist?
Maren: Wir haben inzwischen schon eine sehr gute technische Basis, aber so richtig fertig sind Softwareprodukte doch eigentlich nie. Wir haben derzeit über 40 offene Issues auf unserer Liste. Da gibt es einfachere und komplexere Aufgaben. Zwei größere Vorhaben sind die Anpassung der Usability fürs Editieren der Profile im Kontext der mehrsprachigen Nutzung und die Erweiterung der Suchfunktion.
Motivierende Worte für für Frauen, die selbst zur Speakerin werden wollen?
Maren: Die meisten Menschen kostet es Überwindung vor einem großen Publikum zu sprechen. Das geht mir genauso. Meine größte Motivation, es trotzdem zu tun, ist die Möglichkeit gehört zu werden. Wenn man seine Themen auf die Agenda bringen möchte und bestimmte Perspektiven in die öffentliche Diskussion, muss man sich dazu auch entsprechend äußern. Also für alle, die mit dem Gedanken spielen und noch zögern: Go for it! Probiert euch aus - vielleicht erst in einem kleineren Rahmen und dann die große Konferenz. Sucht euch Mitstreiterinnen und Mitstreiter und reicht zusammen ein Paper ein.
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