© Martin Stepanek

Biometrie

"Eye-Tracking kann zu peinlichen Situationen führen"

"Nicht schon wieder!" Beim Zocken ist wohl schon jeder einmal ausgezuckt und hat vor Wut den Bildschirm angeschrien oder frustriert auf den Tasten herumgehämmert. Doch woher soll denn das Spiel wissen, dass man sich ärgert? Es mag absurd klingen, doch einige Spieleentwickler arbeiten genau daran. Per biometrischer Sensoren, die Herzschlag, Hirnströme, Hautleitfähigkeit und Mimik erfassen, können sich Videospiele künftig besser dem Spieler anpassen.

Das über Kickstarter finanzierte Horror-Spiel Nevermind misst beispielsweise über Kamera und andere Sensoren, wie gestresst der Spieler ist und passt den Schwierigkeitsgrad dementsprechend an. Wird der Spieler panisch, kommt plötzlich eine scheinbar unüberwindbare Flut an Gegnern daher. Das 2012 von Bostoner Ärzten entwickelte Spiel RAGE Control soll wiederum Kindern beibringen, besser mit ihren Emotionen umzugehen. Doch nicht nur Indie-Entwickler glauben, dass biometrischen Sensoren die Zukunft gehört. Valve-Chef Gabe Newell verkündete bereits 2013, dass der Controller der Steam Box biometrische Sensoren haben werde und Eye-Tracking "superwichtig" sei. Nintendo kündigte bereits 2009 einen "Vitality Sensor" für die Wii an, das Zubehör kam jedoch nie auf den Markt.

Mehr Emotionen

"Wir dürfen das Potenzial von Biometrie nicht überschätzen. Immerhin haben wir bereits gute Werkzeuge, um mit Technologie zu interagieren, wie Tastaturen, Mäuse, Touch und Controller", meint Ben Lewis-Evans, Forscher beim britischen Beratungsunternehmen "Player Research", gegenüber der futurezone. Dennoch sieht er neue Wege für Spieleentwickler, die er am Freitag im Rahmen der Subotron arcademy auch in Wien präsentieren wird.

"Neben dem Messen meines Stresslevels könnte beispielsweise eine Kamera meine Mimik erfassen. Dann könnten Charaktere im Spiel darauf reagieren, ob ich lächle oder wütend bin." Ähnliche Funktionen bot bereits die 2010 gezeigte Tech-Demo "Project Milo" für die Kinect, bei der ein virtueller Junge mit dem Spieler spricht und dabei auch auf seine Mimik achtet. Biometrische Daten sollen das Spielerlebnis aber nicht nur direkt verbessern. "Wir können bereits während der Entwicklung Tests durchführen und überprüfen, wie Personen auf das Spiel reagieren."

Perfekt für E-Sport

Vor allem im professionellen E-Sport können diese Daten hilfreich sein. Der Eye-Tracking-Experte Tobii vermarktet beispielsweise seine Technologie über den Gaming-Hardware-Anbieter SteelSeries. Mit dem Sentry Eye ist bereits für 200 Euro ein Eye-Tracker erhältlich. Mit diesem können E-Sportler analysieren, wohin sie während eines Spiels schauen. "Wenn ich nicht alle zwei Sekunden einen Blick auf die Minimap werfe, habe ich schon verloren", wie ein Pro-Gamer, der sich auf das MOBA Dota 2 spezialisiert hat, am Rande der CES erzählt.

Diese Informationen kann man auch freigeben, sodass beispielsweise Streaming-Zuseher verfolgen können, wo der Spieler gerade hinschaut. In einer Zeit, in der E-Sportsein Millionenpublikum anziehenund Replays auf jedes einzelne Detail hin analysiert werden, ist das mehr als nur ein Gimmick. Bereits jetzt wird, ähnlich wie beim Biathlon,der Puls einiger Pro-Gamer bei Übertragungen eingeblendet.

Peinliche Blicke

Doch so nützlich diese Flut an Daten erscheinen mag, man muss sie auch richtig einordnen können. "Es gibt einige Probleme mit biometrischen Daten, die ihren praktischen Einsatz erschweren", sagt Lewis-Evans. So unterscheiden sich physiologische Vorgänge je nach Person und Situation stark, wodurch sie nur sehr schwer interpretiert werden können. "Während das Sammeln dieser Daten immer einfacher und günstiger wird, hinken wir beim Verstehen hinterher."

Konfliktpotenzial sieht Lewis-Evans auch beim Datenschutz: "Biometrische Sensoren können Dinge aufzeichnen, denen man sich noch nicht einmal selbst bewusst ist. Die Frage ist: Was passiert mit diesen Daten?"Wie bei Fitness-Trackern könnten beispielsweise Versicherungen aus den Daten Rückschlüsse auf die Gesundheit des Spielers ziehen. Man muss jedoch keine aufwendige Datenanalyse betreiben, um durch biometrische Sensoren in eine unangenehme Situation zu geraten: "Jeder, der mir beim Spielen zusieht - sei es Familie oder Partner - kann verfolgen, wohin oder beispielsweise auf welche Körperteile ich blicke und auf welche nicht. Das kann zu peinlichen Situationen führen."

Keine Konkurrenz für VR

Trotz erster Ansätze dürfte Biometrie in Videospielen noch auf sich warten lassen. "Es gibt definitiv einen Nischenmarkt", meint Lewis-Evans. "Es sieht aber so aus, als hätte Biometrie für Sony und Microsoft keine Priorität." Beide bieten Kameras für ihre Spielkonsolen an, die neben Mimik (PlayStation Camera) sogar den Puls (Kinect) erfassen können. Stattdessen erhält aber nun Virtual Reality den Vorzug, die der Forscher jedoch nicht als Konkurrenz zur Biometrie sieht. "Es gibt sogar einige Bereiche, in denen beide Technologien voneinander profitieren können. So bauen einige VR-Hersteller bereits Eye-Tracker in ihre Headsets ein."

Vortrag am Freitag

Mehr zum Thema Biometrie in Videospielen erzählt Ben Lewis-Evans am Freitag, den 30. September, im Rahmen der Subotron arcademy. Der Vortrag findet um 19 Uhr im Raum D (quartier 21) des Wiener Museumsquartiers statt. Der Eintritt ist frei.

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Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

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