Cyberkrieg ist eine Massenvernichtungswaffe
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Der Konflikt der USA mit dem Iran lässt Militärexperten – und solche, die es gerne wären – mit ihren Meinungen weit auseinandergehen. Die einen sehen den dritten Weltkrieg vor der Tür, mit Atomwaffeneinsatz und totaler Vernichtung. Andere prophezeien hingegen den ersten echten Cyberkrieg.
Dieser sei „blutlos“, ja geradezu human, würde er doch nicht mit dem Sturmgewehr im Häuserkampf, sondern mit Maus und Tastatur „aus dem Wohnzimmer“ geführt werden. Anstatt Bomben abzuwerfen, würde man mit ein paar Klicks einfach den Strom der Raketensilos des Feindes abdrehen und die Software seiner Kampfflugzeuge hacken, damit diese nicht mehr abheben können.
Wer das glaubt, hält es vermutlich auch für eine gute Idee mit einer Kettensäge die Krallen seiner Katze zu stutzen.
Unterbrechung der Versorgung
Wie bei einem regulären Krieg, versucht man auch beim Cyberkrieg die Kampfkraft des Feindes soweit zu schwächen, dass dieser aufgibt. Dies geschieht nicht nur durch direkte Zerstörung, sondern durch Unterbrechung der Versorgungslinien: Panzer ohne Treibstoff fahren nicht, Flugzeuge bleiben ohne Kerosin am Boden.
Und wie unterbricht man diese Versorgung, ohne kostbare Ölfelder abzufackeln oder Pipelines zu sprengen? Richtig, man dreht den Strom ab. Denn ohne Strom läuft selbst in einem Land, dass die Amerikaner gerne als rückständig betrachten, nichts. Und hier kommt der „blutlose“ Cyberkrieg ins Spiel.
Das Szenario
Spielen wir dieses Szenario durch, in denen die USA das Stromnetz des Irans angreifen. Umgekehrt wäre es natürlich genauso möglich. Doch die Auswirkungen eines iranischen Cyberangriffs auf das US-Stromnetz wären wohl ungleich geringer: Die USA bereiten sich seit Jahren auf einen Cyberkrieg vor und sind es gewohnt, ihr fragiles Stromnetz nach einem Blackout wieder in Gang zu setzen.
Mit Schadsoftware werden Kraftwerke und Umspannwerke infiziert, ein paar Klicks und BUMMM: Kettenreaktion, Blackout. Licht aus im Iran, ohne eine einzige Bombe. Und wer leidet darunter? Die Militäreinrichtungen, die Notstromgeneratoren und genug Treibstoff gebunkert haben? Wohl eher nicht.
Die Opfer des Cyberkriegs
Opfer dieses „blutlosen“ Cyberkriegs ist die Bevölkerung. Die, die auf Strom angewiesen ist, weil ohne dem auch die Heizung nicht geht. Die, die jetzt Rettung und Feuerwehr nicht mehr anrufen kann, weil die USA auch noch gleich das Internet lahmgelegt haben (in der falschen Hoffnung, dass das iranische Militär keine gesicherten, eigenen Netze und Funkmechanismen zur Kommunikation nutzt). Die, die nicht mehr selbst mit dem Auto zum Krankenhaus fahren kann, weil die Zapfanlagen der Tankstellen ohne Strom nicht funktionieren. Und selbst wenn das Krankenhaus erreicht ist, ist der Betrieb auch dort ohne Strom bestenfalls eingeschränkt.
Und es geht weiter: Ohne Strom keine Kartenzahlung, kein Abheben von Bargeld, kein Einkaufen von Lebensmitteln, keine kontrollierte Versorgung mit Hilfsgütern und im schlimmsten Fall keine Wasserversorgung, weil auch Pumpen, Filteranlagen und Verteilstationen ohne Strom still liegen.
In Irans Hauptstadt Teheran leben fast 9 Millionen Menschen. Das entspricht einer Bevölkerungsdichte von über 12.000 Einwohner auf einem Quadratkilometer. Zum Vergleich: In Wien sind es etwa 4.500. Ohne Strom, Wasser, Lebensmittel und einem Ausfall der sanitären Maßnahmen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis hier eine humanitäre Katastrophe eintritt. Der „blutlose“ Cyberkrieg, der mit ein paar Klicks gestartet wurde, wird zur Massenvernichtungswaffe.
Nur zur Abschreckung
Natürlich sind sich die USA dessen bewusst. Man müsse ja auch nicht solange den Iran den Strom abdrehen, bis die Bevölkerung verhungert, erfroren oder von Cholera und Typhus dahingerafft ist. Man könne ja mal mit einen Tag anfangen und dann den Strom wieder aufdrehen – quasi als Abschreckung.
Durch den netzweiten Kurzschluss zerstörte Gasturbinen und Umspannwerke lassen sich aber nicht einfach per Klick reparieren. Und wenn der landesweite Blackout tatsächlich gewollt angestrebt ist, besteht auch die Chance, dass umliegende Länder betroffen sind. Viele Stromnetze gehen nämlich über die Landesgrenzen hinaus.
„Alles nur ein Worst-Case-Szenario“ und „die Amis wissen schon was sie tun“ hört man von den Verfechtern eines Cyberkriegs, wenn man sie damit konfrontiert. Es sind aber die selben „Amis“ an den Mäusen und Tastaturen, die ein Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen bombardiert (22 Todesopfer) und mit Smart Bombs einen zivilen Luftschutzbunker zerstört haben (über 400 Tote) - um zwei Beispiele aus der Zeit der modernen Kriegsführung zu nennen.
Krieg ist nun mal Krieg und das gilt auch für den Cyberkrieg. Einen Krieg ohne Opfer gibt es nicht.
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