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Second Hand

Weiterverkauf von MP3s in Europa startet

"Wer etwas kauft, soll es auch besitzen und weiterverkaufen können", sagt ReDigi-Chef John Ossenmacher. "Unsere Technologie sorgt dafür, dass das Grundprinzip des Handels auch im Zeitalter von Downloads gilt." Auf dem von Ossenmacher gegründeten digitalen Marktplatz ReDigi können Nutzer in den USA seit mittlerweile fast eineinhalb Jahren "gebrauchte" Musikfiles verkaufen. Bis Ende Juni dieses Jahres will der Dienst auch in ausgewählten europäischen Ländern an den Start gehen. Details dazu will das Unternehmen schon bald bekannt geben. Bis Mitte 2014 will ReDigi in den meisten EU-Ländern verfügbar sein. "Nachdem wir Tausende von Anfragen von Leuten aus ganz Europa bekommen haben, freuen wir uns auf einen baldigen Start in der EU", sagt Ossenmacher zur futurezone.

Ausweitung auf E-Books
Neben dem Weiterverkauf von Musikfiles sollen auf der Plattform dann auch "gebrauchte" E-Books zum Verkauf angeboten werden können. Ein entsprechendes Angebot wird gerade für die USA vorbereitet. Später sollen Nutzer auch Videos, Spiele und Software weiterverkaufen können. "Second Hand"-Musikfiles sind auf ReDigi ab 0,49 Cent zu haben.

Die technologische Lösung des Start-ups, bei dem zahlreiche Absolventen des Massachusetts Institute of Technology (MIT) beschäftigt sind, ist durchdacht: Nach dem Download einer Client-Software, die anhand von digitalen Wasserzeichen überprüft, ob die Files rechtmäßig erworben wurden, können Nutzer ihre Musiksammlung zum Verkauf anbieten. Titel, die von CDs gerippt wurden oder aus anderen Quellen stammen, werden nicht zum Weiterverkauf zugelassen. Zum Verkauf freigegebene Songs werden von den Computern der Verkäufer und den damit synchronisierten Geräten, wie etwa MP3-Player, gelöscht.

Klage in den USA
Rechte-Inhaber fühlen sich dennoch brüskiert. In den USA wurde ReDigi bereits kurz nach dem Start im Oktober 2011

. Der US-Musikindustrieverband RIAA und die EMI-Tochter Capitol zogen wegen Urheberrechtsverletzungen vor Gericht. Ein Antrag auf Unterlassung wurde von einem US-Gericht zwar zurückgewiesen. Der Ausgang des im Oktober vergangenen Jahres gestarteten Prozesses ist aber noch offen. Die Klage des Musikkonzerns sieht man bei ReDigi lediglich als "kleine Irritation" -  "merely a hiccup in the road", wie es aus dem Unternehmen heißt. Auf die Expansionspläne in Europa habe der Rechtsstreit mit dem Musikkonzern unabhängig vom Ausgang keine Auswirkungen. Europäische Richter hätten darüber hinaus bereits vorteilhaft zum Weiterverkauf digitaler Inhalte geurteilt.

EuGH-Urteil
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in einem bahnbrechenden Urteil im Juli den Weiterverkauf von Software auch dann erlaubt, wenn sie als Download gekauft wurde. Der Wiener Anwalt Axel Anderl, Partner bei der Kanzlei Dorda Brugger Jordis, sieht das Start-up dennoch in einem "rechtlichen Graubereich". Fraglich sei, ob das Urteil der europäischen Höchstrichter auch auf andere Inhalte angewandt werden könne. Der Weiterverkauf von digitalen Gütern sei derzeit in der EU gesetzlich nicht explizit erlaubt.

Mit Klagen von Rechteinhaber rechnet Anderl aber nicht. Das Risiko gegen den Weiterverkauf von Downloads vorzugehen und auf den Gerichtskosten sitzen zu bleiben, sei "relativ groß". Der Anwalt geht davon aus, dass der EuGH im Falle von Klagen das Online-Erschöpfungsrecht auch auf Musik und Bücher ausdehnen werde. "Aufgrund des Gleichbehandlungsgebotes wird man diesen Schritt nicht verweigern können."

"Territorialer Aspekt wichtig"
Unabhängig davon sei es auch wichtig, wo die Lizenzen für die Musikstücke erworben wurden, meint Anderl. ReDigi-Nutzer, die ihre Musikstücke in den USA gekauft hätten, dürften sie in Europa nicht weiterverkaufen. Für Werke, die in der EU erworben wurden, gelte diese Einschränkung nicht. "Der territoriale Aspekt ist sehr wichtig", sagt Anderl unter Verweis auf territoriale Beschränkungen bei der Online-Erschöpfung, die auf eine Erstverbreitung im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) abstellt und nur dann greift.

Darüber hinaus müsse sichergestellt sein, dass die weiterverkauften Dateien beim Verkäufer gelöscht werden und dass es zu keiner Vervielfältigung komme, sagt Anderl. Die Lösung von ReDigi, die Dateien von Account und  Computer der Weiterverkäufer zu löschen, bezeichnet er als nachvollziebaren Ansatz, der versuche diesem Erfordernis nachzukommen: "Das System klingt plausibel."

Die Kopierschutz-Frage
Während Musik-Downloads heute weitgehend ohne Kopierschutzbeschränkungen erhältlich sind, stellt sich bei E-Books die Frage, ob die Weitergabe durch den Einsatz von Digital Rights Management (DRM) unterbunden werden darf. E-Books werden heute von den großen Anbietern fast ausschließlich kopiergeschützt angeboten. Die Nutzung wird solcherart auf den Erstkäufer beschränkt.

Kopierschutz, der den Weiterverkauf verhindern soll, sei bedenklich, meint Anderl: "Er steht dem zwingenden Erschöpfungsprinzip entgegen." Im Falle von Gebraucht-Software habe der EuGH zwar technische Schutzmaßnahmen als zulässig erachtet. Das aber nur zum Schutz dafür, dass der Veräußerer einer weitergegebenen Lizenz diese selbst nicht weiter nutzt. Das Erschöpfungsprinzip habe der EuGH aber als zwingend bestätigt. "Die Frage beim Kopierschutz ist, ob man sich strafbar macht, wenn man diesen aushebelt, um die Weitergabe zu ermöglichen", meint Anderl. "Es wird daher wohl auf Verfahren hinauslaufen, wenn die Anbieter auf den Schutz nicht verzichten wollen und keine weitergabefähige Kopie zur Verfügung stellen."

Musiker werden beteiligt
Man werde alle notwendigen Schritte unternehmen, um sicherzustellen, dass sich ReDigi mit dem europäischen Urheberrecht in Einklang befinde, heißt es in einer Stellungnahme des Unternehmens: "Wir nehmen den Schutz von Urheberrechten sehr ernst." Musiker und Bands, die sich auf der Plattform registrieren werden am Weiterverkauf ihrer Songs beteiligt und erhalten 20 Prozent der Erlöse.

Labels befürchten, dass die Second-Hand-Verkäufe zu Einbußen im Online-Geschäft führen. Bei ReDigi verweist man darauf, dass die Möglichkeit des Weiterverkaufs den Wert der Musik steigere. „Digitale Inhalte, die von Leuten nicht mehr genutzt werden, haben einen enormen Wiederverkaufswert“, sagt Ossenmacher.  „Wir sprechen von  Millionen-, wenn nicht sogar Milliardenbeträgen, die dadurch freigesetzt werden.“

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Verkauf von Gebrauchtsoftware erlaubt
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied im Juli 2012 im Rechtsstreit zwischen usedSoft und Oracle, dass „gebrauchte“ Software-Lizenzen generell weiterverkauft werden dürfen. Ob die Software auf einer CD-Rom, einer DVD oder als Download aus dem Internet erworben wurde, sei unerheblich, so die europäischen Höchstrichter in ihrer Entscheidung.

Erschöpfungsregel
Hintergrund  ist die sogenannte Erschöpfungsregel. Sie besagt, dass  die Rechte eines Herstellers, der seine Ware innerhalb der EU angeboten und verkauft hat, „erschöpft“ sind. Die Kontrolle   liegt danach beim Käufer. Verkauft ein Nutzer „gebrauchte“ Software weiter, muss er die Kopie auf dem eigenen Rechner  unbrauchbar machen  – also deinstallieren und löschen.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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