"Viele Manager verstehen digital einfach nicht"
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futurezone: Was soll man unter dem „progressiven Mann“ verstehen, den Vangardist mit seinem Untertitel „Progressive Men’s Magazine“ propagiert?
Wiehl: Progressiv ist ein Lebensstil, die individuelle Haltung und Entscheidung so zu leben, wie man will, jenseits üblicher Kategorisierungen und festgefahrener Konventionen. Gleichzeitig wussten wir, dass wir mit Vangardist das Thema nicht zu trocken und intellektuell angehen wollten: Ein gut gemachtes Lifestyle-Männermagazin mit hochwertigem Bilder-, Video- und Musik-Content war von Anfang an der Plan.
Vangardist geht recht offensiv mit dem Thema Homosexualität um. In der aktuellen Ausgabe etwa wird ein heterosexueller Mann auf Gay-Cruising-Tour geschickt. Besteht dabei nicht die Gefahr, als Schwulenmagazin abgestempelt zu werden?
Als progressives Medium sind wir an Kategorien wie „Homo“ oder „Hetero“ nicht interessiert, uns geht es um den Mann dahinter. Was macht das „Männlich-Sein“ heute aus? Wenn es bedeutet, dass ein Mann lieber mit einem Mann zusammen ist, dann sollte er das tun. Wir werden als Magazin hier sicher keine Vorgaben machen oder Stereotypen bedienen.
Wann und warum wurde die Entscheidung gefällt, auf ein digitales Online-Magazin zu setzen und auf Alternativen wie einen Blog oder eine klassische Webseite zunächst zu verzichten?
Dass wir Vangardist als digitales Projekt ins Leben rufen wollten, war aufgrund der Kostenfrage von Anfang an klar. Eine gewöhnliche Webseite erschien uns gerade für das Thema Lifestyle und die starke Bild- und Videolastigkeit als zu wenig hochwertig, weswegen wir uns für die Umsetzung des Magazins als Flashbook entschieden haben.
Die Markteinführung des iPads ist dabei sicher nicht ungelegen gekommen. Ein glücklicher Zufall?
Das Timing war in der Tat perfekt. Tablets wie das iPad sind der beste Beweis, dass derartige Gadgets mittlerweile als Lifestyle-Produkte mitten im Consumer-Markt angekommen sind. Das passt gleichzeitig zu unserem Magazin. Mit unserem Fokus auf Bilderstrecken, Videos und Musik bedienen wir genau dieses Lifestyle-Publikum.
Wie finanziert sich Vangardist?
Für den Kick-off haben wir über das Förderprogramm departure der Stadt Wien 15.000 Euro erhalten. Die laufenden Kosten werden in erster Linie durch Werbung und Kooperationen – etwa mit Mode- und Lifestylefirmen bei Fotoshootings - abgedeckt.
Habt ihr Euch die Finanzierung durch Werbekunden unterm Strich einfacher vorgestellt?
Wir waren überrascht, wie vorsichtig Unternehmen bei ihren Werbeausgaben für digitalen Content immer noch sind, wenngleich das Interesse hoch ist. Eine US-Studie hat herausgefunden, dass immer noch 27 Prozent der Gesamt-Werbeausgaben für Print verwendet werden, obwohl die Leute gerade einmal acht Prozent ihrer Freizeit mit gedruckten Zeitungen und Magazinen verbringen. Online hingegen nimmt 19 Prozent vom Gesamt-Werbebudget ein, obwohl die Leute bereits ein Viertel ihrer Freizeit online verbringen.
Welche Erklärung gibt es dafür?
Ich denke, dass viele Unternehmen die Relevanz falsch einschätzen, weil ihre Manager das digitale Geschäft einfach noch immer nicht verstehen. Sie sind nicht in diesem Bereich tätig und glauben, wenn sie Werbung ihrer Firma groß auf einem Billboard oder Plakat sehen, dass das relevant ist – eben weil es weithin sichtbar und physisch greifbarer ist als Online-Werbung.
Kann man über In-App-Verkäufe Geld lukrieren? Sollten Leser für digitalen Content bezahlen?
Natürlich wünscht man sich, dass Leser für hochwertigen digitalen Content auch bezahlen sollten. Wie andere in der Branche haben auch wir mit verschiedenen Modellen experimentiert, vom einmaligen Bezahlen für die App bis hin zu In-App-Käufen für die jeweilige Ausgabe und einem Abo-Modell für sechs Monate. Mit der aktuellen Ausgabe gibt es ab sofort wieder alles kostenlos. Die Reichweite mit 600.000 Page Impressions pro Ausgabe ist werbetechnisch gesehen wichtiger. In Kürze wird Vangardist zudem im digitalen Zeitungskiosk für iPhone und iPad verfügbar sein.
Welche anderen Plattformen bedient Vangardist? Ist eine Android-App in Planung?
Neben der App für iPhone und iPad, die es seit einiger Zeit auch als englische Version gibt, ist Vangardist weiterhin als Flashbook online abrufbar. Darüber hinaus haben wir auch eine Webseite gelauncht, die aktuelle Nachrichten abdeckt. Für Android gibt es bislang noch nicht so viele Anfragen. Als Lifestyle-Magazin war es sicher wichtig, zuerst unsere Marke auf iPhones und iPads zu etablieren.
Wie sieht es mit HTML5 aus? Welche Vorteile würden sich daraus ergeben?
Wir denken, dass HTML5 die Zukunft ist und sind mit unseren Entwicklern bereits mit der Konzeption beschäftigt. Das Magazin soll auf jeden Fall in seiner Form erhalten bleiben, aber noch dynamischer und interaktiver werden. Auch für die Vermarktung ist HTML5 reizvoll. Man könnte damit etwa aktuelle Werbung auf alle Vangardist-Ausgaben parallel ausstrahlen, die jemals erschienen sind und somit weitaus flexibler agieren.
Ist Wien ein guter Boden für eine Start-up-Gründung?
Wien ist ein toller Produktionsstandort. Das kreative Potenzial ist da, und was die Wettbewerbssituation betrifft, ist es natürlich auch leichter, hier herauszustechen als in einer der ganz großen Weltmetropolen. Vom Team her sind wir aber schon jetzt international aufgestellt – für die Reisegeschichten haben wir jeweils einen Redakteur vor Ort, der Textchef sitzt in Mainz, das Lektorat in London. Die technische Entwicklung und Umsetzung sowie Redaktion, Marketing und PR sind in Wien angesiedelt.
Was würde für eine Übersiedlung in eine andere Stadt sprechen?
Ein Firmensitz in London wäre schon reizvoll, weil gerade im Bereich Lifestyle und Mode London in Europa tonangebend ist. Der große Nachteil an Wien ist, dass Österreich im Bereich Lifestyle und Mode einfach nicht wahrgenommen wird. Dazu kommt, dass viele großen Labels wie Hugo Boss, Guess, Strellson, Lacoste oder Pepe Jeans den österreichischen Markt eher von Deutschland aus nur mitbedienen und hier nicht ganz so präsent sind. Ein deutscher Standort wäre da für uns sicher kein Nachteil.
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