Trauer hat sich, wie viele andere Bereiche, auch ins Netz verlagert
Trauer hat sich, wie viele andere Bereiche, auch ins Netz verlagert
© APA/Oliver Berg

Soziale Medien

Wie trauert man im Internet?

Es ist noch nicht so lange her, da hätte der Tod der Germanwings-Passagiere fast ausschließlich deren Angehörige und Freunde betroffen. Selbst Bekannte hätten davon nicht unbedingt sofort erfahren. Doch in den Zeiten der sozialen Medien sind Tod sowie Trauer und Trauerbekundung höchst öffentlich, meint Tony Walter, Professor für Death Studies an der University of Bath.

In gewisser Weise, so der Soziologe, knüpften wir an die vorindustrielle Vergangenheit an. „Im Dorf bekam früher jeder mit, wer starb und ob die Familie sich auch gebührend grämte“. Erst im 20.Jahrhundert etablierte sich Trauer als etwas Privates. Das hatte auch seine Vorteile. „Denn nun konnte man für sein Trauerverhalten nicht mehr kritisiert werden. Der Nachteil: soziale Isolation.“

Dass Tod und Sterben nun wieder viel mehr zum Alltag gehören, merkt Tony Walter an einer informellen Umfrage, die er jeweils zu Semesterbeginn unter seinen Studenten durchführt. Er fragt, ob sie von einem Sterbefall im weiteren Freundes- und Bekanntenkreis wissen. „Vor 20 Jahren hat einer von vier aufgezeigt. Seit es Facebook und Twitter gibt, kennen drei Viertel der Studenten einen konkreten Fall.“

Die Social Media haben also das Rad der Zeit zurückgedreht. Wer seine Trauer öffentlich teilt, bekommt gewiss viel Anteilnahme. Aber: „Man muss auch auf Trolle gefasst machen.“

Doch bloß weil Sterben und Tod präsenter sind als früher, heißt das nicht, dass Menschen wissen, wie man damit im Netz umgeht. Kaum war die Nachricht vom Absturz des Germanwings-Flugzeugs bestätigt, posteten Nutzer „R.I.P“ (Rest in Peace)-Messages. Auf Twitter und Facebook entstanden eigens Portale mit Botschaften tiefster Betroffenheit. - Und dazwischen – wie das sprichwörtliche Amen im Gebet - grobe Pietätlosigkeit: Auf einem der Germanwings-Gedenkportale meinte ein Nutzer, man hätte halt Red Bull an Bord haben sollen. Denn das verleiht Flügel, - eine Anspielung an den Werbeslogan des Getränks. Dazwischen machten andere wiederum ihrer Wut über den Kopiloten Luft, der am Absturz Schuld ist.

Der deutsche Blogger Sascha Lobo brachte es in seiner Spiegel-Kolumne auf den Punkt: „Jeder weiß, wie man sich auf einer Beerdigung verhält, aber es ist noch kein Konsens vorhanden, was es bedeutet, wenn soeben der fürchterliche Tod von 150 Menschen bekannt wird.“ Eine solche Katastrophe mache deutlich, dass es noch „keine allgemein akzeptierten Instrumente der netzkollektiven Trauer gibt.“

LLAP – Live Long and Prosper

Dass es keinen Konsens über Benimm-Regeln bei Todesfällen gibt, ist an sich nichts Neues. Das zeigte sich bisher immer wieder beim Tod von Prominenten. Für jedes R.I.P für etwa den Schauspieler Robin Williams, für jede Abschiedsbotschaft, welch ein Verlust sein Selbstmord sei, gab es patzige Meldungen zu Hauf. Im Sinne von: Was soll denn das triefende Getue? Man sei mit dem Star nicht gerade auf Du und Du gewesen.

Letzteres wird freilich zunehmend zu einer Frage der Definition. Nämlich dann, wenn Prominente mit ihrer Fangemeinde in einem aktiven Dialog stehen. Leonard Nimoy, besser bekannt als der Vulkanier „Spock“ aus der Kult-Fernsehserie „Raumschiff Enterprise“ tweetete sein langsames Sterben an Lungenkrebs. Hundertausende Menschen lasen seine Warnungen vor dem Rauchen und seinen letzten Tweet, verfasst am 22.Februar 2015: „Ein Leben ist wie ein Garten. Man kann vollkommene Augenblicke erleben, - doch bewahren kann man sie nur in der Erinnerung.“ Am Ende des Tweet stand – wie immer – der Vulkaniergruß: LLAP – Live Long and Prosper. Fünf Tage später starb Leonard Nimoy.

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Madeleine Amberger

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