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Netdoktor

Web-Portale können den Arzt nicht ersetzen

„Es ist ein ganz natürlicher Reflex, in der heutigen Wissensgesellschaft selbst ein wenig zu recherchieren“, sagt der medizinische Leiter und Geschäftsführer von Österreichs größter
Gesundheitsplattform, Christian Maté. Immerhin habe der Austausch von Informationen, früher eher im Bekanntenkreis, schon immer stattgefunden. Die Inhalte von Netdoktor seien das Ergebnis einer umfangreichen wissenschaftlichen Recherche, so Maté. Er ist stolz, ein großes Netzwerk an Medizinern, Experten und externen Journalisten vorweisen zu können, die diese Texte ständig ergänzen, aktualisieren und sogar angefragte Laborwerte analysieren.

Health Communities
Durch die Entstehung von sozialen Netzwerken werden medizinische Probleme immer öfter vor einem breiteren Publikum diskutiert. Der Austausch von Information und Erfahrung ist für viele Patienten unersetzlich. Gerade Menschen, die unter einer seltenen Krankheit leiden, haben somit den Vorteil, leichter jemanden zu finden, der ein ähnliches Schicksal zu tragen hat und mentale Unterstützung liefern kann.

Maté erzählt im futurezone-Interview, dass viele Patienten im Moment der Diagnose emotional so ergriffen sind, dass sie nie alle Informationen vollständig erfassen, selbst wenn sich der Arzt viel Zeit nimmt. In diesem Fall ist das Nachlesen im Internet ergänzend zum Arztbesuch äußerst hilfreich und soll die wichtigsten Fragen noch einmal beantworten: Was bedeutet diese Krankheit? Wogegen helfen die verschriebenen Medikamente?

Außerdem sind medizinische Portale für chronische Patienten, die über eine lange Zeit mit einer Krankheit umgehen müssen, besonders wichtig. Hier gilt es, besondere Umstände zu beachten: Was gibt es Neues in der medizinischen Forschung? Geht es mir so gut, wie es mir eigentlich gehen könnte?

Kein Ersatz für den Arzt
Es scheint fast so, als ob die Web-Portale alle nötigen Informationen und mentale Unterstützung bieten, die auch ein Arzt bieten kann. Doch diese Behauptung streitet Christian Maté vehement ab. „Das Medizinstudium ist sehr anspruchsvoll und dauert nicht umsonst so lange“, weiß der studierte Mediziner. Viele Leute, denen die Wartezeit auf den Arzttermin zu lange ist und die gleich vorab recherchieren, stoßen oft auf einen Überfluss an Information und ziehen voreilige Schlüsse.

Gerade in den USA bieten viele Gesundheitswebsites wie CureTogether oder PatientsLikeMe Suchfunktionen an, bei denen man seine Beschwerden eingibt und das System eine mögliche
Behandlung vorschlägt. „Dinge, die in diese Richtung gehen, halte ich für absolut fahrlässig“, so Maté und meidet diesen Service bewusst auf seiner Seite. Es sei eine sehr heikle Situation, wenn Personen bei manchen, nicht immer erfreulichen Ergebnissen mit sich alleine gelassen sind.

Cyberchondria
„Natürlich bieten die medizinischen Web-Portale ein neues Spielfeld für hypochondrisch veranlagte Menschen“ ist sich der Chef von Netdoktor bewusst. Aus eigener Erfahrung aus dem Studium kann er behaupten, dass medizinisches Halbwissen beunruhigender sei, als gar nichts zu wissen. Und erst, wenn man alle Informationen beisammen hat, sei man beruhigt. Hier rät Maté, sich an einen Leitsatz zu halten, den viele Medizinstudenten zu hören bekommen: „Wenn du Hufe schlagen
hörst, denke nicht an Zebras, sondern einfach nur an Pferde“. Es sei nämlich viel wahrscheinlicher, dass sich hinter einem Symptom etwas Harmloses verbirgt, obwohl viele außergewöhnliche
Krankheiten möglich wären. Dieser Verantwortung bewusst, geht Maté seine Symptome-Rubrik sehr zurückhaltend an.

Höherer Nutzen
Auf der anderen Seite sieht der Geschäftsleiter aber einen deutlich höheren Nutzen, da viele Menschen zu spät zur Diagnose kommen. Er erzählt, dass Leute oft jahrelang kurzatmig sind und einfach nicht auf die Idee kommen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wenn derjenige dann einmal „Kurzatmigkeit“ oder „Atemnot“ in Google eingibt, und ihm auf Netdoktor die Lungenkrankheit COPD ausgegeben wird, wird er wahrscheinlich wachgerüttelt. und seine Chance auf Heilung steigt.

Arzt-Patient-Beziehung
Immer häufiger werden Ärzte mit ausgedruckten Informationsblättern konfrontiert und eventuell in Bedrängnis geführt, falls diese Inhalte nicht mit seinen bisherigen Behauptungen übereinstimmen. Dies könnte potentiell das Verhältnis zwischen Arzt und Patient sabotieren. Auch Maté meint hier: „Dieser unausgesprochene Vertrag ist äußerst wichtig und sollte grundsätzlich bewahrt werden.“ Er ist aber der Meinung, dass das klassische paternalistische Modell, bei dem der Patient nur zuhört und befolgt, was der Arzt ihm sagt, vermieden werden soll. Durch das eigene Recherchieren der Patienten komme eine höhere Eigenverantwortung ins Spiel, was sich positiv auf die Therapie auswirkt. Man kann hier zwei Fälle unterscheiden, wie Ärzte darauf reagieren: Die einen empfinden es als große Last, wenn sie noch zusätzliche Information berücksichtigen und sich eventuell rechtfertigen müssen. Die anderen freuen sich, dass sie nicht mehr so viel erklären müssen und die Patienten somit auch gezielter fragen können als bei einer Erstkonfrontation.

Weitere Entwicklung
Auf die Frage hin, in welche Richtung sich diese Portale noch entwickeln könnten, zeigt sich Maté überzeugt, dass diese Diagnose-Angebote, wie sie in den USA Trend sind, wieder abklingen werden, da sie eher aus dem kaufmännischen Bereich kommen. „Dinge, die aus medizinischer Sicht nicht sinnvoll sind, werden wieder verschwinden.“ Auch wenn private Anbieter eine elektronische Gesundheitsakte anbieten, vermutet Maté, dass nur ganz wenige Leute ernsthaft ihre Daten online eingeben und warten. Hier zieht er das Beispiel der Gesundheitsplattform Google Health heran, welche seit Anfang diesen Jahres eingestellt wurde. Maté meint, dass dies ein Auftrag der
öffentlichen Hand sei und befürwortet das Projekt ELGA (Elektronische Gesundheitsakte). Der Geschäftsführer von Netdoktor könnte sich sogar vorstellen, seine Seite mit einer Gesundheitsakte insofern zu verbinden, dass man stets nachschauen kann, wenn man verschiedene Begriffe nicht
vollständig versteht.

Statement der Ärztekammer
Im Wesentlichen teilt die Ärztekammer die Meinung von Herrn Maté. Pressesprecherin Andrea Riedel bestätigt auf Nachfrage der futurezone: „Grundsätzlich ist es im Sinne der Primärprävention, wenn Patienten sich über Erkrankungen vorinformieren.“ Gefährlich könne es allerdings werden, wenn die Informationen zur Selbstdiagnose führen. Außerdem schätze sie seriöse Portale, die eindeutig darauf hinweisen, dass die dort gebotenen Inhalte keinen Ersatz für die ärztliche Abklärung darstellen und eine klare Trennung zwischen redaktioneller Information und Werbung ziehen.

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